Die Zukunft der Patientenkommunikation
TUDa Start-up MediEm denkt das Pflegenotruf-System in Kliniken neu
2025/01/09 von Heike Jüngst
Die Gründer:innen von MediEm haben sich vorgenommen, die Notrufknopf-Technologie in Krankenhäusern grundlegend zu verbessern. Mit dem Ziel, durch modernste Technik die Effizienz und Wirksamkeit in Notfällen zu steigern, arbeiten Damla Avcı, Rostislav Iskandirov, Ezgi Ölçüm und Saidakhon Raimkhodjaeva daran, die Kommunikation in der Gesundheitsbranche nachhaltig zu verändern. Ihr im Juni 2023 gegründetes Start-up vereint wirtschaftliches und technisches Know-how mit einer klaren Vision: Pflegekräfte entlasten, die Pflegequalität steigern und Kliniken eine intelligente Kommunikationsinfrastruktur bieten.
Welche Probleme gibt es bei der Patientenkommunikation im Krankenhaus? Und wie soll es gelöst werden?
Damla Avcı, CEO: Kliniken benötigen dringend eine intelligente Kommunikationsinfrastruktur. Herkömmliche Systeme sind ineffizient und veraltet. Die Notwendigkeit der Digitalisierung ist gegeben, insbesondere im Hinblick auf den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Mit unserer KI-basierten Kommunikationslösung zwischen Patient:innen und Pflegemitarbeiter:innen können wir den Informationsfluss optimieren, das Pflegepersonal entlasten und die Pflegequalität sowie die Effizienz in Kliniken steigern.
HIGHEST: Könnt ihr uns genauer erklären, wie eure KI-basierte Software funktioniert?
Rostislav Iskandirov, CTO: Statt der klassischen Klingel nutzen Patient:innen ein handliches Smartphone, das mithilfe einer KI zwischen Notfällen und Pflegewünschen unterscheidet. Sobald ein Patient den entsprechenden Button drückt, wird eine Benachrichtigung an das Pflegepersonal gesendet. Der Patient kann sein Anliegen formulieren, das dann von unserer KI-Pipeline analysiert wird. Unsere Software kann bis zu 60 Sprachen dekodieren und übersetzen, was die Kommunikation in multikulturellen Umgebungen erheblich erleichtert. Die gewonnenen Informationen werden an die Mitarbeiter weitergegeben. Wir nutzen die neuesten Erkenntnisse aus NLP (Natural Language Processing) und Open-Source-Projekten.
Wie stellt ihr sicher, dass die KI zuverlässig zwischen Notfällen und normalen Pflegeanfragen unterscheidet?
Rostislav Iskandirov, CTO: Derzeit lassen wir unser System übervorsichtig agieren, während wir kontinuierlich daran arbeiten, die Genauigkeit zu verbessern. Wir implementieren Mechanismen zur Erkennung von Schlüsselwörtern und Tonlagen, die auf einen Notfall hindeuten könnten. Um die KI zuverlässig zu machen, brauchen wir große Datenmengen, was bei Sprache besonders schwierig ist.
Wie geht ihr mit den strengen Datenschutzanforderungen im Gesundheitswesen um?
Rostislav Iskandirov, CTO: Wir entwickeln unsere Anwendung von Grund auf unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte des Datenschutzes und der Cybersicherheit. Wir sammeln nur die absolut notwendigen Daten und verzichten auf persönliche Informationen wie Name, Alter oder Geschlecht. Alle Daten werden auf einem lokalen Server im Krankenhaus gespeichert und verschlüsselt. Unser System läuft gemäß VDE 0834 auf einer eigenen „Leitung“ und ist von anderen Systemen isoliert.
Welche Erfahrungen habt ihr bei eurem Testlauf im Lukaskrankenhaus Neuss gemacht?
Ezgi Ölçüm, CMO: Der Test unter realen Bedingungen war sehr wertvoll. Wir haben sofort Feedback bekommen und konnten Verbesserungen vornehmen. Unser System hat wie erwartet funktioniert, aber wir haben auch mögliche Hürden in der Anwendung identifiziert. Zum Beispiel mussten wir die Benutzeroberfläche für das Pflegepersonal optimieren und die Genauigkeit der Spracherkennung in lauten Umgebungen verbessern.
Wie seid ihr ursprünglich auf die Idee gekommen, ein intelligentes Pflegerufsystem zu entwickeln?
Damla Avcı, CEO: Alles begann in einem Masterseminar für Entrepreneurship von Professorin Dr. Carolin Bock an der TU Darmstadt. Unsere Aufgabe war es, eine Geschäftsidee zu entwickeln, die sich mit einer aktuellen Krise befasst. Wir haben im Gesundheitssektor ein hohes Innovationspotenzial identifiziert. Nach zahlreichen Interviews mit Branchenexperten aus Kliniken und Pflegheimen erkannten wir, dass die Notrufklingel ein universelles Problem in Gesundheitseinrichtungen darstellt.
Was hat euch bewogen, mit eurer Idee ein Start-up zu gründen?
Damla Avcı, CEO: Der Wendepunkt war unser Erfolg beim Pitch-Tag des Seminars. Wir präsentierten unsere Innovation mit einem funktionierenden Prototypen vor Investoren und Experten, erreichten den dritten Platz und erhielten ein Coaching vom . Das motivierte uns, das Projekt weiterzuverfolgen, da wir erkannten, dass unser Produkt das Gesundheitswesen nachhaltig verbessern kann. Innovations- und Gründungszentrum HIGHEST
Ihr habt an verschiedenen Gründerwettbewerben teilgenommen. Was hat euch das gebracht?
Ezgi Ölçüm, CMO: Wir wurden für den Hessen-Ideen-Wettbewerb in der Kategorie „Gründung aus der Hochschule“ nominiert, was eine spannende Erfahrung war. Wir konnten unsere Idee einem breiten Publikum vorstellen und wertvolle Kontakte knüpfen. Außerdem haben wir am „thincubator by thinc!“, einem Start-up-Inkubator in Mannheim, teilgenommen und den ersten Platz gewonnen. Dort konnten wir mit einer Live-Demo unseres Produktes überzeugen. Beim Ideenwettbewerb der TU haben wir es bis ins Finale geschafft. Diese Erfahrungen und Unterstützungen waren unglaublich wertvoll für unsere Entwicklung als Start-up und haben maßgeblich zu unserem bisherigen Erfolg beigetragen.
Welche Rolle hat die TU Darmstadt bei eurer Gründungsreise gespielt?
Damla Avcı, CEO: Die Unterstützung durch die TU Darmstadt war entscheidend. Das Innovations- und Gründerzentrum hat uns geholfen, mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Ganz wichtig war das HIGHEST-Coaching mit unserem Coach Phillip Travers. Außerdem ermöglichte uns der Pitch auf dem von HIGHEST organisierten Clubabend, unser Netzwerk zu erweitern und Kontakte zu Investoren zu knüpfen. Bei der Produktentwicklung und Marktvalidierung hat uns die finanzielle Unterstützung durch das „Lean AI Startup Funding“ von Hessian.AI sehr geholfen. Ein Highlight war die Teilnahme am HIGHEST-Podcast zum Thema „Studieren und Gründen“. Der Moderator des Podcasts, Dennis Niederhagen von DigitalValley, vermittelte uns sogar den Kontakt zum Lukaskrankenhaus in Neuss für unser erstes Pilotprojekt.
Was sind eure nächsten Schritte?
Ezgi Ölçüm, CMO: Wir planen einen zweiten Test in einem anderen Krankenhaus. Anschließend werden wir unser System und Design optimieren, während wir nach ersten Kunden suchen und an der Produktion unseres endgültigen Designs arbeiten.
Welche langfristigen Ziele verfolgt ihr mit MediEm?
Damla Avcı, CEO: Unsere Mission ist es, das Gesundheitswesen durch moderne Technologie und Innovation nachhaltig zu verbessern. Wir können unser Produkt an verschiedene Bereiche des Gesundheitswesens anpassen und sehen sogar Potenzial für Anwendungen in anderen Sektoren. Langfristig wollen wir unser System um weitere KI-basierte Funktionen erweitern, wie z.B. die Vorhersage von Patientenbedürfnissen oder die Optimierung von Arbeitsabläufen in Krankenhäusern. Wir verstehen KI als wichtigen Trend im Gesundheitswesen, der sowohl gesellschaftlichen als auch wirtschaftlichen Mehrwert bietet.
Das Interview führte Heike Jüngst