Innovationsbooster Kooperation

Investition in die Zukunft: Partnerschaft zwischen KMU und Wissenschaft

28.03.2024 von

Gemeinsam Neues noch besser entwickeln – an der TU Darmstadt ist die Zusammenarbeit mit Unternehmen eine etablierte Strategie im Technologie- und Wissenstransfer. So arbeitet die Universität seit langem mit großen Playern wie Continental, Bosch, Deutsche Bahn, Hessen Metall und Merck gemeinsam an technologischen und zukunftsrelevanten Herausforderungen. Es gibt aber auch viele kleinere Kooperationen zwischen Instituten oder einzelnen Professor:innen mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Das lohnt sich für beiden Partner: KMU sind nicht nur Impulsgeber für neue Forschungsziele, sondern können gleichzeitig die Wissenschaft mit Praxiswissen bereichern. So kooperiert beispielsweise das kleine IT-Unternehmen MINRES sehr erfolgreich mit dem Fachbereich Informatik der TU Darmstadt.

Professor Andreas Koch leitet die Embedded Systems & Applications Group (ESA) am Fachbereich Informatik.

Der eine Unternehmer, der andere Grundlagenforscher: Eyck Jentzsch und Andreas Koch sind in der hochspezialisierten Welt moderner Prozessorarchitekturen unterwegs, jeder auf seinem Gebiet. Gemeinsam entwickelten sie ein Konzept namens RAVEN. Es beinhaltet eine neue Infrastruktur für virtuelle Plattformen (VP), die es erlaubt, komplette und komplexe Hardware- und Softwaresysteme durch Simulationstechniken nachzubilden.

Das Ganze bauten Jentzsch und Koch kosten- und zeitsparend, weil die virtuellen Simulationen parallel auf cloudbasierten Servern berechnet werden können. So wird es möglich, zeitgleich zur Prototypenfertigung schon mit der Softwareentwicklung für die anwendungsspezifischen integrierten Schaltungen zu beginnen. Für den Laien verwirrend und unverständlich, für die Firma MINRES aber von entscheidendem Wettbewerbsvorteil: „Wir bei MINRES entwickeln Modelle für die Software-Entwicklung bei unserer Kunden. Das sind große Unternehmen, die mit unseren Modellen viel Zeit und Geld sparen und schneller am Markt sind“, sagt Eyck Jentzsch. Das Kooperationsprojekt RAVEN hilft wiederum seiner Firma MINRES, bei dem hohen Innovationstempo in der IT-Branche Schritt zu halten.

Kooperation stärkt Innovationskraft

Eyck Jentzsch
Eyck Jentzsch

MINRES ist in einem hochspezialisierten Nischenmarkt aktiv. „Als wir 2012 angefangen haben, wollten wir ein Unternehmen aufbauen, in dem wir gerne und mit Freude bis zum Ruhestand arbeiten“, erinnert sich Eyck Jentzsch. Schneller, höher, weiter um jeden Preis war nicht die Geschäftsidee. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten bis heute remote, egal wo auf der Welt. „Die Arbeit soll Spaß machen.“ Da liegt es nahe, eine noch kleine Nische im Nischenmarkt zu besetzen, mit Dienstleistungen, mit Produkten, die die ganz Großen brauchen. Das Problem: Kleine und mittlere Unternehmen wie MINRES verfügen oft nicht über die nötige eigene Forschungsinfrastruktur, um ihre Produkte und Verfahren selbst weiterzuentwickeln. Da liegt es nahe, sich zusätzliches Know-how aus der Wissenschaft zu holen. „Hochschulen, egal welche, decken Kompetenzen ab, die wir selbst nicht haben, die aber für unsere Kunden, für unser Geschäft wichtig sind“, sagt Jentzsch. Dass sich sein Geschäftsmodell, bei dem „Open Source“ ein wichtiges Element ist, mit der Arbeitsweise von Professor. Andreas Koch von der TU Darmstadt deckt, hat die beiden zusammengebracht.

Spezialisten unter sich

Den Unternehmer Jentzsch und den Wissenschaftler Koch verbindet die Begeisterung für das Prozessordesign RISC V – ein offener und transparenter Befehlssatz im Chipdesign, der nicht patentiert und damit frei zu nutzen ist. „RISC-V war ursprünglich ein akademisches Forschungsprogramm an der Universität Berkeley in Kalifornien“, erklärt Andreas Koch. „Es ging darum, unabhängig von den beiden Marktgiganten ARM und X86 offen zu publizieren und Prozessoren auf Basis der RISC-Architektur weiterzuentwickeln.“ Auch Koch veröffentlicht seine Forschungsergebnisse so schnell wie möglich: „Das vermeidet Doppelarbeit, wenn andere unnötigerweise am gleichen Thema forschen.“ Und es spart Zeit und Geld, sowohl für die Universität als auch für MINRES. „Mir als Kleinunternehmer ermöglicht das RISC-V-Projekt, Produkte auf Basis dieser Architektur zu entwickeln, herzustellen und zu verkaufen, ohne dass ich dafür Lizenzgebühren zahlen muss“, beschreibt Eyck Jentzsch den Mehrwert von RISC-V für seine Firma MINRES. Und: Eigene Implementierungen müssen weder offengelegt noch an Kunden weitergegeben werden.

Erfolgsfaktor Team

Die Zusammenarbeit von Eyck Jentzsch und Andreas Koch ist kein Zufall, auch wenn sie zunächst mit Umwegen verbunden war. Koch, der Wissenschaftler, liebt als Grundlagenforscher den Kontakt zu den Praktikern, zu den Anwendern. „Ich möchte schon wissen, ob das, was wir erforschen, ergebnisorientiert und in der Praxis auch brauchbar ist“, sagt er. Dafür besucht der Informatikprofessor internationale Messen, Tagungen und Konferenzen der Szene. In Kalifornien, wo Koch seine Postdoc-Zeit verbrachte und das RISC-Konzept entstand, sah er ein viel beachtetes Poster des Praktikers Eyck Jentzsch. Der war auf derselben IT-Konferenz. Sie begegneten sich nicht. „Eyck war umringt von Leuten, die sich wie ich für sein spannendes Konzept der virtuellen Plattformen interessierten. Ich kam einfach nicht an ihn heran.“

Koch, ein umtriebiger, freundlicher und vielseitig interessierter Mensch, schrieb Jentzsch kurzerhand an. „Da kam eine E-Mail von so einem komischen Typen aus Darmstadt“, erinnert sich Eyck. Mit Wissenschaftlern hatte er bisher nur während seines Studiums in Ilmenau zu tun gehabt. Man verabredete sich für die nächste Konferenz. Es sollte nicht sein: Ob USA oder Spanien – wieder verhinderten äußere Umstände ein persönliches Kennenlernen. Als Jentzsch irgendwann einfach zu Andreas Koch nach Darmstadt fuhr, sprang der Funke sofort über. Die beiden sprechen eine Sprache, fachlich wie menschlich. „Eine Zusammenarbeit würde nicht funktionieren, wenn wir uns nicht auf allen Ebenen verstehen würden“, sagen die beiden, die sich mit ihren jeweiligen Expertisen perfekt ergänzen. Eine Geschichte, die sie gerne erzählen. Denn zur Wahrheit gehört auch: Wenn ein Unternehmer und ein Wissenschaftler zusammenarbeiten, muss die Chemie stimmen. Bei Jentzsch und Koch ist daraus sogar eine Freundschaft geworden.

Gemeinsames Forschungsprojekt für und mit der Wirtschaft

Der Rest ist schnell erzählt. Andreas Koch organisierte über das Förderprogramm „KMU innovativ“ Mittel der Bundesregierung für ein gemeinsames Forschungsprojekt. „Andreas hat sich um den ganzen Papier- und Behördenkram gekümmert, ich musste nur die Inhalte liefern“, erzählt Eyck Jentzsch anerkennend. Das war 2019. Herausgekommen ist besagtes RAVEN-Konzept, auf das sowohl die Firma MINRES als auch die TU das Patent halten.

„Es ist für uns sehr schön zu sehen, dass auch solche kleinen Projekte der TU den Weg in die Anwendung bei einem bestehenden Unternehmen finden“, sagt Susanne Gürich vom Gründungs- und Innovationszentrum HIGHEST. Sie hat das Kooperationsprojekt von der Erfindungsmeldung über die Patentierung bis zur Verwertung begleitet. Inzwischen hat die TU ihre Rechte an MINRES verkauft. Jentzsch nutzt die Erfindung in dem gleichnamigen Produkt. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und Andreas Koch ist damit nicht beendet. An weiteren Projekten wird gearbeitet. Dazu gehört die Idee, gemeinsam eine Summerschool zu veranstalten, mit Inhalten, die im regulären Lehrplan nicht vorkommen. Ein Format ganz im Sinne des Xchange-Portfolios der TU Darmstadt: Aus guten Kooperationserfahrungen kann sich eine nachhaltig fruchtbare, partnerschaftliche Beziehung zu Forschungspartnern entwickeln.

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