Von oben betrachtet: FlyPix AI wertet Geodaten aus der Luft mit KI aus
25.09.2025 von Anja Störiko
Kamele in der Wüste zählen oder verlorene Container im Meer spotten – die Kunden von FlyPix AI kommen aus vielen Nischen. Das erfolgreiche Start-up nutzt Satelliten-, Drohnen- und Flugdaten zur Überwachung großer Flächen. Die Plattform ermöglicht Nutzenden, georäumliche Daten selbst zu durchsuchen und relevante Objekte zu erkennen. Das trifft auf großes Interesse am Markt: FlyPix AI hat bereits Projekte für kommerzielle Kunden aller Kontinente sowie für Organisationen wie die Europäische Kommission und die Vereinten Nationen umgesetzt.

Kilometergroße Weideflächen mit hunderten Rindern in Vogelperspektive zeigt Sergey Sukhanov auf seinem Bildschirm. Mit einem Mausklick kreist er eine Kuh ein – und im Bruchteil einer Sekunde findet die KI alle weiteren Kühe. So erhält ein Rinderfarmer einen aktuellen Überblick über seine ausgedehnte Herde: ein Anwendungsbeispiel von FlyPix Ai, einem 2023 gegründeten Start-up, das bereits sehr erfolgreich wirtschaftet.
Die unternehmerische Geschichte von Sukhanov und seinem Partner Ivan Tankoyeu begann 2019 mit der Gründung ihrer Firma AI Superior GmbH, die KI-Beratung und -Entwicklung für Unternehmen anbot. In diesem Bereich hatten die Gründer Erfahrungen gesammelt. Im Rahmen seines Studiums im Fachbereich Elektro- und Informationstechnik an der TUDa absolvierte Sukhanov sein Studienpraktikum und die Masterarbeit bei AGT International, einer Firma für KI-gestützte Produktentwicklungen in verschiedene Branchen. Dort lernte er auch Ivan Tankoyeu kennen. Sukhanov ergriff die Gelegenheit, dort als Data Scientist zu arbeiten und parallel zu promovieren.
„Beides gleichzeitig war extrem schwer – ich weiß nicht, ob ich das heute nochmal machen würde“, beschreibt er diese sieben intensiven Jahre. In KI-Projekten in sehr unterschiedlichen Geschäftsfeldern – von Gesundheit über Mode und Sport bis zu Sicherheit – sammelte er viel Erfahrung, fand aber auch nur schwer den Fokus für seine Promotion im Fachgebiet Signalverarbeitung der TUDa: „Vieles davon entstand an Wochenenden und während der Elternzeit – und im Urlaub präsentierte ich auf Konferenzen im Ausland meine Ergebnisse“.
Die Gründung der eigenen KI-Beratungsfirma 2019 sollte dann ein Befreiungsschlag sein – kollidierte aber mit der Corona-Pandemie. Die beiden Daten-Experten begannen die KI-Landschaft in Deutschland mitzugestalten und zu spannenden Projekten beizutragen: So unterstützten sie beispielsweise Pharmaunternehmen bei der Bildverarbeitung oder entwickelten KI-Algorithmen für Versicherungen.
FlyPix AI hat den Überblick
Einige Projekte befassten sich mit Geospatial-Analyse, der Nutzung und Verwertung räumlicher Daten. „Damit hatten wir ein Thema gefunden, um ein eigenes Produkt zu entwickeln – und 2023 FlyPix AI zu gründen“, erklärt Sukhanov. „In diesem Bereich entwickelt sich sehr viel – und wir haben ein Gefühl dafür, was möglich ist“. Grundlage von FlyPix AI sind Flugdaten aus Satelliten, Flugzeugen oder Drohnen – daher der Wortbestandteil „fly“. Die so aufgenommenen Bilder – Wortsilbe „pix“ – analysieren sie mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) – englisch „AI“.
Manche Daten erwirbt FlyPix AI direkt bei Satelliten-Firmen oder anderen Anbietern, andere gibt das Start-up bei einer Art „Uber“ für Drohnen in Auftrag: „So definieren wir beispielsweise eine Gegend in Argentinien, von der wir in einem bestimmten Zeitraum Daten mit entsprechender Auflösung benötigen – und beauftragen dann den günstigsten Anbieter“, erklärt Sukhanov.
Mit Hilfe weiterer Mitarbeitender lieferte FlyPix AI nach einem Jahr erste Produkte: Für eine Gemeinde in Saudi-Arabien werteten sie Baustellendaten aus, ob alles an Ort und Stelle aufgeräumt und korrekt zuging. In der Landwirtschaft half die Beobachtung von oben, beispielsweise Kartoffelpflanzen rechtzeitig zu bewässern oder vor Krankheiten zu schützen.
Mit ihrer Ausgründung passten Sukhanov und Tankoyeu den richtigen Moment ab: Die Kosten für Satellitenbilder fielen und fallen weiter, da es immer mehr Space-Firmen gibt. Zudem erleichtern die heute überwiegend privaten Daten die Nutzung; früher waren sie fast ausschließlich in militärischen Händen. Auch Drohnen sind heute kostengünstig. „Daten waren nicht mehr das Problem, die Technologie gut, die Probleme lösbar – und wir die KI-Experten mit dem nötigen Know-How“, fasst Sukhanov ihre Marktanalyse bei der Gründung zusammen.
Der Erfolg gibt ihnen Recht: FlyPix AI verzeichnet bereits beachtliche Umsätze. „Wir konzentrieren uns auf kommerzielle Kunden und nachhaltigen Geschäftserfolg, anstatt auf öffentliche Fördermittel zu setzen“, betont der 36jährige. Ihr Ansatz garantiere eine stabile Entwicklung und verlässliche Einnahmen – „auch weil wir beide Familien und Mitarbeitende haben, die zuverlässig versorgt sein wollen“. Mitgründer Tankoyeu, KI-Experte und promovierter Computerwissenschaftler, lebt in Berlin; die Zusammenarbeit findet fast ausschließlich online statt.
Der Schlüssel zu ihrem Erfolg sei, sich auf die Werbung passender Kunden zu fokussieren. Das gelingt dem Start-up gut, wie die vielen Anfragen über ihre Website zeigen. Zudem präsentieren sie sich regelmäßig auf Messen und Wettbewerben. 2023 bis 2025 waren sie Teil des ESA Business Incubator Centres (BIC), dem größten Start-up-Förderer in Europa, der sich auf den Weltraumsektor fokussiert – „ein tolles Netzwerk mit vielen Events, Workshops und Ausstellungen, die uns viel Sichtbarkeit garantierten“, so Sukhanov. Im Rahmen von hessian.AI nahmen sie am Start-up-Wettbewerb teil. Mehrere Preise hat FlyPix AI gewonnen, so etwa im Juni 2023 den Wettbewerb zu Erdüberwachung mit KI. Beim Raise Summit Paris 2025 – dem Wettbewerb der vielversprechendsten jungen KI-Unternehmen Europas – schafften sie es unter die Top10.
Der Clou der FlyPix AI-Plattform ist die einfache Bedienung: Nach einer kurzen Einführung können Nutzende sie unkompliziert und ohne KI-Kenntnisse einsetzen – etwa zur Überwachung von Flächen und zur Erkennung von Veränderungen, zur Inspektion von Gebieten und Infrastrukturen sowie zur Detektion von Objekten, Situationen oder bestimmten Ereignissen. Die Kunden stammen aus verschiedenen Bereichen von Versicherung über Ökologie bis hin zu Land- und Verkehrswirtschaft. Eine japanische Versicherung beispielsweise möchte Erdbebenschäden schnell überblicken: Wieviele Häuser, Bewohner:innen, Verkehrswege sind betroffen? Andere Versicherungen benötigen Daten zu Risikofaktoren – angefangen von PV-Anlagen bis hin zu Trampolinen im Garten. Auch im marinen Sektor ist das Start-up aktiv, etwa um verlorengegangene Container aufzuspüren, sei es im Hafen oder im Meer.
Vielfältige Kundschaft: Von Versicherungen bis zu CO2-Zertifikaten
Die European Space Agency (ESA) wählte FlyPix AI aus, um einen Erdbeobachtungsservice für die EU-Initiative Destination Earth bereitzustellen. Diese Initiative will einen digitalen Zwilling der Erde entwickeln, um beispielsweise verschiedene Klimaszenarien zu modellieren. FlyPix AI liefert präzise Karten und klassifiziert die Flächen detailliert. „Das hat uns große Sichtbarkeit und neue Kundenanfragen geschaffen – und ein Verständnis für die Anforderungen des öffentlichen Sektors und der Forschung“, so Sukhanov. Auch mit den Vereinten Nationen (UN) arbeiten sie zusammen: Auf einer kleinen Insel analysierten sie Anzahl und Zustand der Palmen für die CO2-Zertfizierung. Auf einem Bild zeigt Sukhanov einen Wald, in dem er 16.000 Palmen einzeln anklicken und identifizieren kann – mit einer Genauigkeit von 94 Prozent. Die sehr präzisen Ergebnisse führten zu weiteren Aufträgen in diesem Bereich.
Präziser, größer, schneller: geplantes Wachstum
„Wir wollen künftig mit mehr Mitarbeitenden aggressiver in den Markt gehen“, so der Gründer. Bislang kam das Start-up ohne externe Finanzierung aus. „Aber unser nächster Meilenstein ist, noch dieses Jahr die Investorenrunde zu beginnen, um schneller wachsen zu können“. Zudem müssen sie erhebliche Forschungs- und Entwicklungsarbeit für leistungsfähigere Modelle leisten. Ziel ist es, die Plattform so weiterzuentwickeln, dass Nutzende alles mit nur wenigen Klicks oder sogar ganz einfach über Texteingaben steuern können.
Von den Vorteilen von FlyPix AI ist das Team überzeugt: Die KI-basierte Technologie sei präzise, schnell und für jeden anwendbar – vor allem für Infrastrukturbeobachtung und die Überwachung großer Flächen im zivilen Bereich. Zum Schluss zeigt Sukhanov noch einige Anwendungen: Markierter Müll am Strand, getrennt nach Holz, Plastik und anderen Materialien. Container in einem Hafengelände. Die Schäden der Brände im Januar in Los Angeles, deren Ausmaß durch die Analyse schnell sichtbar wurde. Und auf die Kühe kommt er nochmal zurück: Viehzüchter müssten in manchen Gegenden der Welt für die Steuerbehörden so ihre Herdengröße nachweisen, erklärt er. Und auch das Lieferkettengesetz könne durch solche Geodaten-Nachweise einfacher umgesetzt werden, ist sich der Gründer sicher.