Vom Datenchaos zu Klartext

TUDa-Spin-Off Genow ordnet Wissenschaos in Unternehmen

2025/10/02 von

Vier Forschende der TU Darmstadt gründen ein Deep-Tech-Start-up, das mit KI das vielleicht drängendste Problem moderner Unternehmen angeht: das Management von Wissen. Internationale Großkunden sind schon überzeugt, Investoren investieren Millionen.

Sara Jourdan, Timo Koppe, Peter Buxmann, Adrian Glauben (V.li.n.re.)

Wer in einem Konzern arbeitet, kennt die Szene: Eine wichtige Präsentation soll vorbereitet werden, die Fakten liegen irgendwo im SharePoint. Zehn Ordner, hundert Versionen, kryptische Abkürzungen. Selbst erfahrene Kollegen verlieren sich im Labyrinth. „20 bis 30 Prozent der Arbeitszeit gehen allein für die Suche nach Informationen drauf“, sagt Sara Jourdan, CEO von Genow. „Das sind Millionenverluste, jeden Tag.“

Jourdan weiß, wovon sie spricht. Die Wirtschaftsingenieurin, die an der TU Darmstadt und in Kalifornien studierte und bei internationalen Großkonzernen erste Berufserfahrungen sammelte, hat selbst erlebt, wie ineffizient Wissenstransfer in Großorganisationen läuft. Als vierte im Bunde stieß sie auf das 2023 von Dr. Timo Koppe, Adrian Glauben und Professor Peter Buxmann aus dem Lehrstuhl Software & AI Business heraus gegründete Start-up Genow. Das Unternehmen verspricht, eines der größten weißen Felder der Digitalisierung zu schließen: die intelligente Nutzung von Unternehmenswissen.

Kontext schlägt Schlagwort

Kern des Produkts: eine KI-gestützte „Knowledge Operations Platform“, die verstreute Datenquellen zusammenführt, den Kontext versteht und Mitarbeiter so unterstützt, als hätten sie den erfahrensten Kollegen direkt neben sich. „Wir liefern keine generischen ChatGPT-Antworten“, sagt Mitgründer Adrian Glauben, „sondern präzise, kontextbewusste Informationen, abgestimmt auf die Rolle und den Use Case im Unternehmen.“

Die Technologie ist komplex, doch das Prinzip ist einfach erklärt: Genow baut für jede Abteilung, für jeden Prozess, spezialisierte Wissensagenten. Im Vertrieb liefern sie die neuesten Preise, im Personalwesen die gültigen Richtlinien, im Kundenservice den schnellsten Zugriff auf Produktinformationen. Alles DSGVO-konform, gehostet in der Cloud-Umgebung des Unternehmens.

Von der Uni ins Großunternehmen

Die Idee entstand nicht am Reißbrett, sondern mitten im Hype um generative KI. Als ChatGPT Ende 2022 die Schlagzeilen dominierte, klopften Großunternehmen beim Darmstädter Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an. Sie wollten genau das, aber mit ihren eigenen Daten, nicht mit Internet-Wissen. „Wir hatten plötzlich internationale Konzerne als Projektpartner, noch bevor wir offiziell gegründet waren“, erinnert sich CTO Timo Koppe. „Das war Segen und Druck zugleich: Wir mussten sofort liefern.“

Und sie lieferten. Aus den ersten Projekten entstand eine Plattform, die heute von tausenden Mitarbeitern genutzt wird, unter anderem bei einem der größten Gabelstaplerhersteller der Welt und einer Investmentbank in den USA. Kein Laborprojekt, sondern täglicher Einsatz.

Investoren setzen auf Wissensmanagement

Auch die Investoren sind überzeugt. Im August 2025 schloss Genow eine Seed-Finanzierung über 1,65 Millionen Euro ab, angeführt vom High-Tech Gründerfonds, unterstützt von der BMH Hessen und drei erfahrenen Business Angels. „Nur wenige Teams verstehen die Bedürfnisse großer Corporates so gut wie dieses“, sagt HTGF-Investmentmanager Felix Assion.

Vier Köpfe, eine Mission

Was Genow besonders macht, ist nicht nur die Technik, sondern das Team: Jourdan, die Strategin mit Industrie-Background; Koppe, der Cloud-Experte mit Startup-Erfahrung; Glauben, der Produktdenker aus der KI-Forschung; und Buxmann, der Mentor, Professor, Kolumnist und Seriengründer. Vier Perspektiven, eine Mission.

„Am Ende geht es um Effizienz, aber auch um Qualität“, sagt Jourdan. „Wer die richtige Information zur richtigen Zeit hat, trifft bessere Entscheidungen, berät Kunden individueller, vermeidet Fehler. Genau dafür bauen wir Genow.“ Die Ambitionen sind groß: internationale Expansion, Ausbau der Plattform zur „Agent Suite“ für komplexe Workflows, Positionierung als Standard im Wissensmanagement.

In einer Branche, in der Schlagworte schnell kommen und gehen, setzt Genow auf Substanz. „Wir wollen das SAP des Wissensmanagements werden“, sagt Adrian Glauben. Noch ist es ein junges Startup aus Hessen. Aber die ersten Schritte deuten an: Hier entsteht mehr als nur ein weiteres KI-Tool.

Im Gespräch mit Sara Jourdan, Adrian Glauben, Timo Koppe und Peter Buxmann

Dr. Sara Jourdan. CEO und Co-Founder Genow GmbH
Dr. Sara Jourdan. CEO und Co-Founder Genow GmbH

Frau Jourdan, Herr Koppe, Herr Glauben, Herr Professor Buxmann – wie ist Genow entstanden?

Sara Jourdan: Die Idee ist aus einem echten Problem heraus entstanden. In fast allen großen Unternehmen, in denen ich gearbeitet habe, habe ich erlebt, wie viel Zeit und Energie durch fragmentiertes Wissen verloren geht. Mitarbeiter suchen in SharePoint, Confluence oder E-Mails nach Informationen, verlieren Stunden und finden unterschiedliche Versionen derselben Datei. Als wir am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der TU Darmstadt genau dieses Thema forschend bearbeiteten und gleichzeitig der Hype um generative KI aufkam, war uns klar: Hier gibt es eine Chance. Wir hatten das Wissen, das Problem und ein Team.

Timo Koppe: Der entscheidende Moment kam, als wir merkten: Unternehmen wollen ChatGPT nicht für ihre Weihnachtsgedichte, sondern für ihr eigenes Wissen. Sie wollen eine Plattform, die mit den internen Daten genauso intelligent umgeht wie ChatGPT mit dem Internet. Nur eben kontextbewusst, sicher und skalierbar. Das war der Startpunkt für Genow.

Adrian Glauben: Wir hatten am Institut bereits tief in Sprachmodellen geforscht. Der Unterschied war: Wir haben verstanden, dass es nicht reicht, nur Dokumente zu indizieren. Der Kontext ist entscheidend – Abteilung, Rolle, Fachsprache. Das war die technische Geburtsstunde unseres Ansatzes.

Peter Buxmann: Als Professor sehe ich viele kluge Ideen, aber nur wenige, die wirklich marktreif werden. Hier hatte ich von Anfang an das Gefühl: Das kann funktionieren. Nicht nur im Labor, sondern in der Praxis. Deshalb habe ich das Team ermutigt, den Schritt zu gehen und ein Start-up zu gründen.

Dr. Adrian Glauben, CPO, Co-Founder Genow GmbH
Dr. Adrian Glauben, CPO, Co-Founder Genow GmbH

Was unterscheidet Genow von klassischen Suchmaschinen oder Chatbots?

Timo Koppe: Die meisten Suchlösungen durchsuchen Dokumente nach Schlagworten. Das ist 90er-Jahre-Technologie. Wir verstehen Inhalte semantisch, erkennen Zusammenhänge und liefern Antworten, die den konkreten Kontext des Fragenden berücksichtigen. Ob jemand im Vertrieb, in HR oder in Compliance sitzt – unsere Plattform weiß das und liefert die passende Antwort.

Sara Jourdan: Das bedeutet: Wir vermeiden die typische ChatGPT-Schwäche, nämlich generische Antworten zu geben. Unsere Agenten arbeiten ausschließlich mit den Daten des Unternehmens, und sie geben Ergebnisse aus, die belastbar sind. Für einen Mitarbeiter in der Instandhaltung heißt das zum Beispiel: Er bekommt nicht irgendein Handbuch, sondern genau die richtige Passage, die er in diesem Moment braucht.

Adrian Glauben: Ein weiterer Unterschied ist, dass wir nicht nur Antworten geben, sondern auch Wissenslücken erkennen. Das System lernt kontinuierlich, welche Informationen fehlen, und hilft, sie zu ergänzen. Damit wird das Wissen einer Organisation nicht nur nutzbar, sondern auch systematisch erweitert.

Dr. Timo Koppe, CTO & Co-Founder Genow GmbH
Dr. Timo Koppe, CTO & Co-Founder Genow GmbH

Wie kam es dazu, dass Sie schon früh internationale Großkunden gewonnen haben?

Sara Jourdan: Das war eine Mischung aus Timing und Netzwerk. Als der Hype um generative KI begann, riefen Konzerne bei uns am Lehrstuhl an. Sie hatten die Schlagzeilen gelesen und wollten wissen: Können wir das für unsere Daten haben? Wir haben zwei dieser Unternehmen direkt als Projektpartner gewonnen, noch bevor wir offiziell gegründet hatten.

Timo Koppe: Das war ein Glücksfall. Und ein enormer Druck. Denn die Unternehmen erwarteten nicht in drei Jahren ein fertiges Produkt, sondern sofort Ergebnisse. Wir haben also Prototypen in Wochen gebaut, getestet, wieder verworfen, neu gebaut. Das hat uns gezwungen, sehr schnell marktreif zu werden.

Adrian Glauben: Und es hat uns die Augen geöffnet: Beratung reicht nicht. Jedes Unternehmen will am Ende eine Plattform, die es selbst bedienen kann. Aus diesen Projekten wurde die Produktidee, die heute Genow ist.

Professor Peter Buxmann, Wirtschaftsinformatiker an der TU Darmstadt, Co-Founder Genow
Professor Peter Buxmann, Wirtschaftsinformatiker an der TU Darmstadt, Co-Founder Genow

Wie schwer war der Schritt von der sicheren Uni-Position ins Startup-Leben?

Adrian Glauben: Es war eine Abwägung. Man hätte auch eine Stelle in der Industrie nehmen können, mit gutem Gehalt und Sicherheit. Aber die Chance, hier wirklich etwas Großes zu bauen, kommt vielleicht nur einmal. Wir wussten: Das Team stimmt, das Timing stimmt, und das Problem ist real. Das hat den Ausschlag gegeben.

Sara Jourdan: Natürlich gab es Zweifel. Familie und Freunde fragen: Muss das sein? Aber für mich war es klar. Ich hatte in der Industrie gesehen, wie gravierend das Problem ist. Und ich wollte es lösen. Das Risiko hat sich für mich richtig angefühlt.

Timo Koppe: Wir haben uns gegenseitig gestützt. Jeder von uns wusste, dass es hart wird, aber wir haben uns vertraut. Das war entscheidend.

Peter Buxmann: Ich sage immer: Unternehmertum braucht Mut, aber auch Realismus. Man muss Risiken eingehen, aber sie kalkulieren. Bei diesem Team hatte ich das Vertrauen, dass sie es schaffen können.

Was war der schwierigste Moment bisher?

Sara Jourdan: Die Phase, in der wir gleichzeitig Produkt entwickeln, Kunden bedienen und Investoren überzeugen mussten und das alles ohne große Ressourcen. Da schläft man wenig.

Timo Koppe: Technisch war es die Herausforderung, verschiedenste Datenquellen zuverlässig zusammenzuführen. SharePoint, Confluence, proprietäre Eigenlösungen der Kunden … jedes System tickt anders. Dass wir das sauber integriert haben, war ein entscheidender Durchbruch.

Adrian Glauben: Für mich war es auch die Zeit, in der wir intern um die Produktstrategie gerungen haben. Jeder hatte eine Vision, und wir mussten sie zusammenbringen. Das hat Diskussionen gekostet, aber uns auch stärker gemacht.

Wofür werden die Mittel eingesetzt?

Sara Jourdan: In drei Richtungen: Erstens in die Produktentwicklung. Wir arbeiten an einer neuen Agent Suite, die noch komplexere Workflows automatisiert. Zweitens in Vertrieb und Marketing. Wir müssen lauter werden, international sichtbarer. Und drittens in den Teamaufbau. Entwickler, Customer Success, Sales.

Timo Koppe: Das Ziel ist, aus dem erfolgreichen Pilotprojekt-Charakter herauszukommen und eine skalierbare Plattform für den internationalen Markt aufzubauen.

Herr Professor Buxmann, warum ist Ihnen die Förderung von Start-ups so wichtig?

Peter Buxmann: Für mich ist es eine ökonomische Notwendigkeit und eine persönliche Überzeugung. Forschung darf nicht im Elfenbeinturm bleiben. Sie muss in die Praxis, sie muss Wirkung entfalten. Startups schaffen Arbeitsplätze, treiben Innovation voran und stärken den Standort. Und für mich persönlich ist es eine Freude, junge Menschen auf diesem Weg zu begleiten. Ich sehe es als Teil meiner Aufgabe als Professor, Unternehmertum zu fördern.

Welche Rolle spielt die TU Darmstadt in dieser Geschichte?

Adrian Glauben: Ohne die TU wäre das alles nicht möglich gewesen. Wir hatten hier die Forschungsumgebung, das Netzwerk und mit HIGHEST eine starke Unterstützung bei der Gründung.

Sara Jourdan: Das Spin-off-Label der TU Darmstadt war für uns auch ein wichtiges Signal. Es zeigt: Wir kommen aus exzellenter Forschung und bringen sie in die Praxis.

Timo Koppe: Und es öffnet Türen zu Partnern, zu Kunden, zu Investoren.

Wo soll Genow in zehn Jahren stehen?

Adrian Glauben: Unser Ziel ist, der Standard im Wissensmanagement zu werden so selbstverständlich wie SAP für ERP (Anmerkung: Enterprise Resource Planning, also integrierte Softwarelösungen) ist. Jeder große Konzern soll seine Wissensagenten mit Genow.ai betreiben.

Sara Jourdan: Wir wollen international präsent sein und zeigen, dass Deep-Tech aus Deutschland global erfolgreich sein kann.

Timo Koppe: Und wir wollen technologisch vorne bleiben. KI entwickelt sich rasant, und wir wollen diejenigen sein, die neue Standards setzen.

Peter Buxmann: Ich wünsche mir, dass die nächste Generation von Studierenden sagt: Wir wollen es machen wie Genow. Dann hätten wir wirklich etwas bewegt.