Heinerboxen machen Darmstadt krisenfest
Resiliente Technik an Laternen
2025/12/03
Derzeit installiert ein Team der TU Darmstadt gemeinsam mit der Wissenschaftsstadt die im LOEWE-Zentrum emergenCITY entwickeltenHeinerboxen: Sensorboxen, die auch ein Notfallnetz aufspannen können. Sie erfassen nicht nur Umweltdaten und Verkehr, sondern testen auch neue Wege der Krisenkommunikation. Damit verwandelt sich der Darmstädter Lichtenbergblock in ein Reallabor für Notfallkommunikation und nachhaltige Stadtentwicklung.
Seit Ende November hängen die ersten Heinerboxen im Lichtenbergblock, einem zehn Hektargroßen Teil des gründerzeitlichen Darmstädter Martinsviertels. Insgesamt rund 40 Boxen werden an Straßenlaternen montiert. Dort messen sie in etwa vier Metern Höhe das Mikroklima und den Verkehr im Quartier. Das Team des LOEWE-Zentrums emergenCITY hat die Heinerbox in und für Darmstadt entwickelt. Daher auch der Name: „Heiner“, der Spitzname der Darmstädterinnen und Darmstädter, trifft auf Sensorboxen.
Das Besondere: Die Heinerbox misst im Alltag wie in der Krise und verfügt über die nötige Technik, um im Ernstfall ein Notfallnetz aufspannen zu können. Das Anwendungs- und Transferzentrum Digital Resilience Xchange (DiReX), das ebenfalls zur TU Darmstadt gehört, begleitet unter anderem die Weiterentwicklung der Boxen im Praxisbetrieb. Der hessische Wissenschaftsminister Timon Gremmels erklärt: „Mit den Heinerboxen zeigt Darmstadt, wie exzellente Forschung direkt im Alltag der Menschen ankommt. Was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im LOEWE-Zentrum emergenCITY entwickelt haben, wird hier im Lichtenbergblock zum gelebten Transfer: Modernste Messtechnik hilft, das Stadtviertel besser zu verstehen und kann im Ernstfall Leben schützen. Die Messdaten der Heinerbox werden für alle öffentlich zugänglich sein und über eine Webseite zudem verständlich erklärt. Das erhöht das Vertrauen in die Wissenschaft enorm. Die Verbindung von Wissenschaft, Stadt und Zivilgesellschaft macht aus dem Quartier ein Reallabor für nachhaltige Stadtentwicklung und resiliente Krisenkommunikation – und damit zu einem Vorbild weit über Hessen hinaus.“
Matthias Hollick, wissenschaftlicher Koordinator von emergenCITY und Professor für Informatik an der TU Darmstadt, ergänzt: „Mit der Heinerbox zeigen wir, dass Digitalisierung den Menschen vor Ort dient und gleichzeitig die Resilienz der Stadt erhöht. Dass dabei alle gewünschten Daten in anonymisierter Form erhoben werden, war uns schon beim Entwurf der Heinerbox ein zentrales Anliegen.“
Hanno Benz, Oberbürgermeister der Wissenschaftsstadt Darmstadt, betont: „Für Darmstadt ist die enge Anbindung an die Forschung der TU Darmstadt ein Glücksfall. Hier im Quartier können wir erproben, welche Technologien bei der Stadtplanung von morgen und in Krisenzeiten helfen, ohne dass für die Stadt zusätzliche Kosten entstehen.“ Zum Reallabor im Lichtenbergblock gehört neben der Heinerbox auch die Litfaßsäule 4.0, der Prototyp einer Warnsäule auf dem Riegerplatz, die seit April dort steht. Die energieautarke Säule kann auch bei einem Stromausfall noch Informationen und Warnmeldungen anzeigen.
Auch sie aus der emergenCITY-Forschung hervorgegangen, die das Land Hessen über das LOEWE Förderprogramm ab 2020 bis Ende 2026 mit rund 32 Millionen Euro fördert.
Heinerboxen evaluieren Verkehrsmaßnahmen der Wissenschaftsstadt Darmstadt
Die Heinerboxen erfassen Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Feinstaub und Lichteinstrahlung, also Werte, die Aufschluss über das kleinräumliche Stadtklima geben. Hinzukommt ein Abstandssensor, der Daten zu Verkehr und Flächennutzung liefert. Auch der Lärmpegel wird gemessen und die Geräusche automatisch klassifiziert, beispielsweise als Verkehrslärm, Hundegebell oder Musik. Darüber entsteht ein präzises Bild davon, wie der öffentliche Raum genutzt wird – ohne personenbezogene Daten zu erheben. Das dient unmittelbar der Stadtplanung: Die Heinerboxen begleiten Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung und für erhöhte Verkehrssicherheit, die die Wissenschaftsstadt Darmstadt im Lichtenbergblock unter dem Projekttitel „Heinerblock“ umsetzt. Ziel ist ein lebenswerteres Quartier.
„Mit den Maßnahmen wollen wir in einem ersten Aufschlag den Durchgangsverkehr reduzieren, Fahrradfahren und Carsharing fördern sowie die Schulwege sicherer machen. Mithilfe der Heinerboxen lassen sich auch Effekte von kleineren Veränderungen evaluieren,“ sagt PaulGeorg Wandrey, Mobilitätsdezernent der Wissenschaftsstadt.
Resilienz und Nutzen für den Krisenfall von Anfang an mitgedacht
Die Sensorboxen sind so gestaltet, dass sie auch in Krisensituationen funktionieren. Selbst wenn Strom, Internet oder Mobilfunk für mehrere Tage ausfallen, erfassen sie weiter Daten, dank der Integration einer Batterie und verschiedener Funktechnologien wie LoRa, WiFi und Bluetooth.
Gerade in einer Krise werden die Heinerboxen besonders wertvoll: Ihre Messwerte können Einsatzkräften entscheidende Hinweise liefern. So weisen zum Beispiel erhöhte Feinstaubwerte auf einen Brand hin und Verkehrsdaten unterstützen die Planung von Hilfsmaßnahmen. Solche praktischen Einsatzmöglichkeiten wird auch das Anwendungs- und Transferzentrum DiReX in den nächsten Jahren weiterverfolgen. „In Krisenzeiten brauchen wir zuverlässige digitale Technologie, um bestmöglich auf kritische Ereignisse reagieren zu können und uns schnell wieder von der Krise zu erholen. Mit DiReX investieren wir gezielt in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und stärken unsere digitale Resilienz, wissenschaftlich und praxisnah“, bekräftigt Prof. Dr. Kristina Sinemus, hessische Ministerin für Digitalisierung und Innovation, in Wiesbaden.
„Resilienz entsteht nicht im Labor, sondern im Miteinander“, ergänzt Michèle Knodt, Direktorin von DiReX und Professorin für Politikwissenschaft an der TU Darmstadt. „Wenn Menschen verstehen, mitreden und mitgestalten, wird digitale Technik zur echten Stärke in Krisen. Genau das wollen wir mit DiReX und der Heinerbox erreichen – gemeinsam mit der Stadt, der Politik und den Bürgerinnen und Bürgern.“
Ein Notfallnetz für die Bevölkerung im Lichtenbergblock
Die eingebauten Funktechnologien könnten zukünftig im Ernstfall auch ein Notfallnetz ermöglichen. Darüber ließen sich Warnmeldungen und Handlungsanweisungen der Behörden verbreitet oder Hilferufe absetzen. Die erste Idee: Sich per WLAN mit einer Heinerbox verbinden und auf dem eigenen Handy eine einfache Website mit aktuellen Lageinformationen angezeigt bekommen. Um alle im Quartier einzubinden, begleitet die Heinerboxen eine breit angelegte Informationskampagne: Dazu gehören eine Website, Informationen im Viertel und ein Film mit prominenten Darmstädter Gesichtern wie Schauspieler Hans-Joachim Heist, Stadtführerin Aurora DeMeehl und YouTuber Dietmar Diamant.
Außerdem setzen die Forschenden auf Transparenz: Die Messdaten und Forschungsergebnisse werden öffentlich zugänglich sein, damit alle sehen, was sich im Quartier verändert. Jede Laterne mit Heinerbox bekommt in den nächsten Wochen einen QR-Code, über den die Daten dann abgerufen werden können. Um gemeinsam und vor Ort über Resilienz ins Gespräch zu kommen, ist im kommenden Frühjahr eine weitere Aktion geplant. DiReX und emergenCITY laden zur Familien-Rallye im Lichtenbergblock ein. Dabei dreht sich alles um die Heinerboxen und das Thema Krisenvorsorge – spielerisch, spannend und kindgerecht vermittelt. Am 21. März 2026 startet die Rallye mit einem großen Aktionstag, bei dem Familien und Interessierte an verschiedenen Stationen im Viertel rätseln, entdecken und ausprobieren können.
Über das LOEWE-Zentrum emergenCITY
Wie kann die Funktionsfähigkeit von Städten mit digital vernetzten Infrastrukturen auch inKatastrophen sichergestellt werden? Das LOEWE-Zentrum emergenCITY forscht seit 2020an resilienten Infrastrukturen, die digitale Städte vor Krisen und Katastrophen schützen.Die Lösungskonzepte umfassen moderne Informations- und Kommunikationstechnik, Cyber-Physische Systeme sowie die historischen, rechtlichen, sozialen und baulichen Aspekteder Krisen- und Katastrophenabwehr. Mehr als 90 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerarbeiten in vier vernetzten Programmbereichen und sechs Forschungsmissionen zusammen.
emergenCITY ist eine interdisziplinäre und standortübergreifende Kooperation, an der diePartneruniversitäten Technische Universität Darmstadt, Universität Kassel und Philipps-Universität Marburg beteiligt sind. Zu den assoziierten Partnern zählen das Bundesamt fürBevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt(DLR) und die Wissenschaftsstadt Darmstadt. Die Forschung wird durch das LOEWE Forschungsförderungsprogrammdes Bundeslandes Hessen seit 2020 bis Ende 2026 mit rund 32Millionen Euro gefördert. LOEWE steht für Landes- Offensive zur Entwicklung wissenschaftlichökonomischerExzellenz.