Der Wirkung von Herzmedikament auf der Spur

Forschungsarbeit in PNAS veröffentlicht

28.06.2024

Unser Herzschlag, aber auch die Funktion von Nervenzellen, werden durch spezielle Ionenkanäle, die sogenannten HCN-Kanäle, reguliert. Ein Forschungsteam aus Mailand und Darmstadt hat jetzt entschlüsselt, wie der Wirkstoff Ivabradin aus einem viel genutzten Herzmedikament in diesen Kanälen wirkt. Die Entdeckung, die im renommierten Journal „Proceedings of the National Academy of Sciences „veröffentlicht wurde, könnte zu neuen, präziseren Medikamenten führen, die Herzprobleme behandeln, ohne unerwünschte Nebenwirkungen im Gehirn zu verursachen.

Wirkstoff in der Pore des HCN-Kanals.

Der Rhythmus des Herzschlags wird durch die Funktion eines bestimmten Typs an Ionenkanälen im Gewebe reguliert. Die sogenannten Hyperpolarisations-aktivierten zyklischen Nukleotid-gesteuerten Kanäle, kurz HCN-Kanäle, bestimmen die Frequenz von elektrischen Oszillationen in unseren Zellen. Ganz konkret sind sie damit für die Frequenz des Herzschlags, aber auch für elektrische Prozesse in Nervenzellen verantwortlich. Trotz dieser immensen Bedeutung in der Steuerung von so zentralen Prozessen in der Physiologie des Menschen gibt es bisher nur einen einzigen zugelassenen Wirkstoff, Ivabradin, um Fehlfunktionen der HCN-Kanäle zu korrigieren und so bestimmte Krankheiten zu behandeln. Ivabradin wirkt dabei als Blocker eines HCN-Kanal-Subtyps, der vorwiegend im Sinusknoten im Herz vorkommt. Es wird daher schon seit langem erfolgreich bei Erkrankungen wie Angina pectoris oder chronischer Herzinsuffizienz eingesetzt. Das Problem ist, dass es im Gehirn weitere HCN-Kanal-Subtypen gibt, die von Ivabradin blockiert werden. So erzeugt das Medikament erhebliche Nebenwirkungen. Daher gibt es Bestrebungen, Blocker zu finden, die genau die HCN-Subtypen im Herzen spezifisch blockieren, ohne die Kanäle im Gehirn zu tangieren.

Eine Gruppe von Forscherinnen und Forschern um Professorin Anna Moroni und Professor Andrea Saponaro von der Universität Mailand sowie Professor Gerhard Thiel aus dem Fachbereich Biologie der TU Darmstadt hat nun mittels Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) die Struktur des HCN4-Kanals im Komplex mit dem Blocker Ivabradin in der Pore aufgelöst. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler:innen jetzt im Journal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS).

„Durch die Ergebnisse können wir verstehen, wo genau der Blocker im Kanal bindet und wie genau der Mechanismus der Wirkung ist“, erläutert Thiel. „Der zentrale und wichtige Beitrag der TU Darmstadt war dabei, dass wir mit Hilfe von molekular-dynamischen Simulationen am Lichtenberg-Hochleistungsrechner verfolgen können, wie der Blocker sich in dem Kanal bewegt und wie er den Ionenfluss unterbindet.“

Durch die molekular-dynamischen Simulationen am Lichtenberg-Hochleistungsrechner konnten Jan Krumbach und Professor Kay Hamacher (Fachbereich Biologie) an der TU Darmstadt die Dynamik des Blockers im Protein nachverfolgen. Daraus ergibt sich ein detailliertes Bild darüber, wo Ivabradin in der Pore bindet und wie es mittels elektrostatischer Abstoßung den Fluss von Ionen durch die Kanalpore blockiert. Neben diesen Detaileinblicken fanden die Forschenden Hinweise auf den Beitrag von bisher unbekannten Bindungsstellen. Diese Forschungsergebnisse eröffnen neue Perspektiven für die Suche nach HCN-Blockern, die besser zwischen den HCN Subtypen unterscheiden können. So könnten in der Zukunft möglicherweise Nebenwirkungen des Medikaments minimiert werden.

Die aktuelle Zusammenarbeit ist nur ein Baustein in einer erfolgreichen Kooperation zwischen der Gruppe an der Universität Mailand und dem Centre for Synthetic Biology an der TU Darmstadt im Hinblick auf ein Verständnis der HCN Kanalfunktion: In einem kürzlich bereits erschienenen Artikel konnten Doktoranden in der Gruppe um Professor Hamacher unter Mitwirkung der Kolleginnen und Kollegen aus Mailand zeigen, wie die Aktivität der HCN-Kanäle durch einen zellulären Liganden gesteuert wird. sip

Clusterprojekt „CoM2Life“

Das Centre for Synthetic Biology ist auch beteiligt am Clusterprojekt „CoM2Life“, das im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder zur Vollantragstellung für die Förderlinie Exzellenzcluster aufgerufen ist.

„CoM2Life“ zielt darauf ab, eine grundlegend neue Generation weicher Biomaterialien zu entwickeln, die durch die Integration von Prinzipien lebender Systeme in der Lage sind, mit biologischen Systemen wie Zellen und Geweben in permanente und wechselseitige Kommunikation zu treten. Hierbei folgen die Forschenden einem Ansatz, der das chemiezentrierte Design von Biomaterialien mit dem Design regulatorischer Schaltkreise der synthetischen Biologie verbindet. Dies ermöglicht die Entwicklung von intelligenten Biomaterialien, die fähig sind, Signale aus ihrer Umgebung selektiv zu erfassen, intern zu verarbeiten und daraufhin bedarfsgerecht Aktuatoren und Effektoren zu steuern.

Insgesamt ist die TU Darmstadt mit drei Projektskizzen im Wettbewerb der Exzellenstrategie vertreten. Neben CoM2Life zu kommunizierenden Biomaterialien sind dies „Reasonable Artificial Intelligence“ (RAI) zu Künstlicher Intelligenz und „The Adaptive Mind“ (TAM) aus dem Bereich der Kognitionswissenschaften.