Das Labor kommt in der Kiste

Freude am Studieren in schwierigen Pandemiezeiten

22.12.2020 von

Wegen des Coronavirus läuft der Lehrbetrieb inzwischen im zweiten digitalen Semester. Wie lassen sich Studierende weiterhin motivieren, welche Methoden, Ideen, kleinen Gesten oder neuen Online-Rituale helfen, den virtuellen Arbeitsalltag persönlicher und abwechslungsreicher zu machen? Didaktik-Professor Markus Prechtl gibt Tipps, die nicht nur in der Chemie Funken sprühen lassen.

Markus Prechtl ist Professor für Fachdidaktik im Fachbereich Chemie.

Die Digitalisierung hat Markus Prechtl nicht unvorbereitet getroffen. „Digitale Medien“, sagt der Professor für Fachdidaktik im Fachbereich Chemie der TU Darmstadt, „sind bei uns Standardthema und Teil der Ausbildung“. Wie vermittele ich Inhalte digital, wie arbeite ich damit im Labor? Fragen, mit denen sich seine Lehramtsstudierenden seit langem schon befassen. Dennoch räumt der 44-Jährige ein, war das rein virtuelle Semester auch für ihn eine Umstellung. „Die Digitalisierung hat Potenzial, aber auch Grenzen.“ Praktische Experimente im Labor lassen sich in der Chemie eben nicht so einfach ersetzen. „Mit der Nase davorsitzen, Stress fühlen, wenn es schnell gehen muss – das kommt im Video nicht so rüber“, weiß der Didaktik-Experte. „Und es riecht nichts“, scherzt er. Gerade das sei in der Chemie aber auch wichtig.

Mit der Nase davorsitzen, Stress fühlen, wenn es schnell gehen muss – das kommt im Video nicht so rüber.

Professor Markus Prechtl versucht, Vorlesungen und Seminare per Zoom für seine Studierenden praxisnah und lebhaft zu gestalten. „Ich unterrichte nicht nur ein Fach, sondern Menschen und die will ich jeden Tag motivieren.“ Seine Studierenden fordert er auf, die Kamera einzuschalten. „Es ist eine Form von Höflichkeit, dass man sein Gegenüber sieht.“ Sein Homeoffice hat der Wissenschaftler so gestaltet, dass es durchaus auch Einblicke in die heimischen vier Wände erlaubt. „Wir schauen uns gegenseitig in die Wohnung. Das hebt die Hierarchie auf“, findet er. Jede Lehrveranstaltung startet Prechtl mit einem „Warm-up“, oft in Form kurzer Spiele. „Die sorgen für eine positive Atmosphäre, die meist eineinhalb Stunden hält“, hofft er. So sollen seine Studierenden etwa die Kamera mit der Hand bedecken und nur diejenigen den Blick freigeben, die seine Frage mit Ja beantworten. „Auf diese Weise muss man sich nicht melden, die Hürde ist geringer.“ Bei einem anderen Spiel sind alle Namen in einen Zufallsgenerator eingegeben, der sich wie ein Glücksrad dreht. Wer ausgewählt wird, darf auf Fragen der Kommilitoninnen und Kommilitonen antworten. Auch das weicht die Hierarchie auf. „Ich gebe die Verantwortung in die Gruppe“, erklärt er.

Kleine Brücken für die Videokonferenz

Kleine persönliche Eindrücke entspannen die Lernatmosphäre. Prechtl bittet seine Studierenden, Fotos als virtuellen Hintergrund zu wählen, die ihnen wichtig sind. Das können Bilder von ihren Hobbys sein, von Ereignissen oder Orten. Er selbst hat beispielsweise einmal ein Bild von einem Experiment eingestellt, bei dem er funkensprühende Eisenwolle schwenkt. Andere haben sich beim Lieblingssport präsentiert. „Damit kommt man sich näher.“ Das sind kleine Brücken, um auch per Videokonferenz eine „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ zu ermöglichen, ist er überzeugt.

Jeweils am Anfang und Ende lädt er zu solchen Ritualen ein. „Gäste begrüßt man ja auch an der Tür und verabschiedet sie wieder.“ Ein solches Szenario am Ende der Lehrveranstaltung ist die Blitzlicht-Methode. Momentaufnahmen der Veranstaltung oder des Tages, die den Studierenden im Gedächtnis geblieben sind. Prechtl stellt meist eine Abschlussfrage: Was war thematisch für Sie heute neu? Was emotional berührend, welches Bild sehen Sie, wenn Sie die Augen schließen? Die Antworten der Studierenden setzen für ihn so eine Art „Klammer“ um die Vorlesung. Bei seinen Lehramtsstudierenden kommen diese didaktischen Kniffe gut an. „Sie sehen das als Wertschätzung und gleichzeitig auch als mögliche Methoden, die sie selbst im Unterricht später anwenden können.“ Bei dem Fotospiel etwa wählen sie mit viel Bedacht die Bilder aus.

In diesem Semester lautet das Forschungsthema Kosmetik-Chemie. Prechtl und seine Mitarbeiterin Dr. Ute Brinkmann haben dazu an ihre Studierenden Materialkisten herausgegeben, die sie zusammengestellt haben. Darin finden sich Öle, Emulgatoren, Duftstoffe oder Pflegemittel, aus denen die angehenden Lehrerinnen und Lehrer dann nach Anleitung Bioseife, Cremes, Lippenstift oder Duschgel herstellen. Der Professor hat in die Materialkisten auch schon mal Messtechnik gepackt und seine Teilnehmer/innen auf Solo-Exkursion an einen Bach im Wald geschickt. „Ein bisschen wie Hobbythek“, schmunzelt Prechtl. „Wir müssen kreativ sein. Schließlich kann nicht jeder ins Labor.“ Und mit diesen Kisten kommt das Labor eben nach Hause. Wobei: Abholen müssen die Studierenden die Boxen vorher selbst beim Fachbereich.

Ein wöchentliches Sorgen-Zoom

Ganz locker geht es bei den Zoom-Abenden zweimal im Semester zu. Da kann sich jeder reinklicken, einen Plausch halten und gemeinsam etwas trinken. Niedrigschwellig ist auch der wöchentliche „Sorgen-Zoom“, eine Sprechstunde, in der eine Studentin bei Fragen oder Problemen weiterhilft. Ein bisschen an den Film „Die Feuerzangenbowle“ erinnert die Weihnachtsvorlesung, die Markus Prechtl zusammen mit befreundeten Kollegen und Kolleginnen der Uni Lüneburg, Siegen, Graz und Wien gehalten hat. Bei der Zoom-Konferenz ging es um die „Chemie der Kerze“. Alle Lehrenden widmeten sich daheim im Homeoffice oder im Labor in viertelstündlichen Vorträgen unterschiedlichen Themenbereichen vom Wachs bis zum Brennwert. Prechtl referierte in seiner mit Lichterkette weihnachtlich dekorierten Wohnung über Ruß – mit Hut, Flambierbrenner und reichlich Funkensprühen.

Die Weihnachtsvorlesung war auf YouTube zu sehen. Film und Live-Chat verfolgten plötzlich über tausend Follower mit viel Lob, aber auch Albernheiten, freut sich der TU-Professor. „Ein bisschen Witz“, betont der 44-Jährige, „soll schließlich auch dabei sein.“ Funktioniert das in der experimentierfreudigen Chemie besser als in anderen Fachbereichen? Der Didaktiker ist überzeugt, dass sich „jedes Fach digital anschaulich und spannend gestalten lässt.“