Unbemannt auf hoher See

Hochschulgruppen unter der Lupe: das Sailing Team der TU Darmstadt

20.10.2023

„Technik lernt Segeln“: Das ist das Motto des Sailing Teams Darmstadt (stda). Seit 2008 entwickelt die Hochschulgruppe Segelboote, die unbemannt und energieautark den Atlantik überqueren sollen. Das autonome Segeln birgt neue Herausforderungen, die innovative und kreative Lösungen benötigen. Dazu arbeiten die Studierenden unterschiedlicher Fachbereiche in interdisziplinären Teams zusammen, die sich mit Aufgaben aus den Bereichen Energieversorgung, Kursfindung, Elektronik, Regelungstechnik, Mechanik, Organisation und Software beschäftigen.

Der erste Prototyp des Sailing Teams namens „Estelle“ basiert auf einem Segelboot-Modellbausatz der Firma Robbe mit einer Länge von 1,1 Metern. Die zentralen Komponenten sind Kompass, Gyroskop, GPS und Windfahne sowie Servomotoren zur Positionierung von Ruder und Segel. Die selbst geschriebene Software für den Bord-PC erlaubt es Estelle ohne Kontakt zur Außenwelt autonom auf ruhigem Gewässer zu segeln. Die Energieversorgung erfolgt mittels eines vorher zu ladenden Akkus. Dieser Prototyp wurde entwickelt, um die zentralen Komponenten eines erfolgreichen autonomen Segelboots zu identifizieren und deren Zusammenspiel mit der künstlichen Intelligenz zu erproben.

Im Rahmen der World Robotics Sailing Championships 2013 in Brest, Frankreich, segelte Estelle bereits sieben Kilometer unbemannt über den Atlantik. Dabei folgte das Boot vorgegebenen GPS-Koordinaten und bewältigte alle Aufgaben, für die für gewöhnlich ein Mensch an Bord sein muss, selbst.

„roBOOTer“, der zweite Prototyp, befindet sich seit 2015 in der Entwicklung. „Sein 2,2 Meter langer Rumpf wurde rund um die Solarzelle vom Sailing Team selbst konstruiert“, erzählt Moritz Dafelmair, Teil des Elektrotechnikteams. Damit konnte das Boot auf seine speziellen Anforderungen zugeschnitten werden, denn die Atlantiküberquerung erfordert Extremes. Es warten Wellen, höher als das über drei Meter hohe Boot, schwer erkennbare Hindernisse, sowie Stürme, Gewitter, zeitweise nur wenig Licht für die Solarzelle und vor allem gibt es niemanden, der eingreifen kann.

Die selbst geschriebene Software für den Bord-PC erlaubt es Estelle ohne Kontakt zur Außenwelt autonom auf ruhigem Gewässer zu segeln.

Während das Softwareteam die Künstliche Intelligenz, welche das Boot für Monate autonom steuern soll, entwickelt, befasst sich das Elektronikteam unter anderem mit der Auslegung der elektrischen Komponenten hinsichtlich der Ernergieerzeugung/-versorgung, der Aktorik und Sensorik, sowie der bootsinternen Kommunikation. Das Schiff ist mit dem Automatic Identification System (AIS) ausgerüstet. Dieses System wird in der Schifffahrt genutzt, um andere Schiffe im Umkreis von 30 Kilometern zu erkennen. Dabei werden neben dem Namen des Schiffes seine Position, seine Geschwindigkeit und sein Zielhafen übermittelt.

Theoretisch hat ein Segelschiff Vorfahrt vor motorisierten Schiffen, jedoch sieht die Praxis wegen des Größenunterschieds anders aus. Mit einer Segelfläche von 1,76 m2 ist der „roBOOTer“ einem Containerschiff deutlich unterlegen. Für das Sailing Team ist klar: Ankommen ist das Ziel, denn bis jetzt hat es noch kein unbemanntes, energieautarkes Boot geschafft, den Atlantik von Osten nach Westen autonom zu überqueren. Das Sailing Team Darmstadt möchte die erste Gruppe sein, die diese Herausforderung meistert.

Neue, innovative Denkweisen

Dass nicht jeder im Team Segelerfahrung hat, scheint im ersten Moment paradox, birgt aber auch oftmals neue Ansätze und Denkweisen. So werden die Seile beim Einholen nicht auf Deck, sondern in einer speziell dafür entwickelten Kammer innerhalb des Rumpfs aufgerollt. Dadurch können sie sich selbst beim Einholen im Sturm nicht verhaken.

Die Software für die Steuerung eines Bootes zu bauen ist komplex – und wie bei jedem größeren Projekt schleichen sich in der Programmierung unweigerlich Fehler ein. Um möglichst viele davon zu finden, testen die Mitglieder des Sailing Teams ihre Software ausgiebig. Für die Interaktion der vielen Teilsysteme wird das Robot Operating System (ROS) verwendet, wodurch es aber ein bisschen schwieriger wird die verschiedenen Systeme zu testen. Dazu wurde intern ein Tool geschrieben, das dabei helfen soll. Es startet automatisch eine Komponente wie z.B. die Wegfindung, dann führt es den Test aus, und danach fährt es die Komponente wieder kontrolliert herunter. Dafür braucht es nur ein paar Zeilen Code, somit bleibt eine gewisse Übersichtlichkeit bestehen.

Die Teammitglieder sind begeistert von der Arbeit am Segelboot. Informatikstudent Moritz erklärt, wie fasziniert er war als er die ersten Parallelen zum Studium entdeckte. „Außerdem ist kaum Druck von außen da, denn es gibt keine Benotung, im Zentrum stehen Selbstständigkeit, Spaß, Freiheit und natürlich kommt die Gemeinschaft auch nicht zu kurz“, sagt er. In den wöchentlichen Treffpunkten wird sich über die neusten Fortschritte und Probleme, aber auch das Studium ausgetauscht. Dem Sailing Team geht es darum, Horizonte zu erweitern, fachlich, menschlich – und das alles auf dem Wasser.

eml

Sailing Team Darmstadt

Das Sailing Team Darmstadt ist ein gemeinnütziger Verein und als Hochschulgruppe der TU Darmstadt organisiert. Im Projekt sind derzeit etwa 20 Studierende und Doktoranden aktiv. Das Team setzt sich aus vier Gruppen zusammen: Organisation, Software, Elektrotechnik und Mechanik.

Jede Gruppe trifft sich einmal wöchentlich, um Aufgaben und Probleme in ihrem Bereich zu besprechen. Außerdem finden Stammtische statt, bei denen der interdisziplinäre Austausch besonders relevant ist. Weitere Interessierte und Mitglieder sind im Sailing Team willkommen. Ein Infoabend findet am 26. Oktober 2023 um 18 Uhr im Hochschulgruppenhaus S2|03 Raum 06 statt.

Homepage der Sailing Team Darmstadt