Ein moderner Präsident und homo politicus
Nachruf von TU-Präsident Professor Dr. Hans Jürgen Prömel
29.12.2012 von Prof. Dr. Hans Jürgen Prömel, Präsident der Technischen Universität Darmstadt
Mit Helmut Böhme ist eine große Persönlichkeit mit Charisma und feinem politischen Fingerspitzengefühl von uns gegangen.
Bei meinen leider viel zu seltenen Begegnungen mit ihm habe ich viel von dem erfahren und spüren können, was andere Wegbegleiter immer wieder hervorheben: Warmherzig mit sprühendem Humor, Witz, Charme und voller Lebensfreude. Und ein kraftvoller homo politicus mit liberalen Grundwerten. Darüber hinaus, und auch das kam immer zum Ausdruck: eine sozial feinfühlige Persönlichkeit, die sich humanitärem Engagement verpflichtet sah. Gerne erinnere ich mich an eine Diskussion mit ihm an einem lauen Juni-Abend im Böhmeschen Garten über die Entwicklung unserer TU Darmstadt. Schnell sind wir von der TU Darmstadt selbst zur ihrer Rolle in der Gesellschaft und ihrer Verantwortung gekommen, Fragen, die Helmut Böhme sehr viel bedeuteten.
Helmut Böhme war der erste Präsident der Technischen Hochschule Darmstadt von 1971 bis 1995, 24 Jahre lang. Er hat diese Universität geprägt wie niemand vor ihm.
Seiner Zeit weit voraus
Er war ein sehr moderner Hochschulpräsident, in vielen Dingen seiner damaligen Zeit weit voraus. Heute wird in der wissenschaftspolitischen Diskussion viel über die Notwendigkeit der Internationalisierung der deutschen Hochschulen gesprochen, um in einer globalisierten Welt konkurrenzfähig bleiben zu können, über die Wichtigkeit der Interdisziplinarität, über die Bedeutung eines prägnanten und modernen Forschungsprofils einer Universität und die Notwendigkeit und Verantwortung in der Region zu kooperieren. All das hat Helmut Böhme uns bereits vor 40 Jahren vorgelebt. Mit einer klaren Vorstellung von dem, was er wollte und großem politischen Durchsetzungsvermögen.
Der frühere hessische Kultusminister, der Soziologe Ludwig von Friedeburg, sprach 1995 im Namen auch seiner Nachfolger, Helmut Böhme sei für die Politik „nie ein pflegeleichter Präsident“ gewesen. Welch ein Lob!
Spuren und Vermächtnis
Was bleibt? Welche Spuren und insbesondere welchen Geist hinterlässt Helmut Böhme in der Technischen Universität Darmstadt? Was prägt diese Universität und bewahrt sie?
Es ist das weitverzweigte Netz an internationalen Beziehungen, früh mit großem Elan und viel politischem Mut von Helmut Böhme initiiert – besonders nach Mittel- und Südosteuropa. Wie nachhaltig es ist, zeigt auch der heutige Tag. Ohne Helmut Böhme gäbe es aber auch die ausgezeichnete Kooperation mit der Tongji-Universität Shanghai nicht, 1980 offiziell besiegelt und richtungweisend für deutsch-chinesische Partnerschaftsbeziehungen. Und es gäbe die führende Rolle der TU Darmstadt in Europäischen Forschungsnetzwerken wie CESAER und CLUSTER nicht, deren Präsident er über mehrere Jahre war.
Es ist das Profilmerkmal der großen, tatsächlich gelebten Interdiszplinarität, die die TU Darmstadt vor allen anderen Technischen Universitäten in Deutschland auszeichnet. Helmut Böhme hat es stets auf gewinnende und konsensuale Art vermocht, zusammenzuführen, Positionen und Personen zu integrieren, divergierende Interessen zu koordinieren und auszugleichen. Die Balance zwischen den Ingenieurwissenschaften, die er stets als „Grundierung“ der TH bezeichnete, den Naturwissenschaften und den Sozial- und Geisteswissenschaften hat er hergestellt – alle drei Säulen sind heute disziplinär wie interdisziplinär stark.
Identitätskern und bleibende Aufgabe
Er hat die Grundlagen gelegt für wesentliche Merkmale des heutigen modernen Forschungsprofils der TU Darmstadt: durch Aufbau des Forschungsbereichs Materialwissenschaft, durch Aufbau und systematische Förderung der Informatik und des Fraunhofer-Instituts für graphische Datenverarbeitung, durch den Beschleuniger S-DALINAC, der an der TU Darmstadt im Jahr 1991 eingeweiht wurde. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Helmut Böhmes Auffassung vom Identitätskern der TH Darmstadt ist noch zu spüren, aktuell und modern. Früh in seiner Amtszeit sagte er, die Aufgabe einer technischen Universität sei es, in Lehre und Forschung den gesellschaftspolitischen Stellenwert einer wissenschaftlichen Ingenieurausbildung unter Beweis zu stellen. Ein Ingenieur müsse in der Lage sein, Visionen zu entwickeln, Bestehendes in Frage zu stellen, interdisziplinär zu arbeiten und an Lösungen in komplexen Problemfeldern mitzuwirken.
Das ist sein Vermächtnis und bleibt unsere unveränderte Aufgabe.
Wir verneigen uns mit großer Hochachtung vor seiner Lebensleistung.