Zukunftsfabrik Mikroalge

Beste Voraussetzungen für Algenforschung an der TU Darmstadt

11.09.2014 von

Biologieprofessor Ralf Kaldenhoff macht Mikroalgen fit für die Industrie. Die Kleinstlebewesen könnten vielfältige Produkte aus Kohlenstoffdioxid und Licht herstellen.

Professor Ralf Kaldenhoff im Mikroalgen-Labor. Bild: Katrin Binner

Die leuchtend grüne Brühe mit den ebenso grünen Würfeln aus Gelee sieht aus wie ein futuristisches Nahrungsmittel. Ralf Kaldenhoff, Professor für angewandte Pflanzenwissenschaft an der TU Darmstadt, schwenkt den Kolben und sagt: „Das könnte man auch essen.“

Doch die Suppe mit Einlage dient vor allem einem höheren Ziel: In ihr stecken Mikroalgen, die die Erderwärmung stoppen sollen. Aber warum in Würfelform? Das erleichtere die Laborarbeit, erklärt der Wissenschaftler, denn die Würfel lassen sich einfach herausfischen, wenn das Nährmedium gewechselt werden muss.

Mit Mikroalgen beschäftigt sich Kaldenhoff seit anderthalb Jahren. Die Photosynthese, Basis ihres Stoffwechsels, erforscht er aber schon seit zwei Jahrzehnten. „Die Photosynthese ist der einzige biochemische Prozess, der große Mengen Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre entnimmt und erst in Zucker und anschließend in viele andere Stoffen verwandelt“, sagt er und findet, dass sich die Industrie daran ein Beispiel nehmen sollte, denn dann würde sie das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid bei der Herstellung vieler Produkte binden statt freizusetzen. Die Vision lautet daher, Pharmawirkstoffe, Grundchemikalien und andere Substanzen zukünftig mit Mikroalgen herzustellen.

Die potenziellen Retter des Weltklimas sind nur wenige Mikrometer groß und nicht zu verwechseln mit ihren größeren Verwandten, den Makroalgen, die man von Sushi kennt. Mikroalgen kommen nahezu überall vor, erklärt Kaldenhoff: „Vom Nordpol bis zum Südpol und sogar in Wüsten.“ Laut Schätzungen gibt es über hunderttausend Arten, im Detail charakterisiert sind aber noch keine hundert.

Gesundheitsfördernd für Menschen

Im TU-Labor gedeihen zum Beispiel die kugelige einzellige Alge Chlorella und die besonders kleine Nannochloropsis, die sich in salzhaltigem Brackwasser wohl fühlt. Auch mit der einfach zu züchtenden, grünbläulichen Spirulina beschäftigen sich die Darmstädter Wissenschaftler – auch wenn sie keine Alge ist, sondern ein Cyanobakterium, früher auch als Blaualge bezeichnet.

Die Blutregenalge, in der Fachsprache Haematococcus genannt, fällt ebenfalls aus der Reihe: Bei Nahrungsmangel oder starkem Sonnenlicht schaltet sie die Photosynthese ab, geht in ein Ruhestadium über und produziert rote Farbstoffe, darunter das starke Antioxidans Astaxanthin. Es schützt nicht nur die gestresste Alge vor zu starkem UV-Licht, sondern gilt auch für den Menschen als gesundheitsfördernd.

Antioxidanzien, Vitamine, alle essenziellen Amino säuren – Algen produzieren schon von Natur aus viele für den Menschen wertvolle Substanzen. Und sie können noch mehr: Kaldenhoff und seine Mitarbeiter verändern die grünen Kleinstlebewesen gentechnisch so, dass sie Substanzen synthetisieren, die natürlicherweise nicht in ihnen vorkommen. Die Forscher haben schon menschliche Gensequenzen, welche die Insulin-Produktion steuern, in das Erbgut der Algen eingeschleust – so ließe sich der Diabetes-Wirkstoff aus der Algenkultur gewinnen. Auch für die Impfstoffproduktion taugt das Verfahren. Dafür bauen die Forscher Virengene in Algen ein, zum Beispiel jene Gensequenzen, die den Bauplan für Proteine der Virenhülle enthalten.

Gentechnische Verfahren sind an Algen noch nicht so etabliert wie an Bakterien oder Hefezellen. Das mache den Reiz aus, findet Kaldenhoff. Er und seine Mitarbeiter arbeiten zwar noch an den Grundlagen, haben die Anwendung aber schon im Blick. Ziel ihrer Forschung ist auch, herauszufinden, unter welchen Bedingungen eine bestimmte Alge am besten wächst. Einige vertragen viel Licht, andere nicht. Die einen brauchen nur wenig Eisen, andere mehr. Temperatur und Wasserqualität beeinflussen das Wachstum ebenfalls.

„Ein sehr spannendes, noch umstrittenes Feld“

Um besonders große Algen zu züchten, nutzt Kaldenhoff seine Erkenntnisse aus der Forschung an höheren Pflanzen. Hier beschäftigt er sich unter anderem mit sogenannten Aquaporinen, porenbildenden Proteinen in der Zellmembran, die laut etablierter Fachmeinung den Ein- und Austritt von Wasser regeln. „Einige Aquaporine steuern aber die Durchlässigkeit für Kohlenstoffdioxid, nicht den Wasserhaushalt“, ist Kaldenhoff überzeugt. „Das ist ein sehr spannendes, noch umstrittenes Feld.“ Die Darmstädter Forscher haben bereits nachgewiesen, dass genveränderte Tomaten und Tabakpflanzen, die mehr Aquaporine bilden, besser wachsen. Denselben Effekt beobachteten sie jetzt an Chlorella-Algen. Deren Durchmesser beträgt üblicherweise drei bis fünf Mikrometer, nach der gentechnisch angekurbelten Aquaporinproduktion waren sie vier bis fünfmal so groß.

Nicht nur an der Leistungsstärke der Algen, auch an Anlagen für ihre Kultivierung arbeiten Kaldenhoff und seine Mitarbeiter. In Asien und Südamerika sind offene Teiche durchaus gängig in der kommerziellen Algenzucht, etwa für die Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln.

Dieses Konzept kritisiert Kaldenhoff: „Eine verlässliche Produktion kann nur mit definierten Kulturen in geschlossenen Flüssigkeitskreisläufen gelingen.“ Tanks, Röhrenoder Flachbettsysteme – wenn Kaldenhoff untersucht, welche Anlagen sich am besten eignen, wird er schon mal zum Konstrukteur. Gerade hat er gewundene Acrylröhren auf einem Holzgestell befestigt. Stimmen die Strömungsverhältnisse? Bekommen die Algen in den Röhren genügend Licht? Das und mehr werden die Mitarbeiter nunmehr testen.

Anlagen im größeren Maßstab plant der Biologieprofessor mit Kooperationspartnern. Vor kurzem hat er das Unternehmen ALYONIQ mitgegründet. Außerdem laufen erste Gemeinschaftsprojekte an der TU gerade an.

„Das Schöne ist, dass sich auch Kollegen aus anderen Fachbereichen für unsere Algenprojekte interessieren“, freut sich Kaldenhoff. Seine Vision: eine Algenanlage, die direkt an das TU-Blockheizkraftwerk gekoppelt wird, um deren Kohlenstoffdioxid-Ausstoß noch weiter zu senken. Für das Unterfangen müssen Algenforscher und Anlagenbauer, Experten für Licht und Steuerungstechnik, für Strömungsverhalten und Klimatisierung zusammen an einem Strang ziehen. Mit ihrer Expertise auf diesen Gebieten bietet die TU Darmstadt die besten Voraussetzungen, damit die kleinen Algen groß herauskommen.