Von der Tüte auf den Teller
KIVA-Projekt B2P entwickelt Fallstudien zum Thema „Nahrung aus Müll?“
28.11.2014 von sip
Lässt sich aus Müll hochwertige Nahrung herstellen? Und welche technischen, politischen, ethischen und kulturellen Aspekte gilt es dabei zu berücksichtigen? Ihre Ergebnisse dazu präsentierten 108 Studierende der Biologie, der Politikwissenschaft und der Philosophie.
Das Szenario: Nahrungsknappheit beherrscht die Welt. Eine Nicht-Regierungsorganisation beauftragt ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, zu prüfen, ob sich die Nahrungskrise mit der Synthetischen Biologie lösen lässt.
Dass dieses Szenario, mit dem sich die Studierenden zu Beginn ihrer Projektwoche Mitte November konfrontiert sahen, doch nicht ganz fiktiv ist, zeigt ein Blick auf aktuelle Zahlen: Laut wissenschaftlichen Berechnungen wird der weltweite Bedarf an Nahrung die Produktion schon 2080 übersteigen. Gleichzeitig wird für das Ende dieses Jahrhunderts eine tägliche Abfallmenge von 12 Millionen Tonnen erwartet.
Wenn das Essen auch bei optimaler Produktion und Verteilung nicht mehr ausreicht – kann dann die Synthetische Biologie eine Lösung anbieten? Können eigens entwickelte Organismen Teile des weltweiten Abfalls in Nahrungsmittel umwandeln? Und welche ethischen und politischen sowie sicherheitstechnischen Herausforderungen entstehen dabei? Im interdisziplinären Studieneingangsprojekt „KIVA/B2P – Nahrung aus Müll?“ gingen die Studierende der Biologie, der Philosophie und der Politikwissenschaft in Fallstudien diesen Fragen nach.
„Sehr, sehr gute Lösungsideen“
Für Studierende in der Frühphase ihrer Ausbildung sei das eine große Herausforderung gewesen, so Biologie-Professor Heribert Warzecha, der die Abschlussveranstaltung der Projektwoche moderierte. Warzecha lobte die durchweg „sehr, sehr guten Lösungsideen“, die die Studierenden in ihren interdisziplinär zusammengesetzten Gruppen gemeinsam entwickelt hätten.
Wie stets in den KIVA-Eingangsphasenprojekten ging es dabei noch um mehr als um die Lösung der gestellten Aufgabe, wie Warzecha an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gewandt hervorhob: „Sie haben gelernt, sich in bunt zusammengewürfelten Gruppen zu verständigen, sich mit Kommunikationskultur und Teamstrukturen auseinanderzusetzen und miteinander zu arbeiten.“
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten frei wählen, für welches Land sie ihre Fallstudie entwickeln wollten. Sie befassten sich mit Schwellenländern, aber auch mit der Versorgung hoch entwickelter Nationen wie den USA, Luxemburg oder Australien.
Sehr unterschiedlich waren auch die Entwürfe dazu, welche mittels der Synthetischen Biologie veränderten Organismen für die Umwandlung des Rohstoffs „Müll“ in Nahrung zum Einsatz kommen können – auch ein Beleg dafür, dass in dieser Idee zur Ernährung der Welt Potenzial steckt.
Modifizierte E. coli-Bakterien, Champignons und Hefe
So ließen die drei Gruppen, die von einer Jury aus Wissenschaft und Industrie in die Endausscheidung gewählt wurden, in ihren Modellen zum Beispiel von modifizierten E. coli-Bakterien Polyethylen aus Plastiktüten, Folien oder Flaschen in Glycogen umwandeln, erzeugten modifizierte Champignons, die von Müllabbauprodukten leben und direkt verspeist werden könnten oder gentechnisch veränderte Hefe, die sich von Abbauprodukten des Polyethylens ernährt und ihrerseits direkt gegessen werden könnte.
Hefe voller Fette, Kohlehydrate, Proteine, Vitamine, genährt von Abbauprodukten aus Müllsäcken und alten Flaschen, hergestellt und gut vermarktet in China, wo die weltweit zweitgrößte Menge an Müll entsteht – das Konzept „Von der Tüte auf den Teller“, die skizzierten Einsatzwege der Synthetischen Biologie und das fiktive Produkt „HefePE“ überzeugten die Jurorinnen und Juroren.
Auch darüber, wie man die geschätzten Kosten von zwei Euro pro Mahlzeit für arme Bevölkerungsschichten erschwinglich machen und wie es mit der politischen Unterstützung und der Akzeptanz dieses fiktiven Produktes in China aussehen könnte, hatten sich die Studierenden Gedanken gemacht. Dafür erkannte ihnen die Jury den ersten Platz zu.
KIVA-Studieneingangsprojekte
Mit ihren interdisziplinären „ingenieurberuf-typischen“ Projekten gleich in der Startphase des Studiums hat die TU Darmstadt vor Jahren bundesweit Maßstäbe gesetzt: Was vor Jahren im Bauingenieurwesen und Maschinenbau begann, inspiriert an der TU Darmstadt immer mehr Fachbereiche unter großem Einsatz der Lehrkräfte zu ähnlichen Projektwochen. Gebündelt werden diesen Veranstaltungen als Teilprojekt V unter dem Dach des vom Programm Qualitätspakt Lehre geförderten . Projekts KIVA (Kompetenzentwicklung durch interdisziplinäre Vernetzung von Anfang an)
Im Studienjahr 2014/15 laufen vier Projekte mit rund 1850 Studierenden in der Studieneingangsphase. Sie erarbeiten in fächerübergreifend gemischten Gruppen Lösungskonzepte für komplexe, praxisnahe Aufgaben – intensiv betreut von Lehrkräften und versierten Fach- und Teambegleiterinnen und -begleitern. Dabei geht es um innovative Lösungen, aber auch darum, teamorientiert zu arbeiten und soziale wie kommunikative Kompetenzen zu erwerben und zu erproben.
Wie später im Berufsleben müssen die Studierenden Brücken zwischen Fächern mit oft ganz unterschiedlichen Anforderungen, Vokabular oder Arbeitsweisen schlagen. Erfahrungen aus den Vorjahren haben gezeigt: Die Freude an der Interdisziplinarität, die in den Studieneingangsprojekten geweckt wird, hält lange an und motiviert zu weiteren Studienerfolgen.
Im Projekt „KIVA B2P – Nahrung aus Müll“ haben 108 Studierende der Biologie, der Philosophie und der Politikwissenschaft zusammengearbeitet.