Das süße Gift der Begünstigungen

Darmstädter Historiker erforschen das Phänomen Korruption

18.03.2014 von

Korruption und ihre Skandalisierung haben eine lange Geschichte. Historiker der TU Darmstadt um Professor Jens Ivo Engels erklären, welche Praktiken und Gesetzmäßigkeiten in der Moderne dahinter stecken.

Untersucht Mechanismen der Bündnisse zwischen Geld und Macht: Prof. Jens Ivo Engels. Bild: Katrin Binner

Bestechung, Vetternwirtschaft, Vorteilsnahme: Korruptes Verhalten hat viele Facetten und undurchsichtige Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft bieten schon lange Zündstoff für öffentliche Debatten. Jens Ivo Engels, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der TU Darmstadt, umschreibt das Phänomen der Begünstigung mit dem Begriff „Mikropolitik“. Korruption, so erklärt er, ist dagegen die Bewertung dieser Praktiken, die sich in der Geschichte häufig verändert hat.

„Ohne Mikropolitik funktioniert Politik nicht“, ist der Korruptionsexperte überzeugt. „Und es wird immer einen Graubereich mit einem System von Begünstigungen und Seilschaften geben, solange Menschen handeln“. Engels und sein Wissenschaftlerteam sind nicht nur der Frage auf den Grund gegangen, wie diese Mikropolitik funktioniert und sich im Laufe der Zeit gewandelt hat, sondern auch, wie die daraus abgeleiteten Korruptionsvorwürfe zu einem schlagkräftigen politischen Instrument werden können.

Korruption im Sinne von „Missbrauch eines öffentlichen Amtes zu privaten Zwecken“ gibt es erst seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, also seit Privates und Öffentliches strikt getrennt wurden. Zuvor galten die Förderung von Freunden und Verwandten, die Annahme von Geschenken und der Handel mit Posten auch für Inhaber öffentlicher Ämter als legitime Praktiken des sozialen Austausches.

„Solange die Patronage nicht zu exzessiv wurde, nahm kaum jemand daran Anstoß“, sagt Engels. Seit der Epoche der Aufklärung und der großen Staatsreformen an der Wende zur Moderne aber waren Amtsträger ausschließlich dem Staat verpflichtet. Gleichzeitig bestimmte dieser die Rahmenbedingungen für eine im Laufe des 19. Jahrhunderts immer komplexer werdende Wirtschaft – ein neuer Nährboden für umstrittene Verflechtungen.

„Korruption ist das, was wir zu Korruption machen“

Die Darmstädter Historiker, die im Rahmen des deutsch-französischen Projekts „Korruption in der Moderne“ Zeitungen, Gerichtsprozesse, Parlamentsprotokolle, Briefe, Petitionen, Nachlässe und Memoiren aus der Kaiserzeit und der Weimarer Republik ausgewertet haben, verfolgen bei der Analyse des Phänomens Mikropolitik einen konstruktivistischen Ansatz und sind auf der Suche nach Handlungsmustern. Dabei unterscheiden sie zwischen den Praktiken und ihrer Rezeption in der Öffentlichkeit.

„Korruption ist das, was wir zu Korruption machen“, erklärt Volker Köhler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der TU Darmstadt. Wie die Kumpanei zwischen Politik und Wirtschaft und die darauf folgende Skandalisierung in der Öffentlichkeit schon in der Kaiserzeit funktionierten, zeigt zum Beispiel die Kornwalzer-Affäre.

Hier versorgten Beamte aus dem Kriegsministerium und anderen Dienststellen den Rüstungskonzern Krupp mit Informationen über die militärischen Planungen des Deutschen Reiches. Der SPD-Abgeordnete Karl Liebknecht, dem hierzu Material zugespielt wurde, verstand es 1913 geschickt, den Vorgang in einer Reichstagsdebatte um die Erhöhung des Wehretats zu thematisieren. Die Presse sprang auf das Thema an. Der Skandal war perfekt.

Da Korruption kein Straftatbestand war, kamen in verschiedenen Prozessen der Verrat militärischer Geheimnisse und Bestechung zur Anklage. „Die Verfahren brachten zu Tage, dass die Beamten die sensiblen Informationen praktisch für ein Butterbrot verkauft hatten“, berichtet Köhlers Projektkollegin Anna Rothfuss. Kleine Gefälligkeiten wie Theaterkarten oder Essenseinladungen waren die Gegenleistung. Ebenso gering war das Unrechtsbewusstsein der Betroffenen. Sie begründeten ihr Vorgehen damit, Krupp, das Militär und der Staat hätten schließlich die gleichen Interessen.

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