Mittler zwischen den Kulturen

Über die Arbeit in multinationalen Teams

26.02.2015 von

Auf was kommt es an, damit Integration gelingt, Leistungsfähigkeit sich entfalten und persönliche Zufriedenheit wachsen kann? Um die Potenziale multinationaler Forschungsgruppen optimal nutzen zu können und die oft unterschiedlichen Denk- und Handlungsweisen in die tägliche wissenschaftliche Arbeit zu integrieren, sind die jeweiligen Vorgesetzten gefordert.

Die internationale Forschungsgruppe von Professor Müller-Plathe. Bild: Katrin Binner

Weltoffenheit und die internationale Ausrichtung von Studium, Lehre und Forschung: Das sind für die TU Darmstadt zentrale Werte – aus der Überzeugung heraus, dass Internationalität eine Hochschule bereichert. Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus anderen Ländern bringen eigenes Fachwissen und Erfahrungen sowie mit ihrer Kultur verbundene Denk- und Handlungsweisen mit. Doch der Blick in die Ferne hat auch ganz pragmatische Gründe: Dort finden Professorinnen und Professoren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sie hierzulande vergeblich suchen.

Internationalität macht Arbeit. Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland brauchen Unterstützung im Kontakt mit der Uni-Verwaltung und der Bibliothek, mit Ämtern und Vermietern. Selbst wenn die Sekretärin dabei oft die wichtigste soziale Schaltstelle ist – auch der Chef einer Forschungsgruppe muss bei der Integration helfen und bei der Arbeit oft stärker führen, als er es gewohnt ist.

Kulturelle Eigenheiten der Herkunftsländer

Je multinationaler ein Team, desto größer zudem das Potenzial für Missverständnisse und Konflikte untereinander. Und die können schlimmstenfalls die Arbeit einer Forschungsgruppe bremsen, selbst wenn deren einzelne Mitglieder hoch motiviert und engagiert sind. Dann sind die Leiterinnen oder Leiter einer Forschungsgruppe als Mittler zwischen den Kulturen gefordert – genauso wie bei der Koordination internationaler Forschungsprojekte.

Mit gutem Willen allein kommen sie da aber nicht weiter. Um zu begreifen, warum (konstruktive) Kritik den einen Kollegen irritiert oder warum Anreize und Zielvereinbarungen bei einem anderen ins Leere laufen, braucht es Wissen um die kulturellen Eigenheiten der Herkunftsländer und Verständnis von interkultureller Kommunikation – das sagen auch zwei Forschungsgruppenleiter und eine -leiterin im hoch³-Gespräch. Sie berichten über Orientierungshilfen für Neuankömmlinge, ungewohntes Hierarchiedenken, Sprachlosigkeit im Team und gemeinsame Ausflüge.

Führungskräfte im Interview über Geduld und Moderationskompetenz

Fingerspitzengefühl und traditionelle Kniffe wirken in multinationalen Forschungsgruppen

Professor Abdelhak Zoubir, Professor Florian Müller-Plathe und Professorin Iryna Gurevych. Bilder: Katrin Binner
Professor Abdelhak Zoubir, Professor Florian Müller-Plathe und Professorin Iryna Gurevych. Bilder: Katrin Binner

Sie sind es gewohnt und schätzen es, Teams mit Menschen aus vielen Staaten und Kulturen zu führen. Über ihre Praxiserfahrungen berichten Professorin Iryna Gurevych, Leiterin des Ubiquitous Knowledge Processing Lab am Fachbereich Informatik, Professor Abdelhak Zoubir, Leiter der Signal Processing Group am Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik, sowie Professor Florian Müller-Plathe, Professor für Theoretische Physikalische Chemie am Fachbereich Chemie.

Verschiedene Nationalitäten, verschiedene Zeitzonen: Die Mitarbeiter bei Professor Müller-Plathe haben die Uhrzeit ihres Heimatlandes stets im Blick. Bild: Katrin Binner
Verschiedene Nationalitäten, verschiedene Zeitzonen: Die Mitarbeiter bei Professor Müller-Plathe haben die Uhrzeit ihres Heimatlandes stets im Blick. Bild: Katrin Binner

hoch³: Welche Nationalitäten sind in Ihrer Forschungsgruppe vertreten?

Iryna Gurevych: Meine 25 Mitarbeiter am Fachgebiet Ubiquitäre Wissensverarbeitung und die sieben Doktoranden im Promotionsprogramm »Knowledge Discovery in Scientific Literature« stammen aus Tschechien, Russland, Brasilien, USA, Kanada, Iran, Südkorea, China und Indien. Ich selbst komme aus der Ukraine.

Abdelhak Zoubir: Meine 20 wissenschaftlichen Mitarbeiter stammen aus Deutschland, Ägypten, Syrien, Türkei, China, Algerien und Äthiopien. Außerdem haben wir einen Gastforscher aus Australien da. Und ich bin gebürtiger Algerier.

Florian Müller-Plathe: Gegenwärtig arbeiten 13 Kollegen aus Deutschland, China, Iran, Zypern, Litauen, Indien in der Gruppe, demnächst kommen Neuzugänge aus Japan, China und Brasilien dazu. Insgesamt hatten wir schon 24 Nationalitäten von allen Kontinenten außer Australien und der Antarktis und aus etwa zehn Zeitzonen.

Was brauchen Sie als Leiterin bzw. Leiter einer multinationalen Forschungsgruppe?

Gurevych: Geduld und Moderationskompetenz – übrigens unabhängig davon, welche Nationalitäten in der Gruppe vertreten sind. Um Konflikten vorzubeugen, hilft es sehr, sich über die Bildungssysteme der Herkunftsländer genau zu informieren. Auch kann ich empfehlen, die Erwartungen an die Mitarbeiter aus dem Ausland sowie die in der Gruppe übliche Arbeitsweise stets sehr explizit und deutlich zu beschreiben.

Zoubir: Die Fähigkeit, integrierend zu wirken. Es ist sehr wichtig, dass die Forscher, egal welcher Herkunft, sich wohl fühlen. Dann nämlich werden sie nicht nur als internationale Forscher, sondern als heimische Forscher wahrgenommen – und fühlen sich selbst heimisch. Und man muss die kulturellen Unterschiede in der Kommunikation kennen und stets auf sie achten.

Müller-Plathe: Vor allem Wissen über meine Hauptrekrutierungsländer. Das hole ich mir durch Fachliteratur, den Austausch mit Kollegen in den Ländern oder interkulturelles Training.

Was sind typische Missverständnisse oder Konflikte?

Gurevych: In vielen anderen Ländern werden Doktoranden nicht auf Projektstellen beschäftigt, sondern mit Stipendien ausgestattet. Daher sind ihnen unsere Erwartungen an einen Doktoranden oft nicht geläufig. Auch trauen sich viele Doktoranden nicht, Probleme offen anzusprechen – oder sie überhaupt zu erkennen. Dafür fehlt ihnen häufig die Erfahrung.

Zoubir: Die Unabhängigkeit in der Forschung genießt bei uns hohe Priorität, aber manche Forscher sind diesen Umgang mit der Freiheit nicht gewohnt. Daraus können Missverständnisse zwischen dem Leiter der Gruppe und den Mitarbeitern entstehen. Zwischen den Mitarbeitern aus verschiedenen Kulturkreisen kann es zu Konflikten oder Verärgerung kommen, wenn sie aufgrund ihres unterschiedlichen kulturellen Hintergrunds aneinander vorbeireden und sich missverstanden fühlen.

Müller-Plathe: Sprachlosigkeit ist oft ein größeres Problem als Konflikte. Ein Beispiel: Ein europäischer Mitarbeiter hat sich bei mir über einen chinesischen Kollegen beschwert, der ihm nicht die notwendigen Daten lieferte. Tatsächlich aber wartete der Kollege darauf, nach den Daten gefragt zu werden. Es entspricht nicht seinen Gewohnheiten, sich damit »aufzudrängen«. In solchen Fällen nehme ich mir die Zeit, beide Seiten für die kulturellen Unterschiede zu sensibilisieren. Außerdem unterscheiden sich die Erwartungen an die Chefrolle deutlich zwischen Europa/ Nordamerika und Asien/Südamerika. Ohne Order von oben fühlen sich manche Forscher alleingelassen. Vor allem Asiaten sind es gewohnt, Anweisungen auszuführen. Ich komme ihnen mit enger Führung entgegen. Aber ich mache zugleich transparent, dass eigenverantwortliches Arbeiten einen Wert hat. Auch bei der Publikation von Forschungsergebnissen brauchen viele Mitarbeiter einen Anstoß zum Umdenken. Manche versuchen aus Gewohnheit, den Chef zufriedenzustellen; dabei sollen sie Veröffentlichung ja als eigene Leistung begreifen.

Was tun Sie außerdem, um Kollegen und Kolleginnen aus anderen Ländern zu integrieren?

Gurevych: Das hängt sehr davon ab, aus welchem Land die Mitarbeiter kommen. Grundsätzlich fördere ich die Bildung von Kleingruppen mit drei bis fünf Mitarbeitern und einem speziellen thematischen Fokus – sodass die Mitarbeiter einen intensiven Austausch mit erfahrenen Kollegen finden. Ich bitte auch immer einen erfahrenen Kollegen aus der Gruppe, den neuen Mitarbeiter zu begleiten, bis die Einarbeitung abgeschlossen ist. Wir haben auch ein Wiki, in dem viele Informationen zu alltäglichen Problemen von der Gruppe zusammengetragen wurden. Last, but not least gehe ich als Mentor und Betreuer mit gutem Beispiel voran: Auch ich komme aus dem Ausland und zeige, wie man sich eine erfolgreiche Karriere in einem fremden Land aufbauen kann. Die Fakten überzeugen und schaffen Vertrauen.

Zoubir: Grundlegend ist für mich die kulturelle Mischung einer internationalen Forschungsgruppe: Ich achte darauf, dass nicht die überwiegende Mehrheit der Forscher aus einer einzigen Kultur stammt. Sonst ist die Gefahr groß, dass sie unter sich bleiben. Ein Leiter sollte auch zum Ausdruck bringen, dass gemeinsame soziale Unternehmungen erwünscht sind. In meiner Gruppe organisieren die Mitarbeiter zum Beispiel einen Stammtisch, Filmabende und Ausflüge. Sie helfen, die kulturellen Cluster aufzulösen.

Müller-Plathe: Ich habe schon bei der Bewerberauswahl die Gruppendynamik im Blick. Denn Südeuropäern oder Südamerikanern gelingt es leichter, zurückhaltende Kollegen aus der Reserve zu locken. Mit den Neuankömmlingen mache ich ein »Deutschland-Training«. Hier erläutere ich Aspekte wie die für Deutsche typische Trennung von Beruf und Privatleben, die Neigung zum Arbeiten nach Plan oder die selbstverständliche Einhaltung von Regeln wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Bei gemeinsamen Ausflügen berücksichtige ich kulturelle oder religiöse Gepflogenheiten. Ein Kneipenabend ist nicht immer passend – und das urdeutsche Kegeln bringt den Forschern aus dem Ausland oft mehr Spaß als ein Opernbesuch.