Universitäre Grundlagenforschung verteidigen

Experten analysieren das deutsche Wissenschaftssystem

25.02.2015 von

Denken und handeln Universitäten immer stärker nach übertriebenen ökonomischen Prinzipien? Orientieren sich Wissenschaftler zu oft an kurzatmigen Förderprogrammen? Und ist die Kooperation mit außeruniversitären Einrichtungen und der Industrie noch im Lot? Eine Podiumsdiskussion an der TU Darmstadt am 24. Februar lieferte pointierte Ansichten und Antworten.

Podiumsdiskussion im Maschinenhaus: (v.l.n.r.) TU-Präsident Prof. Hans Jürgen Prömel, Prof. Joachim Sauer, Dr. Thomas Geelhaar, Prof. Helmut Schwarz und Moderatorin Marion Schmidt. Bild: Sandra Junker

Wie risikofreudig darf, soll und muss Forschung in Deutschland sein und wie entspannt oder angespannt ist das Verhältnis zwischen Universitäten und den bisweilen konkurrierenden Gesellschaften außeruniversitärer Spitzenforschung? Mit diesen Kernfragen regte die Moderatorin Marion Schmidt bei einer Podiumsdiskussion an der TU Darmstadt gleich zum Auftakt die Debattierlust auf dem Podium an: Vor rund einhundert Besucherinnen und Besuchern diskutierten neben dem TU-Präsidenten Professor Hans Jürgen Prömel der Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, Professor Helmut Schwarz, der Vorsitzende der Deutschen Bunsen-Gesellschaft, Professor Joachim Sauer und Dr. Thomas Geelhaar, Präsident der Gesellschaft Deutscher Chemiker und Sprecher der Chemieforschung des Unternehmens Merck.

Gefährliche Tendenzen

Sieht die Grundlagenforschung als den „eigentlichen Antrieb der Wissenschaft“: Professor Helmut Schwarz, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung. Bild: Sandra Junker
Sieht die Grundlagenforschung als den „eigentlichen Antrieb der Wissenschaft“: Professor Helmut Schwarz, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung. Bild: Sandra Junker

Professor Schwarz unterstrich im Verlauf der zweistündigen Veranstaltung seine Position, die Grundlagenforschung, „der eigentliche Antrieb der Wissenschaft“, sei gefährdet und es müsse ein „Schutzzaun“ um sie errichtet werden. Er forderte ein Bekenntnis zu ihrer bedingungslosen öffentlichen Förderung als „Allgemeingut“. Schwarz kritisierte, dass Regeln der Industrieforschung und „unternehmerisches Handeln“ in den Universitäten immer stärker Einzug hielten. „Aber es ist eben nicht alles unbedingt sofort nützlich, anwendungsbezogen, verwertbar“. Vielmehr gelte es, „Freiräume für Kühnes“ zu erhalten und „Performance nicht an allein an Drittmitteln zu messen“. Schwarz weiter: „Die jungen Leute in der Forschung richten sich heutzutage danach, wo die Fördergeld-Töpfe sind. Und das ist gefährlich.“

Thomas Geelhaar pflichtete dem bei und berichtete, er sehe in der Grundlagenforschung eine Tendenz hin zu „kurzfristigen, also drei- bis fünfjährigen Förderungsprogrammen, bei denen die Ziele eng definiert sind, schnell geliefert werden muss und die wissenschaftliche Breite nicht mehr abgedeckt wird.“ Auch in der Industrieforschung wachse der „Druck, in 12 bis 18 Monaten Produktreife zu erreichen.“ Geelhaar betonte, dass zwar die Kooperationsmodelle zwischen Industrie- und Grundlagenforschung in der Chemie noch gut funktionierten. Aber, so fragte er in die Runde: „Haben wir die richtigen zeitgemäßen Instrumente, um den Transfer aus Unis und außeruniversitären Einrichtungen zu gewährleisten?“

Die Breite vereinen

Professor Joachim Sauer (Mitte), Vorsitzender der Deutschen Bunsen-Gesellschaft. Bild: Sandra Junker
Professor Joachim Sauer (Mitte), Vorsitzender der Deutschen Bunsen-Gesellschaft. Bild: Sandra Junker

Professor Joachim Sauer meinte, dass Deutschland „eines der besten Forschungs- und Wissenschafts-Förderungssysteme habe und beschrieb die Aufgabenverteilung etwa zwischen Deutscher Forschungsgemeinschaft und Bundesforschungsministerium als „passend“. Präsident Prömel wiederum betonte, die Technische Universität schlage die Brücke zwischen der Grundlagenforschung („sie hat einen hohen Stellenwert“) und Anwendungsbezug. „Wir können diese Breite vereinen und einen ständigen Dialog untereinander hervorbringen.“ Weiter sagte der Uni-Präsident, der Einzug von Wettbewerb tue den Hochschulen zwar gut, aber eine enge Fixierung etwa auf Drittmitteleinnahmen sei eher kontraproduktiv. „Sie sind kein Selbstzweck.“ An der TU Darmstadt sei die Einwerbung aus öffentlichen und industriellen Geldquellen „gut ausbalanciert“.

Und wie steht es aktuell um die Kooperation der Universitäten mit Fraunhofer-, Max Planck- oder Helmholtz-Gesellschaft? „Wir haben alle Akteure beisammen, aber das Zusammenspiel dirigieren und orchestrieren kann nur die Politik“, so Prömel. In der Kooperation „auf Augenhöhe“ hätten die Universitäten in den letzten Jahren an Status verloren. So müsse die Entwicklung gestoppt werden, dass Exzellenzprojekte der Universitäten nach Ablauf der Förderung in außeruniversitäre Einrichtungen überführt und dort finanziell langfristig abgesichert werden. „So werden uns die Besten abgeworben und Universitäten filetiert“. Professor Sauer stimmte zu, dass die Unis „kein Steinbruch“ sein dürften, forderte zugleich aber von ihnen „mehr Selbstbewusstsein“ ein. Außerdem sollten sie die Freiheit und Verantwortung erhalten, „Spitzenleistung fördernde Bedingungen zu schaffen, und das nicht nur in materieller Hinsicht.“

Politischer Wille

Zeit für Fragen an das Podium. Bild: Sandra Junker
Zeit für Fragen an das Podium. Bild: Sandra Junker

Da Dr. Georg Schütte, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, kurzfristig krankheitsbedingt seine Teilnahme absagen musste, fehlte auf dem Podium die Politik als Adressat von Dauerthemen wie chronische Unterfinanzierung oder Hemmnisse des Föderalismus. So musste die provokante These, wonach „es der Politik an Willen fehlt, die Universitäten international wettbewerbsfähig zu halten“, auf dem Podium selbst durch einen „Hoffnungsschimmer“ abgemildert werden: Vielleicht bringe die Aufhebung des Kooperationsverbots von Bund und Ländern ja etwas, weil der Bund jetzt einzelne Universitäten langfristig fördern kann.

Zum Abschluss durfte eine Frage an die drei renommierten Chemiker auf dem Podium nicht fehlen: Wie steht die Chemie in Forschung und Wissenschaft weltweit da? Hervorragend, lautete die einhellige Antwort. Die Zukunft der Disziplin könne „phantastisch“ sein. Freilich: „Um die dringenden Zukunftsfragen zu lösen, kommt man ohne Chemie nicht weiter. Aber mit Chemie alleine auch nicht.“ Ein kluges Plädoyer für Interdisziplinarität. Und zwar auf Augenhöhe.

Die Podiumsdiskussion „Mut zur Klarheit – die Bedeutung der Grundlagenforschung an Universitäten und außeruniversitären Institutionen" ist Bestandteil der von September 2014 bis Juli 2015 in Darmstadt stattfindenden Reihe „DA stimmt die Chemie“, die Wissenschaft erlebbarer machen, die Bedeutung Darmstadts als Wissenschaftsstadt unterstreichen und die enge Vernetzung zwischen Wissenschaft und Industrie verdeutlichen will.