Gebäude denken beim Brandschutz mit

Digitale Gebäudemodelle, Indoor-Navi und Serious Games für mehr Sicherheit

17.03.2015 von

Sie können Feuerwehren helfen, sich in brennenden Gebäuden schneller zu orientieren und den Ernstfall realitätsnäher zu üben: Wissenschaftler liefern digitale Technik und Gebäudesimulationen.

Brandsimulation am virtuellen Gebäude-Modell: Professor Uwe Rüppel (li.) diskutiert im Team die Fluchtwege-Szenarien. Bild: Katrin Binner

„Bauen ist Hightech“, sagt Uwe Rüppel. Gebäude sind für den Darmstädter Professor für Informatik im Bauwesen so etwas wie Kommunikationspartner. Ein Bürohochhaus zum Beispiel könnte Feuerwehren zum Brandherd leiten. Weil innerhalb von Gebäuden die Satellitennavigation via GPS nicht funktioniert, gelangen Brandbekämpfer oft nicht so schnell genug an Ort und Stelle. Durch Rauch müssen sie aus Sicherheitsgründen kriechen, statt schnell und aufrecht zum Ziel zu laufen. Und allzu oft werden sie von einer verschlossenen Türe aufgehalten. Eine alternative Route zu finden frisst Zeit, die Leben kosten kann.

Ein Navigationssystem, das innerhalb von Bauwerken seinen Zweck erfüllt, würde abhelfen. Die Brandbekämpfer würden rasch und aufrecht laufend ihr Ziel finden. Das Indoor-Navi könnte auch Wartungsarbeiter von Rauchmelder zu Rauchmelder führen, ohne dass eines der Geräte vergessen oder verwechselt wird. Rüppels Team hat bereits Demonstratoren für Indoor-Navis entwickelt. Nun sollen Gebäude noch „intelligenter“ werden und beim Brandschutz „mitdenken“.

Dazu wollen die Forscher auf dem Campus Lichtwiese auch unkonventionelle Lösungen finden. Sie prüfen neue digitale Konsumprodukte daraufhin, ob sie für ihre Zwecke nutzbar sind. So verfügen die Darmstädter bereits über das neue Tablet „Tango“ von Google mit eingebauter Umgebungserkennung. Aber auch die Videospielsteuerung „Kinect“ gehört zum Inventar des Instituts im Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften.

Funkwellen aus verschiedenen Quellen

Die ganze Vielfalt digitaler Technik zu nutzen, ist für die Bauingenieure und Informatiker Methode. Beim Indoor-Navi ist dieser Multimethodenansatz geradezu ein Muss: „Je mehr Sensoren es mit Informationen versorgen, desto genauer ist es“, erklärt Rüppel. Das Team nutzt Funkwellen aus verschiedenen Quellen für die Ortung. WLAN-Funksignale zum Beispiel schwächen sich mit dem Abstand zum WLAN-Router ab. Aus dem Ausmaß dieser Schwächung lässt sich der Abstand berechnen. Allerdings nur mit einer Genauigkeit von ein bis drei Metern. Die in Entwicklung befindliche Ultra-Breitband-Technologie (UWB von engl.: Ultrawideband) ist viel präziser: Sie ortet auf etwa 15 Zentimeter genau.

Die Position eines UWB-Empfangsgerätes lässt sich aus den Laufzeiten von Funksignalen mehrerer Sender und den Winkeln zwischen diesen Sendern und dem Empfänger ermitteln. Da kein Netzwerk ein Gebäude komplett abdeckt, setzen die Darmstädter Forscher auf die Kombination. Für entlegene Winkel im Haus bietet sich die so genannte RFID (RFID von engl.: Radio Frequency Identification) an, da die Technik ohne Verkabelung auskommt.


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Textilwaren tragen oft schon diese Funketiketten, die ihre Daten an ein Lesegerät senden, sobald dieses in ihre Nähe kommt. In Zukunft soll jedes einzelne Bauteil eines Gebäudes, etwa Fensterrahmen, Rohre oder Betonsäulen, mit solchen Funketiketten versehen werden. Das Gebäude enthält dann digitale Information über sich selbst. Ein Gasrohr unter dem Putz kann so einfach durch ein RFID-Lesegerät auf gespürt werden.

Mithilfe der Signalstärke gibt das Funketikett seine Entfernung vom Empfangsgerät preis. Aber die präziseste Ortung nutzt wenig ohne das digitale Modell eines Gebäudes. Und auch hier kommt die technische Entwicklung den Forschern entgegen. „Derzeit ist BIM in aller Munde“, sagt Rüppel.

„BIM“ steht für „Building Information Modeling“. Gemeint ist ein virtuelles dreidimensionales (3D-) Modell eines Gebäudes. Für das Indoor-Navi liefert das BIM die digitale 3D-Karte des Gebäudes. Am Frankfurter Flughafen haben die Darmstädter ein RFID-gestütztes Leitsystem für Wartungsarbeiten getestet. Dem Brandschutz dient es darüber hinaus noch viel mehr. „Sollte den Einsatzkräften eine Wand im Weg stehen, sagt ihnen das BIM, ob es sich um eine Betonwand handelt, oder ob sie sie durchschlagen können“, erläutert Rüppel. Und ob sie dabei auf eine Gasleitung achten müssen oder nicht. Das setze freilich voraus, dass das virtuelle Modell des Gebäudes bei jedem Umbau aktualisiert werde, spricht Rüppel ein wichtiges Sicherheitsproblem an.

Brandschutz schon bei der Planung

Da BIM auch Brandschutzregeln wie die Mindestbreite von Rettungswegen speichern kann, meldet es dem Architekten schon bei der Planung, wenn dieser einen Gang zu eng plant. „Heute wird teilweise erst nach der Eröffnung festgestellt, dass der Brandschutz unzureichend ist“, betont Rüppel. Das müsse dank BIM nicht so bleiben.

Rüppels Team will seine Methoden auch für ältere Bestandsgebäude nutzbar machen. Oft sei nur unzureichend bekannt, welche Sicherheit ein altes Gebäude im Brandfall biete. Dies lasse sich aber durch virtuelle Brandsimulationen erfassen. Die Basis dafür bietet BIM. Das virtuelle Gebäudemodell könne für Brände relevante Daten speichern, ob etwa Schreibtische aus Holz oder Metall bestünden, was eine Simulation von Ausbreitungstempo des Feuers und Rauchentwicklung erlaube. Dies helfe bei der Festlegung von Fluchtwegen, meint Rüppel.

"Die Sicherheit von älteren Bestandsgebäuden lässt sich damit besser bestimmen und teure Umbauten zur Erhöhung des Brandschutzes könnten unter Umständen vermieden werden.“ Und noch mehr: „Simulationen könnten Feuerwehrleute beim Finden des Brandherdes unterstützen“, meint Rüppel. Er betont, dass das immer nur Zusatzinformationen sein könnten und keine alleinige Entscheidungsgrundlage. Auch bei komplexen Brandsimulationen macht sich die Suche nach unkonventionellen Lösungen bemerkbar.

Ernsthafte Spiele

Hier hilft die Darstellung in Form von Serious Games („Ernsthafte Spiele“). Ein riesiger Beamer projiziert Simulationen auf eine Fläche, so groß wie eine Laborwand. So lassen sich Brandszenarien durchspielen, bei denen etwa das Fluchtverhalten erforscht werden kann. „Die Feuerwehr könnte mit Serious Games das Löschen virtuell trainieren“, sagt Rüppel.

Die Forscher nutzen auch Avatare, also virtuelle Spielfiguren, um das Verhalten von Menschengruppen im Brandfall zu simulieren. „Das BIM ermöglicht Experimente, die real nicht durchführbar sind“, so Rüppel.

Bislang ist das meiste noch Zukunftsmusik. Doch das liege nicht nur am technischen Entwicklungsbedarf, meint Rüppel. „Wir müssen Genehmigungsbehörden und Feuerwehren überzeugen“, sagt er. Der Forscher ist optimistisch: „Unsere Absolventen tragen diese Ideen in die Welt hinaus“.

Publikation

U. Rüppel, U. Zwinger, M. Kreger: „BIM und Sensorik im Brandschutz“, in „Building Information Modeling (BIM) – Technologische Grundlagen und industrielle Anwendungen“, Springer 2015