Erinnerung an eine verfolgte jüdische Bürgerin

„Stolperstein“ ehrt die während der NS-Zeit ermordete Jenny Jeidels

17.04.2015 von

Ein „Stolperstein“ erinnert nunmehr in Darmstadt an die jüdische Bürgerin Jenny Jeidels, die 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurde. Der Gedenkstein wurde auf dem Gehweg in Höhe der Alexanderstraße 2, dem letzten Wohnort Jeidels, verlegt, direkt angrenzend zu Liegenschaften der TU Darmstadt.

Der Stolperstein in der Alexanderstraße erinnert an die jüdische Bürgerin Jenny Jeidels und wurde an ihrem letzten Wohnort in Darmstadt verlegt. Bild: Paul Glogowski

Jenny Jeidels entstammte einer jüdischen Familie aus Darmstadt. Ihre Eltern Sophie, geb. Kahn, und David Stamm lebten in einem Haus an der Alexanderstraße 2 und leiteten ganz in der Nähe des Großherzoglichen Hoftheaters ein Café-Restaurant in der Alexanderstraße 6. David Stamm war Hoflieferant. Und immer, wenn Großherzog Ernst Ludwig die Oper besuchte, bestellte er ein Dinner beim Café Stamm.

Die Stamms waren fromme Juden. Zum Schabbat und an den jüdischen Feiertagen besuchten sie die Synagoge an der Friedrichstraße. Jenny Stamm war das vierte von acht Geschwistern und wurde am 8. Juni 1870 geboren. Mit 18 Jahren heiratete sie Max Jeidels, einen gebürtigen Berliner, von Beruf Kaufmann und Weinhändler.

Das Ehepaar Jenny und Max Jeidels bekam zwei Kinder – im August 1889 wurde Curt geboren, im März 1892 Norbert. Kurz danach trennten sich die Eltern. Jenny zog mit den beiden Söhnen bei ihren Eltern in der Alexanderstraße 2 ein. Im Februar 1900 wurde die Ehe geschieden. Max Jeidels wanderte nach Amerika aus.

Kurt und Norbert Jeidels wurden in der Liberalen Synagoge der Religionsgemeinde unterrichtet und erhielten eine kaufmännische Ausbildung. Im Juli 1922 heiratete Kurt Jeidels in Berlin-Charlottenburg die katholische Anna Jaworski und zog mit ihr nach Delft in Holland. Dort wurde im Dezember 1928 ihre Tochter Irene (Reni) Ottilie geboren. Kurt Jeidels starb am 5. Juni 1982 in Delft.

Bildergalerie zur Stolperstein-Verlegung

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Norbert Jeidels heiratete Margarete Ebel aus Pfungstadt. Im April 1908 begann er eine kaufmännische Lehre in der berühmten Darmstädter Möbelfabrik von Joseph Trier. Bis zur „Arisierung“ der Firma 1938 war er ein umsichtiger Verkäufer und erfolgreicher Akquisiteur. Er emigrierte im Januar 1939 nach Holland. Norbert Jeidels starb am 20. Juli 1967 in Den Haag.

Jenny Jeidels entschloss sich direkt nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Jahr 1933, nach Holland auszuwandern. Am 1. Mai 1933 wurde sie in die Gemeinde von Delft aufgenommen. Dort lebte bereits Jennys Schwester Lina mit ihrer Familie. Lina Stamm wurde im August 1866 in Darmstadt geboren. Auf einem Ball mit Studenten der Technischen Hochschule Darmstadt lernte sie den damals bei Professor Erasmus Kittler Elektrotechnik studierenden jungen Mann Clarence Feldmann (geboren im Januar 1867 in New York) kennen.

Die beiden verliebten sich und heirateten im Mai 1891 in Darmstadt. Nach einem Aufenthalt in Köln kehrte das Ehepaar 1902 mit seinen vier Kindern zurück nach Darmstadt. An der TH Darmstadt verfolgte Clarence Feldmann seine wissenschaftliche Karriere weiter. Im Spätsommer 1905 übernahm er eine Professur für Elektrotechnik an der Technischen Hochschule in Delft. In der Stadt besaß die Familie Feldmann ein großes Haus mit Garten am Rotterdamscheweg 101. Jenny Jeidels erhielt nach ihrer Emigration im Haus ein eigenes Zimmer mit Balkon, half im Haushalt und kümmerte sich um Lina, die an Asthma litt und nach einem Sturz gehbehindert war.

Hoffnung auf rettende Schiffspassage

Als die Deutschen im Mai 1940 Holland besetzten gerieten die holländischen Juden in schwere Bedrängnis. Immer mehr jüdische Freunde flohen aus Deutschland und suchten bei Feldmanns Zuflucht, in der Hoffnung auf eine rettende Schiffspassage nach Amerika. Im Juli 1941 starb Professor Clarence Feldmann an Lungenentzündung in einem Delfter Krankenhaus.

Am 5. März 1943 drang die holländische Polizei in die Wohnung der Feldmanns ein und verhaftete Jenny Jeidels und Lina Feldmann. Am nächsten Tag wurden die Schwestern in Lastwagen nach Den Haag verschleppt und in einem Zug in das „Polizeiliche Durchgangslager“ Westerbork deportiert. Lina starb am 1. April 1943 an Entkräftung und fehlender medizinischer Versorgung. Jenny wurde in Westerbork in die Strafbaracke 67 einquartiert. Von dort schrieb sie am 9. März eine Karte an ihre Familie: „Möchte es doch bald vorbei sein. Bleibt alle gesund & tapfer & hofft auf ein Wiedersehen. Was macht mein Renilein?“ Am 10. März 1943 wurde Jenny Jeidels nach Sobibor deportiert und dort am 13. März umgebracht.

Projekt „Stolpersteine“ in Darmstadt

Der Kölner Künstler Gunter Demnig hat seit 1996 mehr als 46.000 Stolpersteine in ganz Europa verlegt, um an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Sinti und Roma, politisch Verfolgter, Homosexueller, Zeugen Jehovas sowie der Opfer der NS-Euthanasie im deutschen Faschismus zu erinnern. In Darmstadt halten vor den einstigen Wohnorten von Opfern derzeit 240 Stolpersteine auf Gehwegen und Plätzen die Erinnerung wach.