Keine Warteschleifen im Web

Peer-to-Peer-Verbindungen und „Adhoc“-Netzwerke gegen den Datenstau

18.06.2015 von

Das Internet und seine Anwendungen wachsen unaufhörlich. Um das Web hochleistungsfähig zu halten, entwickeln Teams am Sonderforschungsbereich MAKI der TU Darmstadt dynamische Kommunikationsmechanismen.

Experimentieren für die Kommunikationssysteme der Zukunft: Björn Richerzhagen, Ralf Steinmetz und Boris Koldehofe (v.l.). Bild: Katrin Binner

Diese Situation kennt jeder Internetnutzer: Gerade hat man seine Lieblingsserie auf YouTube gefunden und auf Abspielen gedrückt, ruckelt und hängt das Video, weil das Netz überlastet ist. Oder noch schlimmer: Das entscheidende Tor im Fußball- WM-Finale erreicht den Streamer später als seinen Nachbarn am Fernsehbildschirm, weil es Zeitverzögerungen bei der Übertragung des Spiels – so genannte Latenzen gibt.

Immer mehr Daten, Nutzer, Apps, Endgeräte, neue Kommunikationsformen wie Hashtags und Flashmobs oder Augmented-Reality-Spiele wie „Ingress“ bringen das Netz an seine Kapazitätsgrenzen, manchmal sogar zum Erliegen.

„Das Internet ist inzwischen zu einer treibenden Kraft für unsere Gesellschaft geworden und wird weiter für gravierende Umbrüche sorgen“, prognostiziert Professor Ralf Steinmetz, Leiter des DFG- Sonderforschungsbereichs „MAKI – Multi-Mechanismen-Adaption für das künftige Internet“.

„Die Netzwerktechnologien müssen sich dieser Entwicklung anpassen und für eine verlässliche Qualität bei der Datenübertragung sorgen.“ Steinmetz und sein Team sind überzeugt, dass ein komplettes Neudesign des Netzes nicht die Lösung ist. Schon die Probleme bei der Umstellung auf das neue Internetprotokoll IPv6 zeigten, wie schwierig solche Reformen seien, erklärt Projektmitarbeiter Björn Richerzhagen. „Es ist eine unrealistische Grundannahme, man könne das Netz herunterfahren, umbauen und am nächsten Tag wieder hochfahren.“

Stattdessen setzen die Wissenschaftler auf das Prinzip Transition, also den dynamischen, reibungslosen und schichtenübergreifenden Austausch kompletter Kommunikationsmechanismen im laufenden Betrieb. „Damit können wir die Vielzahl an Diensten effektiv nutzen“, glaubt Steinmetz. Wie dies aussehen könnte, zeigt der MAKI-Demonstrator, an dem Projektmitarbeiter Stefan Wilk gerade ein Video-streaming-Szenario simuliert.

Ein zentraler Computer überträgt ein Livevideo und nach und nach versuchen die „User“ der sechs mobilen Endgeräte, den Film hochzuladen. Doch nur den ersten beiden gelingt es. Die anderen vier bleiben in der Warteschleife. Wilk drückt den MAKI-Button. Nun erkennt das System nicht nur die Überlastungssituation, sondern trifft auch die Entscheidung, zur Entlastung des Servers den zentralen Mechanismus gegen eine Peer-to-Peer-Übertragung auszutauschen. Die beiden Endgeräte, die das Video bereits empfangen haben, springen ein und übertragen den Film über eine WLAN-Verbindung weiter.


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„Informationszentrische Sicht“

„Die Funktionalität des Netzes geht immer weiter in Richtung Nutzer und weg von den großen Providern“, berichtet Richerzhagen. Diese Entwicklung könnte nicht nur beim Videostreaming die Lösung sein, sondern auch, wenn es darum geht, die riesigen Datenmengen, die die Community heutzutage gerne bei Großereignissen austauscht, zu bewältigen.

So sind zum Beispiel die Organisatoren des Münchner Oktoberfestes inzwischen dazu übergegangen, Zusatzempfänger aufzustellen, um plötzliche Übertragungs-Peaks auszugleichen. Zielführender und auch kostengünstiger ist es aber nach Überzeugung der MAKI-Experten, wenn Smartphones im Notfall auf andere drahtlose Technologien wie WLAN, Bluetooth oder Near Field Communication ausweichen könnten. Dann würden sich auf der Münchner „Wiesn“ entweder – wie im beschriebenen Laborversuch – Peer-to-Peer-Verbindungen aufbauen oder spontane „Adhoc“-Netzwerke, in denen die Informationen in einer Art Schneeballsystem weiter gegeben werden.

Informationen können über Peer-to-Peer-Verbindungen oder „Adhoc“-Netzwerke weiter gegeben werden. Bild: Katrin Binner
Informationen können über Peer-to-Peer-Verbindungen oder „Adhoc“-Netzwerke weiter gegeben werden. Bild: Katrin Binner

„Dies würde Ressourcen sparen, die tragende Infrastruktur entlasten und auch die Übertragungsqualität verbessern“, sagt Richerzhagen. Der Elektroingenieur erforscht gerade im Rahmen des MAKI Teilprojekts „Informationszentrische Sicht“ Wege, um Informationen, die an verschiedene Nutzer gehen sollen und häufig aktualisiert werden müssen, möglichst effizient zu verteilen.

Das Kommunikationsparadigma Publish/Subcribe könnte eine Lösung bieten. Es entkoppelt Anbieter und Konsumenten einer Information, sorgt aber dennoch über Broker-Netzwerke oder Peer-to-Peer-Systeme dafür, dass sie den richtigen Adressaten erreicht. Hierfür „abonnieren“ die Empfänger Informationen nach individuellen Suchkriterien und erhalten eine Nachricht, wenn diese zur Verfügung stehen. Sender und Empfänger müssen sich hierfür nicht einmal kennen.

Auf diese Weise entsteht ein flexibles Kommunikationssystem, das zum Beispiel bei Augmented Reality-Spielen wie „Ingress“ zum Einsatz kommen könnte. Das Taktikspiel, das derzeit in der Community boomt, verbindet reale Orte mit der virtuellen Spielewelt und verlangt Mobilität und Schnelligkeit. Zwei konkurrierende Fraktionen kämpfen um ein Territorium und versuchen, es sich über die virtuelle Eroberung strategisch wichtiger Orte wie dem Eiffelturm oder dem Brandenburger Tor zu sichern. Engpässe im Netz gibt es, weil die Spieler sich in der Regel spontan an den umkämpften (realen) Sehenswürdigkeiten versammeln, um ihre Kämpfe direkt vor Ort auszutragen.

Das angedachte System könnte für Entspannung sorgen: Die Spieler würden zwar über den Mobilfunk zusammen finden, vor Ort aber, sobald sie sich in Funkreichweite befinden, könnten ihre Smartphones automatisiert und nahtlos auf Bluetooth oder WLAN wechseln. Hierfür müssten die jeweiligen Endgeräte bei MAKI registriert sein.

Das System würde dann die Entscheidung treffen, welcher Mechanismus wann zum Einsatz kommt und diese Entscheidung über Publish/Subscribe veröffentlichen. Solche Szenarien gehören noch zu den Fernzielen des Grundlagenprojekts. Die Hauptaufgabe der Wissenschaftler ist es im Moment noch, anhand konkreter Anwendungsfälle bereits existierende Mechanismen zu beobachten und hieraus Bausteine für mögliche Transitionen und Modelle für ihr Zusammenwirken zu entwickeln.

„Langfristig wollen wir eine Methodik entwickeln, mit der wir nicht nur auf die Veränderungen von Umgebungsbedingungen automatisiert reagieren, sondern die Kommunikationssysteme auch proaktiv hierauf einstellen können“, sagt MAKI-Leiter Steinmetz. Dies könnte das weltweite Netz nach Einschätzung des Experten nicht nur nachhaltig verändern, sondern auch technologisch neu ordnen.

MAKI steht für den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligten Sonderforschungsbereich 1053 „Multi-Mechanismen-Adaption für das künftige Internet“. Er ist im Januar 2013 gestartet und wird zunächst für vier Jahre mit acht Millionen Euro gefördert.

Unter der Leitung von Prof. Dr. -Ing. Ralf Steinmetz erforschen rund 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, davon 22 Promovierende, neue Konstruktionsmethoden, Modelle und Verfahren für die Kommunikationssysteme der Zukunft.

Er ist unterteilt in die miteinander vernetzten Projektbereiche „Konstruktionsmethoden“, „Adaptionsmechanismen“ und „Kommunikations mechanismen“. Neben dem Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik der TU Darmstadt sind auch die Fachbereiche für Informatik sowie für Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der TU Darmstadt, die Fachgruppe für Informatik der RWTH Aachen sowie das Department for Computer Science der University of Illinois an MAKI beteiligt.