Hoffen auf den Einschlag

Team um Prof. Volker Hinrichsen prüft neuartige Blitzschutzsysteme

08.07.2015 von

Wissenschaftler des Fachgebiets Hochspannungstechnik der TU Darmstadt wollen Gewitterblitze vermessen. Ihre Ergebnisse könnten den Blitzschutz optimieren.

Eine der größten universitären Hallen für Hochspannungsversuche in Deutschland befindet sich an der TU Darmstadt. Bild: Katrin Binner
Eine der größten universitären Hallen für Hochspannungsversuche in Deutschland befindet sich an der TU Darmstadt. Bild: Katrin Binner

Wenn Volker Hinrichsen, Professor für Elektrotechnik, aus dem Fenster seines Büros schaut, blickt er auf ein Gebäude der Darmstädter Stadtverwaltung. Besonders ins Auge fallen dem Hochspannungsforscher dann die etwa zehn Blitzableiter – Blitzfangstangen im Fachjargon – auf dem Flachdach.

Blitzschutz sei notwendig, aber meist nicht schön anzusehen, sagt Hinrichsen: „Fragen Sie mal einen Architekten, wie der die Stangen auf dem Gebäude findet.“

Eine Alternative zum herkömmlichen Blitzschutz, den der Amerikaner Benjamin Franklin im Jahr 1752 erfand, kam in den 1980er Jahren auf den Markt. Diese Systeme schützen laut Aussage der Anbieter einen größeren Bereich und erfordern daher weniger Fangstangen. Unter Fachleuten sind sie jedoch so umstritten, dass sie bislang nicht in die Blitzschutz-Normen aufgenommen wurden. Dabei bietet das etablierte Franklin’sche System keinen perfekten Schutz: „Es gibt immer wieder dokumentierte Fälle, dass ein Blitz die Fangstange verfehlt“, betont Hinrichsen. Auch trifft ein Blitz nicht immer den höchsten Punkt eines Objektes.

Vor einem Blitzschlag geht vom Boden eine sogenannte Fangentladung aus, die sich aus einer Vorentladung entwickelt. Trifft die Fangentladung auf den Kopf des Abwärtsblitzes, bildet sich der als Leuchten sichtbare Kanal für die Hauptentladung – der Blitz schlägt dann am Ursprungsort der Fangentladung ein.

Diesen Umstand nutzen die neuartigen Blitzschutzsysteme, indem sie Vorentladungen künstlich initiieren und somit die Entstehung einer früheren und somit längeren Fangentladung begünstigen. Das klingt plausibel, ist aber wissenschaftlich immer noch nicht bewiesen, denn für die Prüfung bräuchte man echte Blitze. Die jedoch sind selten und so gewaltig, dass sie sich nicht experimentell erzeugen lassen.

Wie wahrscheinlich ist ein Blitzeinschlag?

Einsatzbereit: Martin Hannig (li.) und Volker Hinrichsen mit Blitzfangstange und Messgerät. Bild: Katrin Binner
Einsatzbereit: Martin Hannig (li.) und Volker Hinrichsen mit Blitzfangstange und Messgerät. Bild: Katrin Binner

Die TU Darmstadt verfügt über eine der größten universitären Hallen für Hochspannungsversuche in Deutschland. „Aber selbst hier können wir natürliche Blitze nicht nachbilden“, erklärt Martin Hannig, Doktorand in Hinrichsens Arbeitsgruppe. Er will nunmehr mit Außenmessungen ergründen, wie sich die Vorentladungen bilden und wie sie die Entstehung der Fangentladung beeinflussen.

Die Erkenntnisse sollen die grundlegende Frage klären, wie wahrscheinlich ein Blitzeinschlag an einem bestimmten Ort ist. Auf dieser Basis fiele auch die Bewertung neuartiger Blitzschutzsysteme deutlich leichter.

Für die Messung natürlicher Blitze hat Hannig ein Gerät mit zwei Signalaufnehmern entwickelt, das sowohl die schwachen, hochfrequenten Vorentladungen als auch den über 100.000mal stärkeren Hauptblitz registriert. Die ersten von insgesamt 60 Messinstrumenten wurden bereits auf dem Gelände der TU Darmstadt installiert, weitere sind unter anderem an Lichtmasten auf dem Frankfurter Flughafen geplant.

Hannig hat zudem ein Simulationsmodell weiterentwickelt, das die Wahrscheinlichkeiten eines Blitzeinschlags auf der Basis von Gebäude oder Geländedaten berechnet. Damit prüft er die Eignung potenzieller Messorte – wohlwissend, dass die Chance auf einen Treffer insgesamt gering ist.

Jährlich schlagen in Deutschland durchschnittlich zwei Blitze pro Quadratkilometer ein. Zumindest einige davon hoffen die Darmstädter Forscher zu erwischen.