Der Unsicherheit von Anfang an auf der Spur

Neue Ergebnisse aus dem Sonderforschungsbereich 805

27.07.2015 von

Technische Systeme werden nicht nur in Autos immer komplexer. Ingenieure und Mathematiker an der TU Darmstadt entwickeln erfolgreich Lösungen. Bild: P. Bal

Warum nimmt die Zahl der Rückrufe in der Automobilindustrie zu? Weil technische Systeme heutzutage immer komplexer ausgestaltet sind. Im Sonderforschungsbereich 805 „Beherrschung von Unsicherheit in lasttragenden Systemen des Maschinenbaus“ an der TU Darmstadt entwickeln zwei Gruppen um Professor Peter Pelz (Maschinenbau) und Professor Marc Pfetsch (Mathematik) einen Algorithmus, der komplexe Systeme optimal zusammensetzt.

Ein Getriebe besteht aus mehreren hundert, von Ingenieuren konzipierten Einzelteilen. Versagt nur ein einziges Teil, dann versagt das gesamte Getriebe. Die Konsequenzen sind Stillstand und Gefährdung: Die Produktion steht, die Baustelle ruht, das Auto bleibt liegen. Immer öfter rufen Fahrzeughersteller ihre Neuwagen wegen Mängel zurück in die Werkstätten – das Beispiel zeigt, dass bei komplexen technischen Systemen, die im Alltag weit verbreitet und selbstverständlich sind, das Ausfall-Risiko wächst.

Optimale Lösung

Zwei Arbeitsgruppen von Peter Pelz und Marc Pfetsch an der TU Darmstadt liefern Antworten auf die Frage, wie es aus der Ingenieur-Perspektive gelingen kann, alle Eventualitäten und möglichen Lösungen im Entwurfsprozess zu berücksichtigen, um die optimale Lösung zu finden: Ihnen ist es gelungen, einen Algorithmus zu entwickeln, der ein Getriebe eigenständig konstruiert.

Das Computerprogramm findet nachweislich die eine Lösung mit dem Prädikat „optimal“. Das neue Getriebe hält 13-mal länger als nach herkömmlicher Machart. „Mit der algorithmischen Struktursynthese haben wir einen Meilenstein gesetzt, um die kombinatorische Explosion in der Systementwicklung zu beherrschen und darüber hinaus Unsicherheiten in den Anforderungen an technische Systeme bereits in der Konstruktion methodisch zu begegnen“, so Peter Pelz, Sprecher des Sonderforschungsbereichs 805.

Methodisch beherrschbar

Hintergrund ist die Einsicht, dass der Mensch häufig überfordert ist, wirklich optimal zu konstruieren, weil er an der Vielzahl der Lösungsmöglichkeiten scheitert. Besteht zum Beispiel das Getriebe aus nur drei Komponenten, so sind acht Getriebevarianten denkbar. Diese können noch individuell beurteilt werden. Besteht das Getriebe aus sechs Komponenten, sind bereits 5504 Varianten denkbar. Tatsächlich wird ein Ingenieur davon im Durchschnitt nur sieben Varianten gegeneinander bewerten. Alle anderen Lösungen bleiben unbeachtet, also im Bereich des Unwissens.

Systemschnittstellen werden heutzutage über Anforderungen beschrieben und behandelt. So hat das Getriebe die beiden Schnittstellen Antriebs- und Verbrauchsseite. Noch werde zu wenig beachtet, dass niedergeschriebene und damit vermeintliche sichere Anforderungen die Hauptquelle von Unsicherheiten im Entwicklungsalltag der Ingenieure seien, so Professor Pelz. Doch es kann gelingen, diese Unsicherheiten methodisch zu beherrschen, wie die Forschungsarbeiten aus Darmstadt zeigen. „Derzeit optimieren Ingenieure noch auf Komponentenebene, künftig auf Systemebene“, sagt Pelz voraus.