Blütenbestäuber an kalten und heißen Tagen
TU-Forscher präzisieren, wie Insektenvielfalt Ökosysteme stabilisiert
10.08.2015 von Nico Blüthgen / sip
Biodiversität erzeugt Stabilität – zum Beispiel über eine höhere Temperaturtoleranz. Diesen Zusammenhang untersuchten die Biologen Sara Kühsel und Nico Blüthgen von der TU Darmstadt an artenreichen Gemeinschaften blütenbesuchender Insekten. Ihre Befunde publizierten sie in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Nature Communications“.

Die meisten Ökosysteme beherbergen eine Vielzahl unterschiedlicher Arten, die teilweise überlappende Aufgaben erfüllen. Arten mit gleicher Funktion im selben System werden auch als funktionell „redundant“ bezeichnet. belegt: Redundanz bedeutet dabei nicht, dass diese Arten „überflüssig“ oder „verzichtbar“ sind. In einer einzigen Wiese können beispielsweise Dutzende von Fliegen, Bienen und Schmetterlingsarten zur Bestäubung von Blütenpflanzen beitragen. In der Theorie sollte diese hohe Diversität redundanter Arten zu einer besseren, stabileren Funktion der Ökosysteme beitragen. Die Studie von Sara Kühsel und Nico Blüthgen
Den Darmstädter Forschern ist es gelungen, diese theoretischen Modelle zu präzisieren und erstmals die Temperaturpräferenz von über 500 blütenbesuchenden Insektenarten zu überprüfen. und Erstautorin der Studie, hat auf 40 Grünlandflächen 511 Insektenarten während ihrer Blütenbesuche an 104 Pflanzenarten gesammelt, mit Hilfe von Experten identifiziert und gemessenen Temperaturen zugeordnet. Sara Kühsel, Doktorandin am Fachbereich Biologie der TU Darmstadt
Für jede Insektenart wurde anhand der Beobachtungen ein Temperaturprofil erstellt. Viele Fliegenarten sind zum Beispiel eher an kühleren Sommertagen an den Blüten aktiv, einige Bienen hingegen haben Vorlieben für wärmere Bedingungen. Die Arten, die auf einer Wiese oder Weide vorkommen, ergänzen sich, so dass die Artengemeinschaft insgesamt bei einem viel breiteren Spektrum an Wetterbedingungen aktiv ist als jede einzelne der Arten.
Auswirkungen unterschiedlicher Bewirtschaftungen
Die Forscherinnen und Forscher untersuchten auch, wie sich unterschiedliche Bewirtschaftung der Wiesen und Weiden auswirkt. Auf Flächen, die intensiv gedüngt, gemäht oder beweidet werden, haben die Darmstädter Forscher nun eine ähnlich hohe Diversität von Insekten festgestellt wie in naturnahen, selten gemähten Wiesen oder Schafsweiden. Besonders überraschend: Bei gleichbleibender Vielfalt nimmt die Unterschiedlichkeit (Nischen-Komplementarität) und Temperatur-Toleranz (Nischen-Breite) der Bestäuber mit der Intensivierung der Landnutzung sogar zu – ein Effekt, der vor allem durch eine Vielzahl von Fliegenarten entsteht, die von der Landnutzung profitieren.
Diese hohe Vielfalt von Arten und deren Reaktionen sorgt für gleichmäßigere Blütenbesuche und kontinuierliche Bestäubung – auch unter variablen oder widrigen Umweltbedingungen. Ein derartiger stabilisierender Effekt gewinnt auch angesichts der Klimaerwärmung zunehmend an Bedeutung.
Verbundprojekt „Biodiversitäts-Exploratorien“
Die Studie fand im Rahmen eines großen Verbundprojekts vieler Universitäten statt, das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Die verfolgen das Ziel, zu verstehen, wie sich die Landnutzung im Wald und Grünland auf die Diversität der Arten und die Funktion der Ökosysteme auswirkt. Die Untersuchungsflächen liegen in Brandenburg (Schorfheide), Thüringen (Hainich) und Baden-Württemberg (Schwäbische Alb). „Biodiversitäts-Exploratorien“
Die , ist an mehreren Studien in diesem Projekt beteiligt. Der Ökologe erklärt: „Das Zusammenspiel verschiedener Insekten- und Pflanzenarten wird von uns als Netzwerk beschrieben. Je größer, also artenreicher, und je engmaschiger diese Netzwerke sind, desto besser sollten die Systeme in der Lage sein, Störungen, Fluktuationen und Ausfälle abzupuffern. Aber es kommt eben auch auf die Reaktion jeder der Arten auf variable Umweltbedingungen an – erst deren Unterschiedlichkeit macht die Stabilität aus.“ Arbeitsgruppe „Ökologische Netzwerke“ des Fachbereichs Biologie an der TU Darmstadt, geleitet von Professor Nico Blüthgen