»So etwas Schönes«

In der Universitäts- und Landesbibliothek wird die »Flora Graeca« restauriert

01.10.2015 von

Der wertvolle Darmstädter Erstdruck der »Flora Graeca«, ein Werk aus dem 19. Jahrhundert über die Pflanzenwelt des östlichen Mittelmeers, lag jahrzehntelang vergessen im Magazin der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB). Nun wird er aufwändig restauriert.

Kirstin Schellhaas (links), Leiterin der ULB-Restaurierwerkstatt, und Restauratorin Vera Gunder bei der Arbeit. Bild: Paul Glogowski

Gr. Fol. 3/340 – hinter dieser schlichten Signatur verbirgt sich ein Glanzstück aus dem Bestand der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt: Die »Flora Graeca«, zwischen 1806 und 1840 in England entstanden, vereint 966 prachtvolle Bildtafeln, die die Pflanzenwelt des griechischen Mittelmeerraumes darstellen.

Vera Gunder beugt sich – ausgestattet mit Kopfbandlupe und Skalpell – über eine aufgeschlagene Doppelseite. Vorsichtig entfernt sie kleine Krümelchen aus dem Buchfalz. Sie sind Reste des Leims, der im Laufe der Jahrhunderte versprödete und abgeplatzt ist. Gunder wird rund 200 Arbeitsstunden mit dem Werk verbringen. Ihre Aufgabe ist es, die »Flora Graeca« behutsam zu restaurieren, damit sie die nächsten Jahrhunderte übersteht. Dass die wertvollen Bände nun auf dem Arbeitstisch von Vera Gunder liegen, ist das Ergebnis einer Verkettung glücklicher Umstände – bis vor Kurzem war nämlich gar nicht klar, welch ein Schatz im Magazin der ULB schlummerte.

Die Geschichte der Wiederentdeckung beginnt mit einer Einladung. Im Sommer 2014 bat Stefan Schneckenburger, Leiter des Botanischen Gartens der TU, Kollegen zu einer Tagung nach Darmstadt. Einer der Teilnehmer, der Berliner Botanik-Professor und Flora-Graeca-Experte Walter Lack, äußerte den Wunsch, das Darmstädter Exemplar sehen zu dürfen, wenn er nach Darmstadt komme.

Ein Erstdruck

Innenansicht: eine prachtvoll illustrierte Seite der Flora Graeca. Bild: Nadia Rückert
Innenansicht: eine prachtvoll illustrierte Seite der Flora Graeca. Bild: Nadia Rückert

Auf die Bitte Schneckenburgers hin ließ eine Mitarbeiterin der ULB das Werk aus dem Magazin holen – ohne zu wissen, was sie erwartete. Denn statt eines einzelnen Buches hielt sie plötzlich 20 Teilbände in Händen, die sich noch dazu in einem schlimmen Zustand befanden: Ein klarer Fall für die Restaurierungsabteilung der ULB.

So kam Kirstin Schellhaas, Leiterin der Restaurierwerkstatt, erstmals in Kontakt mit der »Flora Graeca«. »Meine ersten Worte dazu waren: ›So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen‹«, erinnert sie sich. Noch in der Rückschau funkeln dabei ihre Augen vor Begeisterung. »Ich wusste schon da: Das muss etwas ganz Besonderes sein.«

Die Neugier war geweckt: Handelte es sich beim Darmstädter Exemplar um eine seltene Erstausgabe? Anhand einer Liste von Wasserzeichen, die im Erstdruck vorhanden sein müssen, gab es bald Gewissheit: Das jahrzehntelang in Vergessenheit geratene Werk ist tatsächlich ein Erstdruck – der einzige in Deutschland. Bei den drei übrigen in Deutschland aufbewahrten Exemplaren handelt es sich um Zweit- oder Mischdrucke. Der geschätzte Wert der Darmstädter »Flora Graeca« beläuft sich auf 1.000 bis 2.000 Euro pro handkoloriertem Kupferstich – und davon hat das Buch immerhin 966 zu bieten. Hinzu kommen noch zehn prachtvolle Frontispize.

Auch für Vera Gunder ist die Arbeit an der »Flora Graeca« nichts Alltägliches – »gerade weil es sich um ein komplettes Werk handelt«. Dass die externe Restauratorin nun Hand daran legen kann, ist den drei Darmstädter Rotary Clubs zu verdanken: Sie spendeten 10.000 Euro für die Restaurierung.

Bei der Restaurierung gehen die Experten strukturiert vor: Bei jedem einzelnen Band – gestartet wird mit einem, der mittlere Schäden aufweist – werden zunächst die gebrochenen Kanten des Einbands gesichert, da sie sonst bei der weiteren Bearbeitung noch mehr strapaziert werden können. Dann reinigt Gunder die Blattränder mit einem weichen, porösen Schwamm aus Kautschuk, den sie sanft über die verschmutzten Stellen führt.

»Eine der Hauptschadstellen an den Bänden ist die Verschmutzung der Kopfschnitte«, erläutert Schellhaas. »Weil die Bände in der alten Bibliothek im Schloss stehend aufbewahrt wurden, hat sich auf ihnen Schmutz und Staub abgesetzt.« Ohnehin sei die Aufbewahrung im Schloss alles andere als ideal gewesen: Die Fenster waren undicht, sodass eindringende schädliche Gase die Materialien angreifen konnten. In den nicht isolierten Buchmagazinen wirkten sich die großen jahreszeitbedingten Klimaschwankungen zusätzlich negativ aus. Das ist heute ganz anders: Im Neubau der ULB lagern die wertvollen Werke bei konstant 16 bis 18 Grad Celsius und 50 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit.

Neben den verschmutzten Kopfschnitten weisen die Flora-Graeca-Bände Risse und kleinere Fehlstellen an den Blatträndern auf. Darum kümmert sich Gunder im nächsten Schritt, der Papierrestaurierung: Mit Weizenstärkekleister bringt sie feines Japanpapier an die in Mitleidenschaft gezogenen Stellen, um Fehlstellen zu ergänzen und feine Risse zu schließen. »Die Stellen, die restauriert wurden, dürfen ruhig sichtbar sein«, sagt Schellhaas. »Unser Augenmerk liegt auf der Wiederherstellung der Benutzbarkeit und der Langzeiterhaltung.« Das bedeutet jedoch nicht, dass die »Flora Graeca« in Zukunft frei zugänglich sein wird. Dafür wird es eine digitale Version geben.

Wenn schließlich am Ende der Prozedur Zwischenlagepapiere aus feinstem Japanpapier vor jeder Pflanzenabbildung angebracht sind, geht es an die Reparatur des Buchblocks: Dabei werden die porösen Leimreste vom Buchrücken entfernt und der Band neu verleimt.

Wenn an allen Teilbänden die Arbeit getan ist, bezieht die »Flora Graeca« ihr Domizil in den klimatisierten Magazinräumen der ULB – aufbewahrt in Schutzkartons bei konstanten Luft-, Licht- und Feuchtigkeitsverhältnissen. Das Werk mit der Signatur gr. Fol. 3/340 wird dann nur noch zu wissenschaftlichen Zwecken hervorgeholt – in der Hoffnung, dass die prächtigen Bände noch Jahrhunderte unbeschadet überdauern.

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