Das Geheimnis des Augenblicks entschlüsselt

TU-Team zeigt, wie Augenbewegungen sich der Dynamik der Umwelt anpassen

19.07.2016 von

Um auch flüchtige Veränderungen in ihrer Umwelt optimal erfassen zu können, passen Menschen das Timing ihrer Augenbewegungen nach komplexen internen Berechnungen systematisch an die zeitlichen Dynamiken um sich herum an. Das zeigte ein Forscherteam am Cognitive Science Centre der TU Darmstadt in einem Experiment, das jüngst im Journal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht wurde. Damit präzisieren die Forscher ihre mathematischen Modelle menschlicher Wahrnehmung.

Die Ergebnisse der Forschungen von Prof. Constantin A. Rothkopf (li.) und David Hoppe (re.) wurden jüngst im Journal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht. Bild: Jan-Christoph Hartung
Die Ergebnisse der Forschungen von Prof. Constantin A. Rothkopf (li.) und David Hoppe (re.) wurden jüngst im Journal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht. Bild: Jan-Christoph Hartung

Unser Überleben hängt in vielen Situationen davon ab, dass die richtige Information zur richtigen Zeit verfügbar ist. Obwohl wir dieser Aussage intuitiv zustimmen, spielt sie in unserem Alltag eine fundamentale Rolle: Wir können nur in einem kleinen Bereich unseres Gesichtsfeldes scharf sehen, so dass wir im Durchschnitt drei Mal pro Sekunde unsere Augen auf einen neuen, informativen Bereich in unserer Umgebung richten. So muss es für unsere Vorfahren in der Savanne überlebenswichtig gewesen sein, Raubtiere im hohen Gras rechtzeitig zu erkennen. Nicht weniger wichtig ist es für den modernen Stadtmenschen, im Straßenverkehr zur Rush-Hour zu überprüfen, wann und wo Gefahr droht.

Frühere Studien haben gezeigt, dass wohin wir unseren Blick richten, keineswegs zufällig ist. So landet unser erster Blick bei menschlichen Gesichtern am oberen Ansatz der Nase, da von dort die meisten Informationen über die aktuelle Gefühlslage unseres Gegenübers ausgelesen werden kann. Bisher war jedoch unklar, wie Menschen mit zeitlichen Regelmäßigkeiten und Veränderungen in ihrer Umgebung umgehen. Im Alltag sind visuelle Informationen bereits nach kurzer Zeit veraltet – Fahrzeuge im Straßenverkehr verändern ständig ihre Position – und die daraus entstandene Unsicherheit muss durch gezieltes Fokussieren reduziert werden. Die zeitliche Koordination von Augenbewegungen ist deshalb elementar bei der Lösung vieler alltäglicher und komplexer Aufgaben.

Forschung am Cognitive Science Centre der TU Darmstadt

Nun ist es einer Gruppe am neu gegründeten Cognitive Science Centre der TU Darmstadt gelungen, in einem Experiment zu zeigen, dass auch das Timing der Augenbewegungen hochgradig optimiert und ein Ergebnis komplexer interner Berechnungen ist. In einem Laborexperiment, das im Journal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht wurde, sollten Versuchsteilnehmer Ereignisse an zwei Orten auf einem Bildschirm detektieren. Ohne dass die Teilnehmer dies explizit wussten, variierte die Dauer der Ereignisse über die Versuchsdauer systematisch.

Die gezielte Messung der Augenbewegungen offenbarte einige bisher nicht beschriebene Effekte. Die Autoren zeigen, dass Menschen das Timing von Augenbewegungen systematisch an die zeitlichen Dynamiken der Umwelt anpassen. Wenn Probanden auf kurze Ereignisse trafen, erhöhte sich die Frequenz mit der sie die relevanten Positionen mit ihrem Blick überprüften.

Ein ganz wesentlicher Beitrag des Teams ist es, ein kognitives Modell für das menschliche Verhalten zu liefern, eine mathematische Herleitung des Blickverhaltens aus Prinzipien der Informationsverarbeitung. Unter anderem konnte dadurch der Einfluss von motorischer Variabilität, Unsicherheit in der Zeitwahrnehmung und intrinsischen Kosten von Augenbewegungen auf das Blickverhalten nachgewiesen werden.

So kann gezeigt werden, dass Menschen die zeitlichen Regelmäßigkeiten erlernen und diese nutzen, um Augenbewegungen bestmöglich zu koordinieren. Die Ergebnisse liefern detaillierte Einblicke in die komplexen Entscheidungsprozesse, die Sequenzen von Augenbewegungen zugrunde liegen.