Bedrohlicher Domino-Effekt

Verlust von Pflanzenarten setzt das Aussterben von Tierarten in Gang

04.01.2017 von

Verschwinden Pflanzenarten durch den Klimawandel, zieht dies wahrscheinlich den Verlust von Tierarten nach sich. Besonders bedroht sind Insekten, die auf die Interaktionen mit bestimmten Pflanzenarten angewiesen sind. Pflanzen verkraften hingegen das Verschwinden ihrer tierischen Partner besser, schreibt ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Senckenberg-Wissenschaftlern im Fachjournal „Nature Communications“. Beteiligt waren auch zwei Arbeitsgruppen des Fachbereichs Biologie der TU Darmstadt.

Besonders gefährdet durch den Domino-Effekt sind Tierarten wie die Glockenblumen-Scherenbiene, die nur mit wenigen Pflanzenarten interagieren. Bild: Andreas Haselböck, www.naturspaziergang.de

Die Rundblättrige Glockenblume ist nur eine von vielen Pflanzenarten, die vom Klimawandel negativ betroffen sein wird. Sie ist zudem eine wesentliche Nahrungsquelle für eine spezialisierte Bienenart, die Glockenblumen-Scherenbiene. Wie alle Tier- und Pflanzenarten sind beide Teil von komplexen ökologischen Netzwerken, in denen die interagierenden Arten miteinander verwoben sind. „Das lokale Aussterben von Tieren und Pflanzen kann daher zu einer Kaskade weiterer Aussterbeereignisse in diesen Netzwerken führen, zum Beispiel als Folge des Klimawandels“, sagt Dr. Matthias Schleuning, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum.

Er und seine Kollegen haben modelliert, wie empfindlich mehr als 700 europäische Pflanzen- und Tierarten gegenüber möglichen zukünftigen Klimaveränderungen sind. Erstmals haben sie diese Modelle mit Informationen zu den Interaktionen von Pflanzen mit ihren Bestäubern und Samenausbreitern kombiniert. Die Simulation zeigt, dass der initiale Funke von Aussterbekaskaden in Folge des Klimawandels vor allem von Pflanzenarten ausgeht und sich indirekt auf die Tierarten überträgt.

Besonders gefährdet durch diesen Domino-Effekt sind Tierarten, die nur mit wenigen Pflanzenarten interagieren, weil sie – im Gegensatz zu Generalisten – empfindlicher auf den Klimawandel reagieren. „Diesen Spezialisten geht es in Zukunft gleich doppelt an den Kragen. Nach unseren Analysen haben sie nämlich zudem eine enge klimatische Nische und sind damit auch direkt durch eine zukünftige Temperaturerhöhung bedroht“, erklärt Dr. Christian Hof, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum.

Geringe Rückkopplungseffekte von Tieren auf Pflanzen

Das Aussterben oder der Rückgang von Pflanzenarten wie der Rundblättrigen Glockenblume kann das Aussterben einer Reihe von Tierarten nach sich ziehen. Bild: Helge Bruelheide
Das Aussterben oder der Rückgang von Pflanzenarten wie der Rundblättrigen Glockenblume kann das Aussterben einer Reihe von Tierarten nach sich ziehen. Bild: Helge Bruelheide

Im Gegensatz dazu fanden die Forscher nur geringe Rückkopplungseffekte von Tieren auf Pflanzen, denn Tierarten, die besonders unter dem Klimawandel leiden, waren in der Regel nur mit wenigen Pflanzenarten vernetzt. „Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Die Glockenblume wird von verschiedenen Bestäubern besucht und wird vermutlich wenig unter dem Verlust einzelner, spezialisierter Bestäuber leiden“, ergänzt Ko-Autor Dr. Jochen Fründ, Universität Freiburg.

Ihrem Schicksal könnten Tierarten wie die Glockenblumen-Scherenbiene nur entgehen, wenn sie beim Verschwinden bestimmter Pflanzenarten in großem Umfang auf andere Partner ausweichen. Das Potential der Tiere für eine solche Umorientierung auf neue Pflanzenpartner ist allerdings bislang ungewiss. Besonders bedroht erscheinen Tierarten, die während ihres gesamten Lebenszyklus eng auf bestimmte Pflanzenarten angewiesen sind. Insektenarten sind daher mehr gefährdet als viele Vogelarten, die in der Regel flexibler in ihrer Nahrungswahl sind.

Quantitative Daten zu Bestäuber-Pflanze-Interaktionen gibt es bislang nur für wenige Regionen. Umfangreiche Netzwerke zu einer Vielzahl von Wildbienen- und Pflanzenarten konnten jedoch zwei Arbeitsgruppen des Fachbereichs Biologie der TU Darmstadt im Rahmen dieser Studie beitragen. Die Arbeitsgruppe Vegetations- und Restitutionsökologie hat unter der Leitung von Prof. Angelika Schwabe-Kratochwil über mehrere Jahre solche Netzwerke erforscht – vor allem auf Flächen des August-Euler Flugplatzes und der angrenzenden Griesheimer Düne. Der August-Euler-Flugplatz gehört zur TU Darmstadt und steht unter Naturschutz; es gibt dort eine Vielzahl von seltenen, an trockene Sandmagerrasen angepasste Pflanzen- und Insektenarten.

Die Arbeitsgruppe Ökologische Netzwerke von Prof. Nico Blüthgen konnte ebenfalls Daten aus mehreren Regionen Deutschlands zu dieser Studie beitragen. „Netzwerkanalysen konnten in jüngster Zeit sehr viel zum Verständnis von Ökosystemen beitragen, und in dieser Studie auch erstmals zu möglichen Folgen des Klimawandels. Dabei wird immer mehr auch der unschätzbare Wert der sehr zeitaufwendigen Naturbeobachtungen an vielen Insekten- und Pflanzenarten erkannt, auf denen diese Netzwerke basieren“, berichtet Blüthgen.

Die Studie in Nature Communications

Schleuning, M. et al. (2016) Ecological networks are more sensitive to plant than to animal extinction under climate change. Nat. Commun. 7, 13965 doi: 10.1038/ncomms13965