Klimafreundlicher Zementersatz

Bauen mit Beton setzt Kohlendioxid frei / Geopolymere als Ersatz

16.01.2017 von

Forscher der TU Darmstadt schlagen Geopolymere als Alternative zu Zement vor. Diese mineralischen Bindemittel sind nicht nur umweltschonender, sondern auch resistenter gegenüber Chemikalien und Hitze.

Geopolymerbeton fließt in eine Schalung. Bild: Katrin Binner

In der Diskussion um Treibhausgase kommt ein Aspekt meist zu kurz: Das Bauen mit Beton ist ein Klimakiller, der jährlich mehr Kohlendioxid freisetzt als der weltweite Flugverkehr. Der Grund liegt in der Produktion von Zement, dem gängigsten Bindemittel der Bauindustrie. Zement wird durch Mahlen und Brennen von Kalkstein, Ton und Mergel hergestellt. Das erfordert viel Energie und spaltet zudem Kohlendioxid aus dem Kalkstein ab.

Über fünf Prozent des weltweiten Ausstoßes an Kohlendioxid stammen aus der Zementproduktion. Das muss nicht sein, findet Professor Eddie Koenders, Bauingenieur und Leiter des Instituts für Werkstoffe im Bauwesen der TU Darmstadt. Seine Gruppe beschäftigt sich mit Geopolymeren als vielversprechende Alternative zu Zement.

Geopolymere sind Zwei-Komponenten-Systeme, bestehend aus einem reaktiven Feststoff, der Silizium- und Aluminiumoxide enthält, sowie einer basischen Aktivierungslösung aus Alkalihydroxiden oder -silikaten in Wasser. Der Feststoff ist ein natürliches Gestein oder Mineral, daher die Vorsilbe „Geo“. Beim Mischen der Aktivierungslösung mit dem gemahlenen Feststoff, dem je nach Anwendung Gesteinskörnungen und andere Substanzen beigefügt werden, bildet sich ein steinhartes anorganisches Polymer.

Die molekularen Bausteine, die Monomere, sind Tetraeder mit Sauerstoffatomen an den vier Ecken und einem Silizium- oder Aluminiumatom im Innern. Den Begriff „Geopolymer“ prägte der französische Chemiker Joseph Davidovits schon in den 1970er-Jahren. Den Sprung in den Massenmarkt haben die Materialien bislang nicht geschafft, aber im Zuge der Klimadebatte kommt jetzt Schwung in die Geopolymer-Forschung. „Das internationale Interesse ist groß“, freut sich Koenders, der zusammen mit Unternehmen und Wissenschaftlern aus Spanien, Frankreich, Österreich und Großbritannien gerade einen Antrag für ein EU-Projekt formuliert.

Auf 600 Grad Celsius erwärmt

Ein ausgehärteter Probekörper. Bild: Katrin Binner
Ein ausgehärteter Probekörper. Bild: Katrin Binner

Erste Geopolymere basierten auf Metakaolin, einer hitzebehandelten Form des Tons Kaolin: Bei Erwärmung auf etwa 600 Grad Celsius ändert Kaolin seine Struktur, wird reaktiver und härtet dadurch bei Kontakt mit der Aktivierungslösung schnell aus. Der Haken: Die vorgeschaltete thermische Behandlung verbraucht viel Energie.

Da Kaolin kein gebundenes Kohlendioxid enthält, das durch die Hitze ausgetrieben wird, und die Brenntemperatur niedriger ist als beim Zementbrennen, fällt die CO2-Bilanz dennoch besser aus. Metakaolin ist allerdings ein sehr feines Material und daraus hergestellte Geopolymere unterscheiden sich in der Verarbeitbarkeit von Zementleim. Sie sind zum Beispiel thixotrop: Beim Rühren oder Schütteln verflüssigen sie sich – wie Ketchup, der erst gar nicht und dann plötzlich in einem Schwall aus der Flasche kommt.

Die Aktivierungslösung bewirkt zudem eine gewisse Klebrigkeit der Geopolymere und erschwert das Ausschalen von Bauteilen. „Geopolymere werden Beton und Zement nur dann in großem Maßstab ersetzen, wenn sie die gleiche Konsistenz aufweisen“, betont Koenders. Seine Mitarbeiter Dr. Neven Ukrainczyk und Oliver Vogt testen verschiedene Rohstoffe, um das Handling zu verbessern. Verunreinigte Kaoline, die Eisenoxide und andere Fremdminerale enthalten, erwiesen sich als geeigneter und obendrein kostengünstiger.

Auch Flugasche, ein Abfallprodukt aus Rauchgasen, sowie das natürliche Gestein Trass bieten sich als Beimischung oder Alternative zu Metakaolin an. Den Trass beziehen die Forscher aus der Eifel, wo er sich einst nach Vulkanausbrüchen bildete. Das Gestein wird nach dem Abbau gemahlen und dann direkt verwendet. Von Vorteil ist ferner, dass es reich an Alkalimetallen ist.

Dadurch kann die Konzentration der alkalischen Aktivierungslösung reduziert werden – das reduziert Kosten. Im Fokus der Forschung stehen neben den Hauptkomponenten der Geopolymere auch gering dosierte Zusätze, die den neuen Baustoffen spezielle Eigenschaften verleihen sollen. Herkömmliche Fließmittel etwa, die Lufteinschlüsse verhindern und selbstverdichtende Betone möglich machen, funktionieren bei Geopolymeren aufgrund deren anderer Zusammensetzung nicht und müssen daher neu konzipiert werden.

Vogt und Ukrainczyk bilden hierfür ein perfektes Team, denn Vogt hat als studierter Bauingenieur stets die praktische Anwendung im Blick, während der Chemieingenieur Ukrainczyk ein Experte für die molekularen Grundlagen und die chemisch-physikalische Analytik ist. Zu seinem Antritt an der TU Darmstadt 2014 hat Koenders die Möglichkeit zur Einrichtung eines Mikrolabors vereinbart, in dem Geopolymere und andere Baustoffe auf der Mikro- bis Nanoskala untersucht werden.

Wie viel Wasser bindet ein neues Material? Welche molekulare Struktur besitzt es? Wie verhält es sich bei verschiedenen Temperaturen, wie bei minus 60 und wie bei über 1000 Grad Celsius? Für die Beantwortung solcher Fragen stehen im Mikrolabor Kalorimeter, Röntgendiffraktometer, Viskosimeter, und weitere Spezialgeräte zur Verfügung.

Die nächste Anschaffung ist ein atmosphärisches Rasterelektronenmikroskop, in dem Baustoffe bei verschiedenen Luftfeuchten und Temperaturen sowie unter mechanischer Belastung untersucht werden können. Herkömmliche Rasterelektronenmikroskope, von denen es an der TU Darmstadt einige gibt, funktionieren nur im Hochvakuum und spiegeln die Umweltbedingungen, unter denen Baustoffe eingesetzt werden, nicht wider.

Noch gilt Zement als der weltweit am meisten verwendete Werkstoff, doch die Geopolymere haben das Potenzial, ihm diesen Rang im Bereich von Spezialanwendungen streitig zu machen. Sie punkten nicht nur mit einer besseren CO2-Bilanz, sondern auch mit technischen Vorteilen: So sind Geopolymere hitzestabiler als Beton – dessen gebundenes Wasser baut im Brandfall einen Dampfdruck auf, der zu Rissen oder Abplatzungen führt.

Außerdem sind sie chemikalienresistenter, da sie keinen Kalk enthalten, der sich durch Einwirkung von Säuren oder anderen aggressiven Substanzen auflöst. Ebenfalls beachtlich: Bereits nach einem Tag können Geopolymere ähnliche Druckfestigkeiten wie hochfester Beton entwickeln. Sie lassen sich schnell ausschalen und eignen sich somit für die Massenproduktion von Fertigteilen.

Das TU-Team beschäftigt sich aktuell mit der Herstellung von chemikalienbeständigen Abwasserrohren aus Geopolymeren. Noch seien die neuen Baustoffe zwar teurer als herkömmlicher Zement oder Beton, sagt Koenders, doch ihre Dauerhaftigkeit rechtfertige den höheren Preis: „Wir suchen nach Lösungen, die auch ökonomisch interessant sind. Wir wollen die Geopolymere schnell in die Anwendung bringen.“

Daten und Fakten

Publikation: N. Ukrainczyk, O. Vogt, E. A. B. Koenders: Reactive Transport Numerical Model for Durability of Geopolymer Materials. Advances in Chemical Engineering and Science (wird in neuem Tab geöffnet) (6) S. 355-363, 2016

Weitere Forschungsschwerpunkte der Arbeitsgruppe von Professor Eddie Koenders:

  • Mineralisierter Schaum als Dämmstoff, bereits verbaut in der ETA-Fabrik der TU Darmstadt
  • Integration von Phasenwechselmaterialien in Wände und Fußböden, um den Kühl- und Heizenergiebedarf zu reduzieren
  • Betonbauteile zur Erzeugung erneuerbarer Energien
  • Gummigranulate aus Altreifen als Zusatz für Straßenbeläge zur Verbesserung der Dauerhaftigkeit

Symposium zu Geopolymeren: 10. Februar 2017, TU Darmstadt, Institut für Werkstoffe im Bauwesen, Kontakt: Frau Aysen Cevik, 06151/16-22210,

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