Eine neue Welt

Als Biologie-Student bei der UN-Konferenz in Cancún, Mexiko

15.02.2017 von

Ende 2016 fand im mexikanischen Badeort Cancún die UN Biodiversity Conference statt. Umweltschützer, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Vertreter von Regierungen debattierten dort über das Thema Biodiversität. Mit dabei: Thomas Dohmen, Master-Student der Biologie, der als Teil einer Delegation an der Konferenz teilnahm. Ein ganz persönlicher Erlebnisbericht von Thomas Dohmen über Wissenschaft auf politischer Bühne.

Zeigt Flagge: TU-Student Thomas Dohmen bei der UN-Konferenz in Cancún. Bild: privat

Während des 2014er Finales des iGEM-Wettbewerbs (international Genetically Engineered Machine competition) für Synthetische Biologie in Boston wurden wir, das iGEM-Team der TU Darmstadt von einem der Juroren zu einer UN-Konferenz in 2016 eingeladen. Bei dieser Konferenz ginge es um internationale Abkommen zum Schutz von Biodiversität und der Integrität biologischer Systeme. Einer der großen Streitpunkte sollte der Umgang mit durch Biotechnologie veränderten Organismen sein, als LMOs bezeichnet (living modified organisms).

Mit der Unterstützung des Forschungsschwerpunktes CompuGene an der TU Darmstadt konnte ich im Dezember 2016 die Reise nach Cancún antreten.

Bei der UN-Konferenz war ich als Mitglied der Delegation PRRI (Public Research & Regulation Initiative) gelistet, einer öffentlichen Forschungsinitiative, die sich für moderne Biotechnologie für das öffentliche Wohl einsetzt. Ich konnte sehr frei agieren und habe mich darauf konzentriert, den Delegierten die Sichtweise eines Studierenden zur Biotechnologie zu vermitteln und den Stellenwert der Forschung für die Gesellschaft aufzuzeigen.

Die PRRI nahm zum ersten Mal auch Studierende zu einer solchen Konferenz mit. Wir waren mit etwa 30 Studierenden und weiteren 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine verhältnismäßig große und sehr internationale Delegation. Ich war der einzige Deutsche und, soweit ich das überblicken konnte, sogar der einzige Biotechnologie-Student aus Deutschland unter allen circa 6.400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Konferenz.

Für mich eröffnete sich eine neue Welt. Hatte ich als Student der Naturwissenschaften an der Universität doch gelernt, evidenzbasiert zu argumentieren und Probleme direkt anzusprechen, so sah ich mich nun Politikern, Diplomaten und Kommunikatoren gegenüber. Diese sprachen zwar viel über Wissenschaft, aber in ihrer Argumentation und ihrem Verhalten unterschieden sie sich sehr von dem mir Bekannten. Meiner Einschätzung nach war es nur schwer möglich, einen fachlichen Diskurs zu führen, da nicht in das eigene Schema passende Argumente unterdrückt oder ignoriert wurden. Auch wenn die Sprache unter den Parteien sehr diplomatisch war, so waren die Aussagen nicht weniger deutlich.

Eine Frage des Protokolls

Dohmen in den Konferenzräumlichkeiten. Bild: privat
Dohmen in den Konferenzräumlichkeiten. Bild: privat

Im Speziellen wurden auf der Konferenz zwei Protokolle behandelt: zum einen das Cartagena-Protokoll, welches die Handhabung, den Umgang und den grenzüberschreitenden Transport von biotechnologisch veränderten Organismen zum Inhalt hat. Insbesondere ging es um so genannte „transboundary movements“, welche die spontane Ausbreitung gentechnisch veränderter Organismen über die Grenzen eines Landes hinweg beschreiben. Vor allem die sehr biotechnologiekritischen europäischen Länder sehen diese Gefahr als sehr bedeutend für die Integrität ihrer Biodiversität an. Im Gegensatz dazu stehen einige Entwicklungs- oder Dritte-Welt-Länder, welche häufiger auf den Einsatz von Biotechnologie setzen.

Das zweite Protokoll, das Nagoya-Protokoll, befasst sich mit der fairen Aufteilung der Vorteile, die durch genetische Ressourcen gewonnen werden. Ein Beispiel: Sollte ein technologisch fortschrittliches Land wie Deutschland aus bestimmten Genen einer Pflanze eines hoch biodiversen Landes wie Mexiko einen Wirkstoff für ein Medikament entwickeln, so soll Mexiko − als Herkunftsland der genetischen Ressource − an den Gewinnen beteiligt werden. Speziell ging es um die Frage, ob digitale Informationen gleich behandelt werden sollen wie physische. Was passiert, wenn ein mexikanisches Unternehmen ein sequenziertes Genom im Internet anbietet und ein deutsches Unternehmen auf dieser Basis ein neues Produkt entwickelt?

Diese komplexen Fragestellungen treffen je nach Land und Interessen auf sehr unterschiedliche Vorstellungen. An diesem Punkt wurde es für mich als Naturwissenschaftler undurchsichtig.

Let´s talk „UN-English“

Die Sprache, die in den Protokollen zum Tragen kommt, ist eine Form von Juristen-Englisch, auch als „UN-English“ tituliert. Damit wird teilweise über einen längeren Zeitraum um einzelne Worte und Formulierungen gerungen. Können kleinere Delegationen nicht über die gesamten zwei Wochen allen Entscheidungssitzungen und Diskussionsrunden beiwohnen, so spielen die großen Delegationen auf Zeit. 14 Stunden Diskussion pro Tag waren damit eher die Regel. Im Laufe der Konferenz bildeten sich Interessengruppen, um wenigstens einen Teil der Forderungen zu erreichen. Bei der UN gilt der Konsens – es muss jeder mit dem ausgehandelten Text in den Protokollen einverstanden sein. Wie eine Delegierte Kolumbiens dazu sagte (frei übersetzt): „Konsens ist, wenn alle übereinstimmen und keiner glücklich ist.“

Für mich persönlich war diese Erfahrung unglaublich lehrreich. Ich musste mit Erschrecken feststellen, wie häufig Personen über wissenschaftliche Sachverhalte sprechen, die nicht einmal annähernd einen fachlichen Hintergrund haben. Mir wurde aufgezeigt, wie wichtig es ist, sich auch als Wissenschaftler in die politische Diskussion einzuschalten − damit über die Forschung an unseren Universitäten nicht von anderen entschieden und diese untergraben wird. Es ist letztendlich zum Wohle der Gesellschaft, wenn Entscheidungen auf wissenschaftlichen Grundlagen anstatt aufgrund ideologischer Weltanschauungen getroffen werden.