Engagiert und tolerant

Der Akademische Verein Darmstadt – Porträt einer Hochschulgruppe

22.02.2017 von

Der „Akademische Verein Darmstadt“ ist eine von über 60 Hochschulgruppen an der TU Darmstadt. Er versteht sich als moderne, unpolitische Vereinigung von Studierenden und Alumni der TU Darmstadt und fast die Hälfte der jungen Mitglieder sind heute Frauen. Im vereinseigenen Haus in der Merckstraße 11 pflegen sie ihre Gemeinschaft und den wissenschaftlichen Austausch.

Das Haus des Akademischen Vereins in der Merckstraße. Bild: Gregor Rynkowski

Der Saal im Erdgeschoss sieht aus wie der Gemeinschaftsraum in einem Jugendzentrum. Es gibt eine Theke, Sofas und Sessel bilden eine Sitzgruppe, ein Billardtisch dominiert den Raum. Es ist Freitagnachmittag – Zeit für eine Lernpause. Immer mehr Studierende kommen aus ihren Zimmern oder Lerngruppen in den oberen Stockwerken auf einen Kaffee vorbei.

18 Zimmer vermietet der Akademische Verein in seinem Haus an Studierende der TU. Für sie gibt es eine Bibliothek, vier gut ausgestattete Lernzimmer, eine Gemeinschaftsküche, den großen und kleinen Saal sowie einen großen Garten. Das einzige, was die Atmosphäre von einem herkömmlichen Wohnheim unterscheidet, ist die Ahnengalerie. An nahezu allen Wänden im Saal hängen die Fotos der ehemaligen und aktuell Studierenden, die Mitglieder des Akademischen Vereins Darmstadt sind. Rund 230 Alumni sind das und 50 junge Männer und Frauen, die derzeit an der TU eingeschrieben sind.

Ein Vorstellungsgespräch ist Pflicht

„Ich wusste gar nicht, dass es eine Studierendenverbindung ist, als ich herkam“, erzählt Kim Mentchen. Die Chemiestudentin war zu Studienbeginn auf der Suche nach einer preiswerten Unterkunft. Der Verein vermietet seine Zimmer mit Gemeinschaftsbad und Küche für 160 bis 200 Euro warm im Monat. „Ich habe mich hier sofort wohl gefühlt“, sagt sie.

Wer in das AV-Haus einziehen will, muss sich vorstellen. Es gibt eine Art Bewerbungsgespräch, „um zu sehen, ob es passt“, erzählen die Studenten Rosario Othen und Erik Ehrhardt, die im Vorstand des Vereinszweiges sitzen, in dem die aktiven studentischen Mitglieder zusammenarbeiten. Fast die Hälfte der derzeitigen Hausbewohner sind Frauen.

Wer einziehen will, muss nicht unbedingt Mitglied werden, auch Gäste sind willkommen. Die meisten jedoch treten der Verbindung bei. Wohnen dürfen sie zwei Jahre lang im Haus, danach müssen sie die Zimmer freigeben für die nächste Generation Studierender auf Zimmersuche.

Wer hier wohnt oder Mitglied ist, von dem wird Engagement erwartet. Die älteren Semester helfen den jüngeren beim Eingewöhnen und Lernen, gemeinsam wird der Semesterempfang organisiert, die wöchentlichen Essen, die Halloweenparty, Vorträge oder wissenschaftliche Exkursionen. Wie eine große Familie, so beschreibt Maschinenbaustudent Erik Ehrhardt das Zusammenleben.

Hochkarätige Gastredner

Erik Ehrhardt, Kim Mentchen und Rosario Othen (v.l.) vom Akademischen Verein. Bild: Gregor Rynkowski
Erik Ehrhardt, Kim Mentchen und Rosario Othen (v.l.) vom Akademischen Verein. Bild: Gregor Rynkowski

1872 wurde der Akademische Verein von Studierenden und Professoren des Polytechnikums, des Vorläufers der TU, gegründet. Um diese Gründungstradition zu feiern, richtet der Verein jährlich einen Akademischen Abend aus, zu dem auch hochkarätige Redner wie Professor Armin Grunwald, Vorsitzender des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, nach Darmstadt kommen. Die „Förderung wissenschaftlicher und geselliger Bestrebungen“, so hieß es damals, war satzungsmäßiger Vereinszweck. 1903 bereits erwarb die Verbindung dafür ein Haus in der Merckstraße.

Timm Preusser, seit 1972 Mitglied im AV und heute als einer der Alt-Herren im Vorstand, kam als Maschinenbaustudent nach Darmstadt. Ihm gefiel die Gemeinschaft und gegenseitige Unterstützung. Er ist bis heute aktiv, weil er den Austausch der Generationen fördern, den Kontakt zu den Jungen halten will. So mancher Praktikums- oder späterer Arbeitsplatz kam durch diese Verbindungen zustande.

Für Preusser ist der Akademische Verein mehr eine Art Club, eine Studentenverbindung nach englischem Vorbild. „Wir sind weit entfernt von den farbentragenden, schlagenden und rechten Verbindungen, mit denen wir dann und wann verwechselt werden“, betont er. Es ist übrigens ein lebenslanger Bund, so steht es im „Standortpapier“, in dem der Verein seine Grundwerte verortet. Das Streben nach akademischer Bildung ist dort festgeschrieben, ebenso „charakterliche Anständigkeit“ und Ehrlichkeit, Engagement und Hilfsbereitschaft, Gewaltfreiheit, Demokratie, Toleranz, Liberalität oder auch Geschlechterneutralität. Grundsätze, die sich mit dem Anforderungskatalog für die Akkreditierung studentischer Universitätsgruppen der TU decken. Seit 2012 ist der AV als offizieller Partner an der TU akkreditiert.

125 Euro im Jahr plus dann und wann eine Spende erwartet der Verein. Die lebenslange Mitgliedschaft ist nicht vorgeschrieben, gilt aber als moralische Verpflichtung. „So kann man zurückgeben, was man selbst genießen konnte“, findet Preusser.

Daten und Fakten

Der 1872 gegründete Akademische Verein ist klar strukturiert: Die Hausgesellschaft „Akademischer Verein Darmstadt“ besitzt Grund und Boden und ist akkreditierter Partner der TU. Im „Akademischen Verein Darmstadt e.V“ sind die Ehemaligen der TU versammelt, die „Gesellschaft AV-Haus e.V Darmstadt“ betreibt das Haus in der Merckstraße, im „Akademischen Verein an der TU Darmstadt“ sind die studentischen Mitglieder aktiv.

Die Hausgesellschaft Akademischer Verein e.V. vergibt im Rahmen des „Marie Frank German-American Friendship Memorial Award“ seit 1996 jährlich Stipendien, die einen wissenschaftlichen Aufenthalt in den USA finanziell unterstützen sollen. Alle Studierenden der TU können sich bewerben, nicht nur Mitglieder des Vereins. Die Förderung besteht entweder aus einem Zuschuss zu den Reisekosten in Höhe von derzeit 1.000 US-Dollar oder aus einem Zuschuss zu einem Studiensemester in Höhe von derzeit 2.600 US-Dollar. Mit dem Award werden zumeist zwei Studierende pro Jahr gefördert.