Ein großer Schritt Richtung Marktreife

Reduktion von CO2: Projekt zum Carbonate-Looping an der TU abgeschlossen

15.03.2017 von

Das Institut Energiesysteme und Energietechnik der TU Darmstadt hat in einem kürzlich abgeschlossenen Projekt „SCARLET“ Voraussetzungen für den industriellen Einsatz des Carbonate-Looping-Verfahrens entwickelt. Damit können mehr als 90 Prozent des bei der Verbrennung fossiler Energieträger entstehenden Kohlendioxids abgefangen werden – und bestehende Anlagen lassen sich damit nachrüsten.

Jochen Hilz, Dr.-Ing. Jochen Ströhle, Prof. Dr.-Ing. Bernd Epple (von links) in der CO2-Versuchshalle, in der sich die 1 MW-Versuchsanlage befindet. Bild: Katrin Binner

Wenn Professor Bernd Epple vom Institut für Energiesysteme und Energietechnik der TU Darmstadt in diesen Tagen das Abschluss-Symposium zum europaweiten Projekt SCARLET eröffnen wird, werden einige Meilensteine erreicht sein. Der Maschinenbauingenieur und seine zehn in- und ausländischen Projektpartner haben in den vergangenen drei Jahren Voraussetzungen für den industriellen Einsatz des Carbonate-Looping-Verfahrens entwickelt. Mit diesem Verfahren können über 90 Prozent des bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern anfallenden CO2 abgefangen werden. Wenn bestehende Kraftwerks-und Industrieanlagen damit nachgerüstet werden, könnten sie sehr viel umweltfreundlicher betrieben werden.

Professor Epple und sein Team haben mit Hilfe von Messungen aus einer 1 Megawatt (MW)-Versuchsanlage Skalierungswerkzeuge für industrielle Anlagen entwickelt und damit Modellrechnungen und Computersimulationen gemacht. Sie haben gezeigt, dass das Verfahren kostengünstiger und energieeffizienter ist als herkömmliche Verfahren. Für das Kohlekraftwerk Émile Huchet im französischen Saint-Avold legten sie die Planung einer kompletten Pilotanlage mit einer Leistung von 20 MW vor.

„Wenn die Finanzierung geklärt wäre, könnte diese Anlage als erstes industrielles Pilotprojekt an den Start gehen“, sagt Dr. Jochen Ströhle, Akademischer Rat am Institut für Energiesysteme und Energietechnik der TU Darmstadt und Koordinator des SCARLET-Projektes. „Alle Pläne, einschließlich eines Kostenplans und einer Risikoabschätzung, liegen auf dem Tisch.“ Das Akronym SCARLET steht für „Scale up of Calcium Carbonate Looping Technology for Efficient CO2 Capture from Power and Industrial Plants”. Die Europäische Union hat das Projekt mit fünf Millionen Euro unterstützt, das Gesamtbudget lag bei mehr als sieben Millionen Euro.

Wie funktioniert das Carbonate-Looping-Verfahren?

Carbonate-Looping-Verfahren. Abbildung: Prof. Bernd Epple / Grafik: Ulrike Albrecht
Carbonate-Looping-Verfahren. Abbildung: Prof. Bernd Epple / Grafik: Ulrike Albrecht

Das Carbonate-Looping-Verfahren besteht aus zwei chemischen Reaktionen, die kontinuierlich in zwei miteinander verbundenen Wirbelkammern ablaufen. In der ersten Wirbelkammer, dem Absorber, reagiert ein Pulver aus gebranntem Kalk, dem sogenannten Kalziumoxid (CaO), mit dem CO2 im Abgasstrom des Kraftwerks zu Kalziumkarbonat (CaCO3). Das Kalziumkarbonat gelangt dann in den zweiten Wirbelreaktor, den Regenerator. Dort wird das im Kalziumkarbonat gebundene CO2 durch hohe Temperaturen ausgetrieben, so dass wieder gebrannter Kalk und gasförmiges CO2 entstehen. Das freiwerdende CO2 kann weiter verwendet oder gelagert werden. Der gebrannte Kalk wird wieder an die erste Wirbelkammer zurückgegeben. Nach mehreren Dutzend Zyklen muss das Material ausgetauscht werden. Allerdings kann der abgenutzte Kalk für die Zementherstellung genutzt werden. Er ist also kein Abfallprodukt, sondern ein Wertstoff.

Wir benötigen 80 Kilogramm Kalk, um eine Tonne CO2 abzuscheiden“, sagt Professor Epple. „Die Kosten für den Prozess liegen derzeit bei 20 bis 27 Euro für eine Tonne CO2. Andere Verfahren sind teurer und weniger energieeffizient. Wir haben mit SCARLET beim Carbonate-Looping-Verfahren einen großen Schritt Richtung Marktreife gemacht“. Was haben die Projektpartner im Einzelnen getan? Als Erstes mussten Bedingungen und Voraussetzungen für den Dauerbetrieb der 1-MW-Pilotanlage auf dem Gelände der TU Darmstadt gefunden werden. Nur bei stabilem Betrieb lassen sich aus den Messungen die notwendigen Rückschlüsse für die Skalierung ziehen. Die Pilotanlage wurde vor sechs Jahren mit Mitteln des Bundeswirtschaftsministeriums, der Europäischen Union und verschiedenen Industriepartnern gebaut. „Wir betreiben die 1 MW-Versuchsanlage heute über mehrere Wochen mit konstanter CO2-Abscheidung“, sagt Jochen Hilz, der als Doktorand von Anfang an das Projekt betreut hat. „Die Reaktionsfähigkeit des Kalks nimmt mit zunehmender Zykluszahl ab, und daher sind mehrere Tage stationärer Betrieb nötig, um dessen Verhalten zu untersuchen. Jetzt kennen wir die Bedingungen für den stabilen Betrieb. Je mehr Messungen wir aus dem Dauerbetrieb haben, desto weniger Annahmen müssen wir treffen und desto besser sind die Modelle und Computersimulationen, die wir berechnen.“

Für SCARLET musste die 1-MW-Versuchsanlage nachgerüstet werden. „Wir haben zum Beispiel ein Silo für 30 Tonnen Brennstoff gebaut“, sagt Professor Epple, der die Ideen zu dem Verfahren aus seiner beruflichen Aktivität bei einem Industrieunternehmen mitgebracht hat. „Wir brauchen ja Nachschub für den Dauerbetrieb. Wir mussten auch den Transfer der Partikel von einem Wirbelschichtreaktor zum anderen verbessern. Auch die Messtechnik musste angepasst werden. Wir wollten ja wissen, wie sich die Partikel in den Wirbelkammern bewegen, wie dicht sie in den einzelnen Bereichen verteilt sind und welche Geschwindigkeiten sie erreichen. Wir wollten auch das Gas auf den verschiedenen Ebenen analysieren“, so Professor Epple weiter. „Nur so können wir nachvollziehen, wie schnell das CO2 abgeschieden und wieder freigesetzt wird.“ Weil in der zweiten Wirbelkammer Temperaturen von über 900 Grad Celsius herrschen, sind diese Messungen alles andere als trivial. „Im Grunde ist der Reaktorinhalt wie rotglühende Lava“, sagt Professor Epple.

Es war nicht leicht zu messen, was beim Carbonate Looping in den Reaktoren tatsächlich geschieht. „Wir wussten, wie sich der Gesamtprozess verhält und dass die Abscheideeffizienz sehr gut ist“, erklärt Dr. Ströhle. „Über das Langzeitverhalten des Kalks unter realen Bedingungen wussten wir hingegen sehr wenig. Das sieht nach SCARLET jetzt anders aus.“ In Zusammenarbeit mit den Projektpartnern wurde dieses Wissen genutzt, um Modelle für größere Anlagen und für verschiedene Anlagentypen zu entwickeln. Das Verfahren kommt auch für Zement- und Stahlwerke sowie für Müllverbrennungsanlagen in Frage.

Wie geht es weiter? „Wir werden verschiedene Ansätze verfolgen“, sagt Professor Epple. „Dazu gehört zum Beispiel die Planung einer Anlage, die das bei der Müllverbrennung anfallende CO2 abscheidet.“ Das Projektteam diskutiert auch Konzepte, mit denen das abgetrennte CO2 weiterverwertet werden kann. Derzeit wird auf dem Weltmarkt nur sehr wenig für eine Tonne CO2 gezahlt. Kraftwerksbetreiber, die das Verfahren nutzen würden, wären derzeit nicht in der Lage, das wiedergewonnen CO2 kostendeckend oder gewinnbringend zu verkaufen. Es müsste gelagert oder weiterverarbeitet werden. „Wir denken darüber nach, das CO2 direkt für die Produktion von Methanol zu verwenden“, sagt Professor Epple. „Für Methanol werden höhere Preise auf dem Weltmarkt gezahlt als für CO2.“ Er und sein Team haben das Verfahren auch derart weiterentwickelt, dass kein reiner Sauerstoff mehr für die Verbrennung im Regenerator benötigt und die Effizienz weiter gesteigert wird. Sie sind entschlossen, das Projekt zum Erfolg zu führen.

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