Sensible Energiekabel unter der Erde

TU-Forscherteam untersucht Wärmeleitfähigkeit von Erdkabelbettungen

08.08.2017 von

Der störungsfreie Betrieb der Energieverteilungsnetze ist im Zeitalter erneuerbarer Energien eine Herausforderung. Forscher der TU Darmstadt zeigen, wie Netzbetreiber Erdkabel effizienter betreiben und ausbauen können.

Das Erdkabeltestfeld im südhessischen Griesheim ist eine technisch anspruchsvolle Versuchsanlage. 90 Temperatursensoren, 16 Wasserdrucksensoren und 20 Feuchtigkeitssensoren messen, wie Energiekabel je nach Belastung und unter wechselnden Umgebungsbedingungen mit den Böden interagieren, in denen sie jeweils „gebettet“ sind – also Ton, Lehm, Sand und ein künstlicher Flüssigboden. Die Daten werden automatisch erfasst, ausgelesen und zur Analyse an die Wissenschaftler geleitet. Das interdisziplinäre Team aus den Fachgebieten Angewandte Geothermie (AGT) und Hochspannungstechnik (HST) der TU Darmstadt interessiert sich vor allem für die effektive Wärmeleitfähigkeit der Kabelbettungen. „Dies ist der entscheidende Parameter, um zu ermitteln, wie weit ein Kabelsystem ausgelastet werden kann“, erklärt AGT-Leiter Professor Ingo Sass.

Wenn Kabel bei der Übertragung elektrischer Leistung Verlustwärme abgeben, trocknet das umliegende Bettungsmaterial und seine Wärmeleitfähigkeit nimmt ab. Diese Wechselwirkungen sind nicht marginal. Denn zu hohe thermische Belastungen führen dazu, dass das Material der Kabel seine Eigenschaften zur elektrischen Isolation verliert. Im Extremfall kann es zu Ausfällen und Engpässen in der Energieversorgung kommen. Die hydraulischen Bedingungen des umgebenden Bodens haben einen starken Einfluss auf den Wassergehalt einer Kabelbettung. Die Wissenschaftler wollen insbesondere auch wissen, in wie weit kurzfristige Lastspitzen, die durch volatile Energieträger wie Wind oder Sonne entstehen, die Kabelbelastbarkeit beeinträchtigen können. Gelingt es, zuverlässige Aussagen über die Wärmeleitfähigkeit zu treffen und auf dieser Basis entsprechende Analyse- und Prognoseverfahren zu entwickeln, könnten Verteilnetzbetreiber ihre bestehenden Kabelsysteme besser nutzen und den im Zuge der Energiewende anstehenden kostenintensiven Netzausbau ökonomischer gestalten. Hier setzt der Forschungsverbund an: „Wir wollen Grundlagen schaffen, dass Kabel effizienter ausgelastet werden können, als es die geltende Regellage zulässt“, sagt Sass.

Kabel für die Übertragung von elektrischer Energie im Mittel- und Niederspannungsbereich sind hierzulande überwiegend erdverlegt. Seit den Anfängen einer großflächigen Versorgung mit elektrischer Energie zu Beginn des 20. Jahrhunderts sei dieser Bestand historisch gewachsen, berichtet Professor Volker Hinrichsen, Leiter des Fachgebiets HST. Zuverlässige Diagnosemöglichkeiten, die Aufschluss geben über den aktuellen Zustand dieser Kabelsysteme, existieren praktisch nicht. Vor allem aber sind die Normen mit Blick auf die Versorgungssicherheit so konservativ ausgelegt, dass sie sich faktisch immer an einem „Worst-Case-Szenario“ orientieren. Die Experten gehen deswegen davon aus, dass die meisten Kabelsysteme aktuell weit entfernt von ihrer thermischen Grenzbelastbarkeit von 70 bis 90 Grad Celsius am Kabelleiter betrieben werden. „Und nach diesen Reserven greifen wir heute“, sagt Hinrichsen.

Komplexe Herausforderungen

In Kenntnis der thermischen Eigenschaften des Bodens bestehende Kabeltrassen im Rahmen eines „Smart Grids“ intelligent zu nutzen, halten die Experten für eine schnelle und vergleichsweise wenig aufwändige Alternative zum langwierigen und kostenintensiven Netzausbau. Zehn bis zwanzig Prozent an höherer Auslastung sind bei einem intelligenteren Betriebsmanagement nach ihrer Einschätzung möglich. Doch die Herausforderungen sind komplex. „Es gibt tausende von Böden und die haben tausende von Wärmeleitfähigkeiten“, sagt Ingo Sass. Allein 39 Hauptbodenarten, von denen jede einzelne wiederum heterogen ist, haben die Forscher im Versorgungsgebiet eines großen bayerischen Verteilnetzbetreibers identifiziert. Wie groß die Unterschiede an bestimmten Stellen sein können, zeigt das Beispiel eines Sandbodens, der seine thermischen Eigenschaften grundlegend verändert – allerdings erst, wenn er mehr als 80 Prozent seines Wassergehalts verliert.

Auf der Basis von Untersuchungen von weit über hundert Bodenproben im Labor können die Wissenschaftler die Prozesse, die in verschiedenen Böden und Bettungsmaterialien ablaufen, genau beschreiben und die Messergebnisse aus dem Kabeltestfeld mit Hilfe numerischer Simulationen in Modellen nachbilden. Die Laborversuche geben Aufschluss darüber, wie sich die Wärmeleitfähigkeit eines Bettungsmaterials in Abhängigkeit der hydraulischen Bedingungen des umgebenden Bodens und der Wärmeableitung eines Kabels verändert. Hierzu trocknen die Experten Bettungsmaterialien und Böden unter definierten Randbedingungen durch die Verlustwärme von Kabeln gezielt aus und erfassen dabei präzise, wie sich Temperatur und Feuchte im Umfeld zeitlich entwickeln.

Die Ergebnisse der Feld- und Laborversuche fließen in numerische Modellierungen ein. Diese helfen, ein noch besseres Verständnis der physikalischen Vorgänge aufzubauen, Parameter besser zu quantifizieren oder Versuchskonzepte zu korrigieren. Und sie ermöglichen es, die Ergebnisse der Grundlagenforschung auf jegliche Erdkabeltrassen und deren Betriebszustand zu übertragen. Die Berechnungen bilden die Basis für onlinefähige Tools, die in eine intelligente Betriebsführung in den Verteilnetzen der Mittel und Niederspannung integriert werden sollen. So könnten Netzbetreiber auf eine aufwändige Dauerüberwachung der Kabel über Temperatursensoren, wie sie bei Hoch- und Höchstspannungskabeln im Einsatz sind, verzichten. Stattdessen könnten sie frühzeitig thermisch hoch belastete Teile ihres Kabelsystems identifizieren und vorübergehend entlasten oder langfristig diese „Hot Spots“, durch den Einsatz verbesserter Bettungsmaterialien entlasten.

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