450 Jahre Wissen, Sammeln, Vermitteln

Festschrift zum Jubiläum der ULB Darmstadt erschienen

20.11.2017 von

„450 Jahre Wissen, Sammeln, Vermitteln“ – unter diesem Titel zeichnet eine neue Publikation die Entwicklung der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt von ihren Anfängen als fürstlicher Büchersammlung bis hin zum modernen Informationsdienstleister in der zunehmend digitalen Welt nach.

Bild: Patrick Bal
Bild: Patrick Bal

Über Jahrhunderte haben wissenschaftliches Interesse, literarische Begeisterung und die Freude am Sammeln historischer Kostbarkeiten einen einzigartigen Bestand geformt, der heute einen wertvollen Teil des kulturellen Erbes des Landes Hessen darstellt: Aus einer Büchersammlung entwickelte sich eine veritable Hof- und später Landesbibliothek mit einem beträchtlichen Bestand an Handschriften, Drucken, Musikalien, Karten und mehr, den sie seit 1817 allen Interessierten öffentlich zugänglich macht. Die heutige Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) ist eine zentrale Einrichtung der Technischen Universität Darmstadt, deren Aufgabe die Literaturversorgung für Universität und Region sowie die Vermittlung ihrer Bestände an die Nutzerinnen und Nutzer darstellt.

Bibliotheksgeschichte ist dynamisch: Die Bestände, aber auch die politischen, geistigen und gesellschaftlichen Funktionen der Bibliothek reflektieren die jeweiligen Zeitumstände und werden von Umbrüchen, Reformen und Wandlungsprozessen geprägt. Die Anfänge reichen zurück in die Regierungszeit Landgraf Georgs I., der 1567 aus dem Erbe seines Vaters Philipps des Großmütigen die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt begründete. Sein Buchbesitz ist die Keimzelle der Darmstädter Bibliothek, die in den folgenden Jahrhunderten reich vermehrt wurde. Gleich mehrere Sternstunden erlebte die Bibliothek unter Landgraf und Großherzog Lud(e)wig X./I.: Aus westfälischen Klöstern, kurkölnischem Erbe und der Sammlung des Baron Hüpsch gelangten einzigartige Kulturschätze nach Darmstadt. 1817 öffnete die Hofbibliothek ihre Pforten für das Publikum. Seitdem sind die umfangreichen Wissensbestände allen Interessierten frei zugänglich.

Es entstand eine moderne wissenschaftliche Universalbibliothek, die mit innovativen Ideen zum wichtigsten Informationsdienstleister im Großherzogtum und zu einer der führenden Bibliotheken aufsteigen konnte. Seit 1917 führt sie die Bezeichnung Landesbibliothek im Namen, die bis heute auf ihre Funktion für die Informationsinfrastruktur des Landes Hessen hinweist. Eine erste Bündelung des wissenschaftlichen Medienangebots erfolgte 1948 unter dem Eindruck der Kriegsverluste mit der Gründung der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek. Die Integration in die TU Darmstadt 2000 und die Umbenennung in ULB im Jahre 2004 markieren wichtige Stationen auf dem Weg zu einer modernen, zunehmend digitalen Bibliothek, die erfolgreich das Wissensmanagement und die Medienversorgung der TU Darmstadt bewältigt, ohne die Bedürfnisse der regionalen Nutzung und des kulturellen Erbes aus dem Blick zu verlieren.

In seinem Aufbau orientiert sich der Band an den großen Epochen der Darmstädter Bibliotheksgeschichte. Im ersten Kapitel wird die Zeit der großen fürstlichen Büchersammlungen zwischen 1567 und 1790 vorgestellt. Einzelne Beiträge zur Frühzeit beleuchten u.a. die Residenzwerdung Darmstadts und die Erwerbungen Georgs I. Barocke Momentaufnahmen liefern die Darstellungen zu Landgraf Ernst Ludwig (1667-1739), in dessen Regierungszeit die Hofkapelle unter Christoph Graupner zur Blüte gelangte. Die Bedeutung der Landgräfinnen für das geistige Leben am Hof unterstreicht Nicola Schneider, der das Wirken und die Sammlungstätigkeit der Großen Landgräfin Caroline (1721-1774) in den Mittelpunkt stellt.

Das zweite Kapitel ist der Zeitspanne zwischen 1790 und 1917 gewidmet, in der die Bibliothek zu einer der führenden Einrichtungen im Deutschen Reich aufzusteigen vermochte. Der Aufschwung ist undenkbar ohne die Leistung des letzten Landgrafen Ludwig X. und ersten Großherzogs Ludewig I. (1753-1830), der die Darmstädter Sammlungen zu einem „Pantheon der Wissenschaft und Kunst“ erhob. Säkularisierte Klosterbibliotheken, die Goldene Bulle, Autographen Luthers und Melanchthons und wertvolle Karten fanden neben anderen Kostbarkeiten in dieser Zeit Eingang in die seit 1817 für das Publikum geöffnete Hofbibliothek.

Die „Hessische Landesbibliothek in bewegten Zeiten“ ist der Titel des dritten Kapitels, das die Jahre zwischen 1917 und 1948 abdeckt. Ihre Rolle als Vermittlerin eines reichen kulturellen Erbes erfüllte die Bibliothek nicht zuletzt durch die Herausgabe prachtvoller Faksimile-Editionen, unter denen die 1927 von Adolf Schmidt zusammen mit dem Darmstädter Rabbiner Bruno Italiener veröffentlichte Pessach-Haggadah herausragt. Beiträge zur NS-Zeit fokussieren u.a. die Gleichschaltung und politische Vereinnahmung der Bibliothek.

Das letzte Kapitel weist in die Gegenwart und thematisiert die Entwicklung seit 1948, als die Zusammenlegung von Landes- und Hochschulbibliothek jene Annäherung von Bibliothek und Technischer Hochschule einleitete, die 2000 in der Integration der Bibliothek in die TU Darmstadt ihren Abschluss fand. Zentrale Einrichtungen der ULB wie die Restaurierung, das Europäische Dokumentationszentrum, das Digitalisierungszentrum, das Patentinformationszentrum und das Universitätsarchiv der TU Darmstadt stehen für die Vielseitigkeit der Leistungen und Services, die heute über die Medienversorgung hinaus das Portfolio der ULB prägen.

Festakt 450 Jahre und Festkolloquium

Festakt 450 Jahre

Ein Festakt im Wickop-Hörsaal würdigte die Darmstädter Universitäts- und Landesbibliothek als zentrale Wissenseinrichtung für die Technische Universität, die Wissenschaftsstadt Darmstadt und ganz Südhessen. TU-Präsident Prof. Hans Jürgen Prömel konnte am Donnerstag (16. November) rund 200 Gäste…

begrüßen, die der Einladung von TU und ULB in das alte Maschinenhaus am Kantplatz gefolgt waren. In seiner Eröffnung betonte Prömel die lange Erfolgsgeschichte der Bibliothek und verwies auf die gelungene Integration in die TU vor 17 Jahren. Die Trägerschaft einer Bibliothek, die neben universitären auch landesbibliothekarische Aufgaben übernehme, sei eine weitere Besonderheit der Darmstädter unter den Technischen Universitäten Deutschlands.

Der hessische Minister für Wissenschaft und Kunst, Boris Rhein, überbrachte die Glückwünsche der Landesregierung und unterstrich die zentrale Bedeutung dieser „wunderbaren Einrichtung“ für Stadt und Region und verwies auf die Millioneninvestitionen des Landes in die Neubauten der ULB. Prof. Thomas Stäcker, seit 1.10. Direktor der ULB, erinnerte an die Notwendigkeit, die viel häufiger durch Vernachlässigung als durch Brand bedrohten Bestände dauerhaft zu bewahren.

Im anschließenden Festvortrag widmete sich der Berliner Kunsthistoriker Prof. Dr. Horst Bredekamp, diesjähriger Träger des Schillerpreises der Stadt Marbach am Neckar, der „Rückkehr der Bibliothek als Universalraum“. Er sprach sich dafür aus, aus den Konzepten der Kunstkammern der Renaissance und der Universalmuseen des frühen 19. Jahrhunderts zu lernen und das historische Zusammenspiel von Buch und Exponat als Vorbild für die Bibliothek der Zukunft zu begreifen: Wie einst das reale Objekt und das gedruckte Buch in den frühen Museen und Bibliotheken einander ergänzten, bildeten heute gedruckte und digitale Medien eine Einheit und keineswegs den vielfach beschworenen Gegensatz.

Musikalische Beiträge des Barockorchesters Antichi Strumenti mit Werken u.a. des Darmstädter Hofkomponisten Christoph Graupner verliehen der Veranstaltung einen würdigen Rahmen.

Andreas Göller

Festkolloquium „Perspektiven des Bibliotheksbaus im digitalen Zeitalter“, 17. November 2017

Bei dem Kolloquium diskutierten Vertreterinnen und Vertreter von Bibliotheken, Architekturgeschichte und Hessischem Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) das Thema in drei Vorträgen und einer Podiumsdiskussion. Maxi Schreiber (TU Darmstadt) widmete sich in ihrem Vortrag einer Auswahl von Neubauten von Universitäts- und Forschungsbibliotheken der vergangenen 10 Jahre. Als Tendenzen neuerer Architektur führte sie etwa „Iconic Buildings“, also wahrzeichenartige Gebäude auf der einen und die Einbettung von Neubauten…

in den architekturgeschichtlichen Kontext ihrer Umgebung auf der anderen Seite an. Sie konstatierte auch die Rückentwicklung von Freihandbibliotheken zu geschlossenen Magazinen mit unterirdischen, teils automatisierten Bücherspeichern, während die entstehenden Freiflächen samt Mobiliar und Technik für verschiedenste Nutzungsszenarien angepasst und zur Verfügung gestellt würden. Thorsten Schmidt (HMWK) stellte abgeschlossene und laufende Bibliotheksbauvorhaben an hessischen Hochschulen vor, die über das Hochschulbau-Investitionsprogramm HEUREKA finanziert wurden oder werden, darunter der Neubau der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt in der Stadtmitte sowie das Hörsaal- und Medienzentrum auf der Lichtwiese (Fertigstellung 2012/2013).

Für 2018 sind die Fertigstellung des Neubaus der Zentralen Universitätsbibliothek in Marburg und der Sanierung sowie des Umbaus eines Bibliotheksgebäudes der Uni Kassel geplant. Werner Nickel (HMWK) widmete sich der Frage nach der Bibliothek als digitalem Raum. Dabei wies er auf Unterschiede zum physischen Raum etwa in Bezug auf Regeln, Funktionalitäten und Zugang hin und hob im digitalen Raum die besondere Vertrauenswürdigkeit von Bibliotheken im Gegensatz zu anderen Anbietern hervor.

Für die Realisierung einer Bibliothek als digitalem Raum mahnte er ein umfassendes und flexibles Konzept sowie entsprechende Strukturen in den Hochschulen an. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Podiumsdiskussion erörterten vor allem die sich verändernden Nutzungskonzepte und die damit einhergehende Aufgabenerweiterung von Bibliotheken. Dabei wurde betont, dass gänzlich bücherfreie Lesesäle kein nahes Zukunftsszenario sind und dass die ständige Anpassung und Entwicklung von zeitgemäßen, medien- und nutzungsorientierten Services unverzichtbar sind. Als wichtige Vorteile von Bibliotheken gegenüber anderen Anbietern im Digitalen wurden neben Vertrauenswürdigkeit auch Kosten- und Werbefreiheit hervorgehoben.

Björn Gebert