Beherrschung von Unsicherheit durch Resilienz

Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 805

21.11.2017 von

Am 1. Dezember treffen sich rund 80 Forschende aus höchst unterschiedlichen Bereichen wie Ingenieurwissenschaften, Mathematik, Rechtswissenschaften, Neurowissenschaften, Stadtentwicklung, Ökonomie und IT-Sicherheit an der TU Darmstadt, um fachübergreifend über das Konzept der Resilienz zu diskutieren.

Forschung am SFB 805 zur Beherrschung von Unsicherheit in lasttragenden Systemen des Maschinenbaus. Bild: Lilli Paquette / MIT School of Engineering

Der Begriff „Resilienz“ stammt ursprünglich aus der Psychologie und kennzeichnet die Fähigkeit von Menschen, Krisen auch unter widrigsten Umständen zu bewältigen und an ihnen zu wachsen. Zunehmend wird er in anderen Zusammenhängen verwendet, beispielsweise in der IT-Sicherheitsforschung oder den Ingenieurwissenschaften. Hier steht Resilienz für die Fähigkeit eines Systems, sich so an Störungen anzupassen, dass auch bei dem Ausfall von Teilkomponenten oder unvorhergesehener Nutzung die Funktion beibehalten wird.

Dabei nennt man Systeme, die auf bekannte Unsicherheitsquellen reagieren können, robust. Resiliente Systeme können zusätzlich auch unbekannte Unsicherheitsquellen beherrschen. Das Team des Sonderforschungsbereichs (SFB) 805 an der TU Darmstadt forscht daran, sensorisch-aktive lasttragende Systeme zu entwickeln, die sich selbstständig auf unbekannte Situationen einstellen und funktionieren.

Im Vorfeld des Kolloquiums haben wir mit dem Leiter des SFB 805, Professor Dr.-Ing. Peter Pelz gesprochen.

Wie gelangen Wissenschaftler aus ganz unterschiedlichen Bereichen bei dem komplexen Thema Resilienz überhaupt zu einer fachlichen Verständigung?

Durch die interdisziplinäre Ausrichtung des Kolloquiums wollen wir das Thema Resilienz aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und diskutieren. Gemeinsam stellen wir dar, wie Resilienz in zahlreichen Bereichen dazu beitragen kann, Unsicherheit zu beherrschen. Es sollen aber auch Unterschiede im Begriffsverständnis der einzelnen Disziplinen aufgedeckt und diskutiert werden. Daher gibt es auf dem Kolloquium neben Fachvorträgen mit Zeit zur Diskussion auch eine Podiumsdiskussion mit Experten aus unterschiedlichen Disziplinen.

Der SFB 805 kann eigentlich als eine Art Blaupause dienen, denn hier arbeiten wir bereits seit 2008 interdisziplinär. Zur ganzheitlichen Beherrschung von Unsicherheit wirken seit der ersten Förderphase Mathematiker und Ingenieure eng zusammen, seit 2016 ist die Fachrichtung Rechtswissenschaften dazu gekommen.

Mit welchen Ergebnissen ist während der Tagung zu rechnen?

Das Thema Resilienz ist ein „Emerging-Field“ der Wissenschaft. Der Begriff wurde zunächst in der Entwicklungspsychologie geprägt und wird heute in anderen Wissensgebieten diskutiert. Für die Ingenieurwissenschaften ist das Resilienz-Konzept hochspannend. Es entspricht einem Paradigmenwechsel bei der Beherrschung von Unsicherheit. Von der Absicherung gegen mögliche Eventualitäten („Was wäre wenn?“) gehen wir über zur Denkweise „Egal was kommt!“. Ziel ist es, technische Systeme so zu konzipieren, dass sie auch bei unerwarteten Störungen oder bei Teilausfällen eine Mindestfunktion aufrechterhalten können. Unser Ziel ist es, durch den Austausch und die Diskussion mit anderen Disziplinen das allgemeine Begriffsverständnis zu schärfen.

In welcher Forschungsphase befindet sich der SFB 805 aktuell?

Der Sonderforschungsbereich 805 ist mitten in der dritten Förderphase. Nach erfolgreichen zwei ersten Förderphasen werden unsere Forschungsarbeiten in den nächsten vier Jahren mit weiteren zwölf Millionen Euro durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert. Wir verfolgen das Ziel, Unsicherheit lebenslaufüberspannend in der Produktentwicklung, der Produktions- und der Nutzungsphase von technischen Systemen zu beherrschen.

In der aktuellen Förderphase steht das Unwissen als die wichtigste Kategorie der Unsicherheit im Fokus. Uns leiten drei Hypothesen: Unwissen manifestiert sich in dateninduzierten Konflikten, Unwissen ist mit Modellunsicherheit verbunden und mittels Resilienz lässt sich Unwissen beherrschen. Auf dieser Basis stellen wir uns drei maßgebliche Forschungsfragen: Wie können dateninduzierte Konflikte gelöst werden? Wie kann Modellunsicherheit bei Unwissen erkannt und beherrscht werden? Wie kann Resilienz lasttragender Systeme erreicht werden, um Unsicherheit zu beherrschen?

Aus der ingenieurwissenschaftlichen und mathematischen Forschung erwachsen neue juristische Herausforderungen. Durch die Funktionen Überwachen, Reagieren, Lernen und Antizipieren sind resiliente Systeme in der Lage, sich selbsttätig zu verändern – dies wirft heute noch ungelöste juristische Fragen auf, für die wir Lösungen finden wollen.

Professor Dr. Peter Pelz. Bild: Katrin Binner
Professor Dr. Peter Pelz. Bild: Katrin Binner