Neue Enzyme für die Grüne Chemie

Europäischer Forschungsverbund CarbaZymes

15.12.2017 von

TU-Chemieprofessor Wolf-Dieter Fessner koordiniert den europäischen Forschungsverbund CarbaZymes. Er und seine Kollegen entwickeln Biokatalysatoren für die Chemieindustrie.

Arbeitsgruppenleiter Fessner ist stolz auf die schlagkräftige Zusammenarbeit in einem interdisziplinären und internationalen Team auf dem Gebiet der Biokatalyse. Bild: Katrin Binner
Arbeitsgruppenleiter Fessner ist stolz auf die schlagkräftige Zusammenarbeit in einem interdisziplinären und internationalen Team auf dem Gebiet der Biokatalyse. Bild: Katrin Binner

Zu einem klassischen Chemieprozess gehören organische Lösemittel, hohe Temperaturen, manchmal Überdruck und oft Edelmetallkatalysatoren. Dass es auch anders geht, erfuhr Wolf-Dieter Fessner, Professor für Organische Chemie an der TU Darmstadt, Mitte der 1980er-Jahre auf einer Konferenz in Freiburg. Auf dem Programm standen unter anderem Vorträge zum Thema Biokatalyse. „Was ich dort hörte, war für mich eine Offenbarung“, erinnert er sich.

„Ich hatte nie gedacht, dass sich komplexe Moleküle hoch spezifisch unter milden Reaktionsbedingungen in Wasser und bei Raumtemperatur herstellen lassen, indem man ein paar Enzyme mit in den Topf packt.“ Seitdem hat Fessner ein Ziel: Er entwickelt Enzyme für die Industrie, um Chemieprozesse umweltfreundlicher zu gestalten.

Enzyme sind Proteine, die als Biokatalysatoren nahezu alle biochemischen Reaktionen antreiben, unseren Stoffwechsel ebenso wie die Photosynthese der Pflanzen. Wie alle Katalysatoren erleichtern und beschleunigen Enzyme chemische Umsetzungen. Im Laufe der Evolution haben sie darin eine Perfektion sondergleichen erreicht, betont Fessner: „Die Natur hat die Chemie im Griff. Sie betreibt eine optimale Katalyse.“

Daran sollte sich die Chemiebranche ein Beispiel nehmen, denn abgesehen von den harschen Reaktionsbedingungen und dem hohen Energieaufwand der klassischen Prozesse bergen die üblichen Metallkatalysatoren einige Probleme: Sie sind nicht nur teuer, sondern auch empfindlich in der Handhabung und schädigen zudem die Umwelt. „Bei der Gewinnung von Edelmetallen gelangen Millionen Tonnen an Schwermetallen in die Atmosphäre“, gibt Fessner zu bedenken. „Wir entwickeln mit der Biokatalyse nachhaltigere Wege.“

EU-Projekt Carba-Zymes

Seit 2015 koordiniert Fessner das EU-Projekt Carba-Zymes, das sich auf Biokatalysatoren für die Knüpfungen von Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen konzentriert. Diese grundlegenden Reaktionen, die in fast allen chemischen Prozessen eine Schlüsselrolle spielen, verbinden kleine organische Fragmente miteinander, zum Beispiel zu Vorstufen von Massenkunststoffen. Die Bausteine müssten dabei in der richtigen räumlichen Orientierung aufeinandertreffen, betont Fessner, für Chemiker sei die selektive Verknüpfung daher eine Herausforderung.

Enzyme hingegen steuern die Reaktion mit Leichtigkeit, denn sie binden die Ausgangssubstanzen für einen kurzen Moment und bringen sie in die perfekte Position zueinander. Nur so gelingt es zum Beispiel unserem Körper, aus einfachen Fragmenten komplexe Hormone und andere Biomoleküle herzustellen. In der Chemie und vor allem in der Pharmaindustrie haben sich zwar schon viele enzymatische Verfahren etabliert, aber die Knüpfung von Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen ist laut Fessner ein unterentwickeltes Gebiet: „Die dafür erforderlichen Enzyme galten lange als zu spezifisch und daher industriell nicht anwendbar.“

Das Problem: Viele derartige Enzyme katalysieren nur eine bestimmte Verknüpfung, da sie die Ausgangsstoffe hochspezifisch nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip binden. Es gibt aber auch tolerantere Enzyme, die verschiedene Substanzen umsetzen. „Danach suchen wir“, erklärt Fessner, „außerdem können wir Enzyme mittlerweile so verändern, dass sie sich für eine ganze Schar von Molekülen eignen, sogar für solche, die unter natürlichen Bedingungen unreaktiv sind.“

Bauplan für Enzyme steckt in den Genen der Zellen

Fessners Gruppe gewinnt die Enzyme fermentativ aus Zellen von Escherichia coli, auch Kolibakterien genannt. Der Bauplan für die Enzyme steckt in den Genen der Zellen. Mit molekularbiologischen Methoden wie dem Einschleusen künstlicher Gensequenzen können die Forscher den Bauplan verändern und die Enzyme optimieren. Auch Biokatalysatoren, die in Kolibakterien natürlicherweise nicht vorkommen, lassen sich so herstellen. Hilfreich bei der Enzymsuche und -entwicklung ist das Verfahren der gerichteten Evolution: Es induziert zufällige Genveränderungen und führt so zu zahlreichen abgewandelten Enzymen, aus denen die Wissenschaftler die am besten geeignete Variante selektieren.

Diese Auslese erfolgt über mehrere Zyklen. Die Darmstädter Forscher arbeiten zudem eng mit Prozomix aus England zusammen, einem Partner des CarbaZymes-Projektes. Von dem Unternehmen erhalten sie Hunderte von Proteinen, die alle dieselbe Reaktion katalysieren, aber aus verschiedenen Organismen stammen.

Darunter befinden sich unter anderem viele Mikroben, die unter extremen Umweltbedingungen leben und sich im Labor nicht kultivieren lassen – für die Industrie aber besonders interessant sind. Bakterien aus heißen Quellen beispielsweise besitzen besonders hitzestabile Enzyme. Aus dem Pool von Prozomix wählen die Wissenschaftler geeignete Enzyme aus, die sie bei Bedarf noch weiter verfeinern.

Neues biokatalytisches Verfahren zur Produktion von Homoserin

Fessner hält bereits mehrere Patente auf enzymatische Verfahren, auch aus dem CarbaZymes-Projekt resultierten bereits zwei Patentanmeldungen. Zusammen mit spanischen Partnern des CarbaZymes-Projekts veröffentlichte das Darmstädter Team Anfang 2017 ein neues biokatalytisches Verfahren zur Produktion von Homoserin, einer Vorstufe von Pharmawirkstoffen und essenziellen Aminosäuren für Futtermittel. Die Chemieindustrie zeige großes Interesse an der Biokatalyse, sagt Fessner: „Es gibt viele Unternehmen, die massiv in dieses Gebiet investieren und schon mehrere Prozesse umgestellt haben.“

Statt reiner Enzyme werden großtechnisch oft lebende Zellen eingesetzt. Die Ganzzellbiokatalyse ist ökonomisch sinnvoller, da die Isolierung der Enzyme entfällt. Vor allem bei komplizierten Synthesen, die mehrere verschiedene Enzyme erfordern, bietet sich der Einsatz von ganzen Zellen an. Ein klassisches Beispiel ist die Produktion von Vitamin B2: Der fermentative Prozess mit Pilzzellen produziert das Vitamin in einem Schritt aus Pflanzenöl. Die chemische Synthese hingegen benötigte acht Stufen und verursachte mehr Kohlendioxid-Emissionen, mehr Abfall und höhere Kosten.

Die biokatalysierte Herstellung von Vitaminen und anderen komplexen Molekülen sei für ihn als Chemiker zwar reizvoll, sagt Fessner, er widme sich aber lieber der enzymatischen Synthese von Grundchemikalien: „Davon werden Milliarden Tonnen jährlich hergestellt. Wenn es uns gelingt, solche Prozesse umweltfreundlicher zu gestalten, hat das einen viel größeren Einfluss auf die Zukunft unseres Planeten.“

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