Neutronenhäute entschlüsseln

Europäischer Forschungsrat zeichnet Kernphysiker der TU Darmstadt aus

08.02.2018 von

Der Europäische Forschungsrat hat Dr. Alexandre Obertelli, Wissenschaftler am Fachbereich Physik der TU Darmstadt, mit einem ERC Consolidator Grant ausgezeichnet. Der Preis ist mit Fördermitteln in Höhe von insgesamt 2,55 Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren verbunden. So kann die TU Darmstadt im Institut für Kernphysik ihre Forschung auf den Bereich von Antimaterie ausweiten.

Dr. Alexandre Obertelli. Bild: Sandra Junker

Alexandre Obertelli erhält den renommierten ERC Consolidator Grant im Zusammenhang mit dem Projekt „PUMA – antiProton Unstable Matter Annihilation“. Ziel des Projekts ist es, eine innovative Technik zur Untersuchung von Extrembereichen der Kerndichte unter Nutzung spezifischer Eigenschaften von Antimaterie zu entwickeln. Das Projekt widmet sich der Untersuchung von Neutronenhäuten und Halos an der Oberfläche von neutronenreichen radioaktiven Kernen zur Entwicklung des Verständnisses reiner Neutronenmaterie niedriger Dichte.

Eines der faszinierendsten natürlich vorkommenden Objekte aus Neutronenmaterie sind Neutronensterne. Neutronenhalos und Neutronenhäute können auch in Atomkernen auftreten. Dicke Neutronenhäute und Halos konnten bei Kernen mittlerer Masse, also mit mehr als 20 Nukleonen, bisher noch nicht eindeutig beobachtet werden und würden, sofern im Labor verfügbar, Neutronenmaterie einzigartig niedriger Dichte darstellen. Ihre experimentelle Untersuchung würde das Wissen um Kernstrukturen, die nukleare Zustandsgleichung und die Struktur von Neutronensternen enorm steigern. Diese fundamentalen Phänomene im Zusammenhang mit dem Ungleichgewicht von Neutronen und Protonen in instabilen Kernen sind grundlegend für das Verständnis der komplexen Eigenschaften von Kernen, Kernmaterie und den damit verbundenen astrophysikalischen Prozessen.

Projekt „PUMA – antiProton Unstable Matter Annihilation“

Im Rahmen von PUMA werden Alexandre Obertelli und sein Team die Dichte von Neutronen gegenüber Protonen in Extrembereichen der Verteilung der Materiedichte kurzlebiger radioaktiver Kerne vermessen, um Neutronenhäute und Halos nachzuweisen und zu untersuchen. Zur Betrachtung dieser beiden Aspekte von Kernstrukturen erforscht PUMA eine neue Form der Untersuchung radioaktiver Kerne, die bei sehr niedriger kinetischer Energie erzeugt wurden: die Wechselwirkung von Antiprotonen mit instabilen Kernen. Dahinter steht die Idee, die Menge der durch Antiprotonen induzierten Vernichtungsstrahlung von Neutronen und Protonen zu erfassen. Bis heute wurde dieser Ansatz nirgendwo sonst in dieser Tiefe verfolgt.

PUMA basiert auf einer neuen Apparatur: einer transportablen Falle, in der Antiprotonen gelagert und ihre Interaktion mit seltenen langsamen Isotopen maximiert werden, um Materievernichtung auszulösen und die daraus resultierende radioaktive Strahlung zu messen. PUMA verfolgt eine zweistufige Methodik: Gelagert werden Antiprotonen im neuen Niedrigenergie-Beschleuniger ELENA am Großforschungszentrum CERN in Genf. Von dort werden sie zur benachbarten CERN-Ionenquelle ISOLDE transportiert, wo langsame radioaktive Kerne erzeugt und mit den Antiprotonen zu Zerstrahlungsreaktionen gebracht werden.

Zur Person

Alexandre Obertelli verteidigte seine Doktorarbeit im Jahr 2005 an der Universität Paris-Sud. 2006 wurde er als Physiker an das Commissariat à l‘Énergie Atomique (CEA) in Frankreich berufen, wo er zur Spektroskopie radioaktiver Kerne forschte. Eine erste ERC-Förderung erhielt er 2010 für In-Beam-Gammaspektroskopie am RIBF des Forschungszentrums RIKEN. Das Projekt basierte auf einer neuen Vorrichtung für die Spektroskopie für in kleinsten Mengen erzeugten kurzlebige Kerne, die er bereits in Zusammenarbeit mit Forschern der TU Darmstadt betrieb. Im Rahmen seines zweiten ERC-Grant für PUMA setzt Obertelli nun seine Arbeiten an der TU Darmstadt fort.

Alexandre Obertelli ist Autor von über 100 wissenschaftlichen Artikeln. Er ist Mitglied der beratenden Ausschüsse für Physik für die Schwerionenstrahlen-Anlagen am GANIL in Frankreich sowie am RIBF und am RCNP in Japan. Er ist ebenfalls Mitglied des wissenschaftlichen Rates des IPN Orsay in Frankreich und seit Januar 2018 Mitglied im SPSC (SPS and PS Experiments Committtee) von CERN. Neben seiner Aktivität am CERN beabsichtigt er, in naher Zukunft an der Entwicklung des FAIR-Projekts des GSI-Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung in Darmstadt mitzuarbeiten.