Die Strategie des Augenblicks
Studie am Centre for Cognitive Science der TU zur Steuerung des Lidschlags
15.02.2018 von Rothkopf/sip
Wenn etwas Wichtiges in unserer Umgebung passiert, ist es besser, dies durch Blinzeln nicht zu verpassen. Ein Forscherteam am Centre for Cognitive Science der TU Darmstadt hat in einer Studie, die in den „Proceedings of the National Academy of the Sciences“ veröffentlicht wurde, herausgefunden, dass Menschen unbewusst den Informationsverlust pro Lidschlag gegen das physiologische Bedürfnis zu blinzeln abwägen.
Die Regelung des Blinzelns stimmt dabei mit mathematischen Modellen der Informationsverarbeitung überein, welche die menschliche Einschätzung berücksichtigen, wann das nächste Ereignis wahrscheinlich eintreten könnte.
Der Lidschlag stellt sicher, dass unsere Augen mit genügend Flüssigkeit bedeckt sind, und mit etwa 15 Lidschlüssen pro Minute zählt er zu den am häufigsten von Menschen ausgeführten Handlungen. Während des Blinzelns ist unsere visuelle Wahrnehmung allerdings für fast ein Drittel einer Sekunde unterbrochen. Auch wenn es den Anschein hat, als nähmen wir die Umwelt ununterbrochen mit den Augen wahr, verpassen wir etwa in zehn Prozent der Zeit Informationen. Aus diesem Grund kann es überlebenswichtig sein, ob für unsere Vorfahren in der Savanne oder uns heutige Verkehrsteilnehmer, das Blinzeln intelligent zu koordinieren.
Frühere Studien haben eine Vielzahl von Verbindungen zwischen dem Lidschlagverhalten und dem Neurotransmitter Dopamin festgestellt. Dieser wichtige Botenstoff des Belohnungssystems spielt besonders bei Lernprozessen eine Rolle. Zudem gilt eine Verbindung zu physiologischen, kognitiven und psychologischen Faktoren als belegt. Zum Beispiel nimmt die Lidschlaghäufigkeit bei Müdigkeit zu. Weiter wird sie von der aktuellen Tätigkeit beeinflusst – so findet man beim Sprechen im Allgemeinen eine Zunahme in der Lidschlaghäufigkeit, während sie beim Lesen reduziert ist. Bislang existierte allerdings kein quantitativer Nachweis für die systematische Verbindung zwischen der Lidschlaghäufigkeit und flüchtigen Ereignissen in unserer Umgebung, wenn diese für unsere Tätigkeit wichtig sind.
Unbewusst weniger blinzeln
Das Forscherteam, geleitet von , Direktor des Professor Constantin Rothkopf, konnte zum ersten Mal quantitativ zeigen, wie das Lidschlagverhalten mit den Erfordernissen der Umgebung zusammenhängt. In einem Experiment wurden Teilnehmer angeleitet, zeitlich begrenzte visuelle Ereignisse am Computer zu detektieren. Die Wahrscheinlichkeit der Ereignisse wurde dabei so manipuliert, dass die Probanden diese lernen mussten und dadurch das Auftreten der Ereignisse allmählich besser antizipieren konnten. Die Analyse des Blinzelns zeigte, dass die Probandinnen und Probanden unbewusst weniger häufig blinzelten, wenn sie die Wahrscheinlichkeit hoch einschätzten, dass das nächste Ereignis am Bildschirm eintrat. Centre for Cognitive Science
„Das mathematische Modell, das wir entwickelt haben, ist in der Lage, diesen Zusammenhang vorherzusagen“, erklärt , Doktorand am Centre for Cognitive Science und Erstautor der Studie. „Da das Modell auch physiologische Parameter berücksichtigt, welche sich zwischen Probanden unterscheiden, ist es zudem möglich, die individuell unterschiedlichen Verteilungen der Zeiten zwischen zwei Lidschlägen vorherzusagen.“ Die Zeitspannen bis wieder geblinzelt wird, haben dabei unterschiedlichen Längen, und obwohl es große Unterschiede zwischen Individuen gibt, lassen sie sich vier verschiedenen Gruppen zuordnen. Dies war seit einer klassischen Untersuchung aus dem Jahre 1927 zwar bekannt, aber bisher lag der Grund hierfür im Dunkeln. David Hoppe
Die jetzt publizierten Erkenntnisse dürften auch Auswirkungen auf technische Anwendungen haben. Besonders bei der Erfassung von Aufmerksamkeitszuständen von Menschen, zum Beispiel durch Fahrassistenzsysteme im Auto oder bei der Intentionserkennung, wird die Häufigkeit des Lidschlags schon heute gemessen. Die Erkenntnisse der neuen Studie ermöglichen es nun, eine quantitative Verbindung herzustellen zwischen der visuellen Wahrnehmung von Menschen, physiologischen Merkmalen ihres Sehsystems und der Wichtigkeit, die sie einer Tätigkeit beimessen.