Ein Fahrstuhl für Fische

TU-Ingenieure entwickeln besondere Lösung für Fischwanderwege

09.07.2018 von

Die EU-Wasserrahmenrichtlinie gibt es vor: Ab 2027 müssen Flüsse von der Mündung bis zur Quelle für Fische durchgängig passierbar sein. Professor Boris Lehmann ermöglicht an der Ruhr-Staustufe des Baldeneysees den Durchlass auf besondere Weise: Die Fische fahren künftig mit dem Lift ins Oberwasser.

Professor Boris Lehmann und sein Team im Wasserbaulabor der TU Darmstadt. Bild: Katrin Binner

Die Wanderwege für Fische sind flussaufwärts durch Querbauwerke oft verbaut. „Durch Fischtreppen lassen sich solche Anlagen wieder durchgängig machen“, erklärt Boris Lehmann, Professor für Wasserbau und Hydraulik an der TU Darmstadt. Fischtreppen sind weit verbreitet, auch an der Ruhr, die eine Vielzahl von Stauanlagen aufweist. Die Ausgangslage am Baldeneysee ist jedoch knifflig: Die Anlage besteht aus drei Wehrfeldern, einer Schiffsschleuse, einem stillgelegten Pumpwerk und einem Kraftwerk mit zwei Turbinen. Zwischen Ober- und Unterwasser besteht ein Höhenunterschied von 8,75 Meter, gleichzeitig fehlt in den Uferbereichen der nötige Platz für eine herkömmliche Fischtreppe. „Eine interdisziplinär besetzte Expertengruppe brachte schließlich einen Fischlift ins Spiel, einzubauen im ehemaligen Pumpwerk“, sagt Lehmann. Das Problem: Für solche Anlagen gibt es keine Standardlösungen. Zudem gelten für Bauwerke, die in Sonderbauweise errichtet werden müssen, besondere Anforderungen durch die Genehmigungsbehörde. So musste vor dem Bau nachgewiesen werden, dass der Einstieg in den Lift von den Fischen gefunden und benutzt wird.

Um den Nachweis zu erbringen, erarbeitete das Team von Boris Lehmann – anfangs noch am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) tätig –, ein ethohydraulisches Untersuchungskonzept. Dabei werden ökologische und biologische Fragestellungen mit ingenieurwissenschaftlichen Berechnungen verzahnt, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Wie aber lässt sich vorab zeigen, welchen Weg die Fische tatsächlich nehmen werden? „Als wichtigstes Kriterium für die Orientierung der Fische gilt die Strömung“, erklärt Lehmann. Strömungsverhältnisse lassen sich am Computer mit hydrodynamisch- numerischen Modellen gut simulieren. Untersucht wurden alle relevanten Abfluss- und Betriebszustände der Staustufe, vor allem bei Turbineneinsatz des Kraftwerks. Kalibriert wurden die Simulationen mit einer Vielzahl vor Ort ermittelter Daten, Messungen und Beobachtungen. Anhand der errechneten Strömungsverhältnisse ließen sich nun Wanderkorridore für die Fische abschätzen.

Die Erkenntnisse aller Voruntersuchungen mündeten schließlich in ein großmaßstäbliches Modell des Fischaufzugs, das in der Versuchsrinne des Wasserbaulabors des KIT errichtet wurde. Dabei wurden zwei Lifte nebeneinander angeordnet, um die von der Behörde geforderte dauerhafte Durchschwimmbarkeit der Staustufe zu gewährleisten. Während ein Lift in Betrieb ist, können die Fische in den anderen Lift geleitet und gesammelt werden. Das Ein- und Ausschwimmen der Fische wird dabei durch die ermittelte Leitströmung initiiert, die mittels Regelorganen eingestellt werden kann. Versuche mit Fischen konnten eine gute Funktionalität der Anlage zeigen – der Funktionsnachweis war damit erbracht. „Wenn der Lift in Betrieb geht“, sagt Lehmann, „können in der Laichzeit täglich tausende Fische in das Oberwasser der Ruhr transportiert werden.“

Projekt und Partner

Für die Ruhr-Staustufe am Baldeneysee wurde im Auftrag des Ruhrverbands durch das Fachgebiet für Wasserbau und Hydraulik der TU Darmstadt ein ethohydraulisches Untersuchungskonzept zum Funktionsnachweis eines Fischliftsystems erarbeitet. Projektpartner sind das Institut für Wasser und Gewässerentwicklung am KIT, die Firma Hydroenergie Roth, das Büro für Umweltplanung, Gewässermanagement und Fischerei sowie die LFV Hydroakustik GmbH.

Weitere aktuelle Forschungsartikel finden Sie in der hoch³ forschen: