Von den Kernen zu den Sternen

Darmstädter Physiker auf den Spuren von Quarks und Gluonen

13.08.2018 von

Physik-Professor Achim Schwenk und sein Team vom Institut für Kernphysik der TU Darmstadt untersuchen die Kräfte im Innersten von Atomen. Damit tragen sie auch zu einem besseren Verständnis von astrophysikalischen Objekten bei.

Begibt sich in die Welt der Quarks und Gluonen: Professor Achim Schwenk. Bild: Katrin Binner
Begibt sich in die Welt der Quarks und Gluonen: Professor Achim Schwenk. Bild: Katrin Binner

Neutronensterne haben es in sich. Mit einem Durchmesser von rund 20 Kilometern könnten sie Städte wie Darmstadt so gerade eben aufnehmen, doch ihre Masse ist erstaunlich: Ein würfelzuckergroßes Stück Neutronenstern würde auf der Erde etwa hundert Millionen Tonnen wiegen. „Das sind im Prinzip dicht gepackte Atomkerne“, erklärt Achim Schwenk, theoretischer Kernphysiker und Professor an der TU Darmstadt.

Atome, die Bausteine aller irdischen Materie, bestehen aus einem winzigen Kern, der Neutronen und Protonen enthält, und einer voluminösen Hülle aus Elektronen. Der Kern macht die Masse aus, die Hülle wiegt nahezu nichts. Auch übliche Sterne setzen sich aus Atomen zusammen. Wenn sie am Ende ihres Daseins explodieren, können sich – abhängig von der ursprünglichen Sternmasse – die kompakten Neutronensterne bilden: Die negativ geladenen Elektronen werden während einer solchen Supernova in die Atomkerne hineingedrückt und vereinigen sich dort mit den positiv geladenen Protonen zu Neutronen. Übrig bleiben hüllenlose Kerne, eine Art Brei, der zu 95 Prozent aus Neutronen besteht.

Wechselwirkungen im Innersten von Atomen

Astronomen haben mittlerweile rund 2000 Neutronensterne aufgespürt. „Sie sind so klein, dass man sie nur aufgrund ihrer elektromagnetischen Strahlung mit Radioteleskopen sehen kann“, sagt Schwenk. Die Vermessung von Neutronensternen ist daher eine Herausforderung. Hier kommen die theoretischen Kernphysiker ins Spiel. Schwenk und sein Team sind zwar keine Astronomen, aber ihre Erkenntnisse zu den Wechselwirkungen im Innersten von Atomen lassen sich durchaus auf den Makrokosmos übertragen. „Wir interessieren uns besonders für exotische Kerne mit einem großen Neutronenüberschuss“, erklärt Schwenk. Und die dort wirkenden Kräfte halten auch Neutronensterne in Form.

Die Zahl der Neutronen eines chemischen Elements ist – im Gegensatz zur Protonenzahl – variabel. Kohlenstoff beispielsweise kann zwischen zwei und 16 Neutronen enthalten, wobei fast 99 Prozent der auf der Erde vorkommenden Kohlenstoffatome sechs Neutronen enthalten. Von Eisen sind bisher 30, von Blei sogar über 40 Varianten mit unterschiedlicher Neutronenzahl bekannt. Die meisten dieser sogenannten Isotope sind allerdings instabil und zerfallen radioaktiv. Bis vor zehn Jahren konnten Physiker die Energie und damit die Stabilität von Atomkernen nur präzise berechnen, wenn diese maximal zwölf Teilchen enthielten.

Beim Element Kohlenstoff mit sechs Protonen und sechs Neutronen war Schluss. Doch dann führten neue Rechenverfahren, die gesteigerte Computerleistung und das bessere Verständnis der Kernkräfte zu einem Schub, erläutert Schwenk: Vor kurzem sei einer internationalen Kollaboration unter Beteiligung Darmstädter Theoretiker erstmals die genaue Berechnung eines Kerns aus 100 Teilchen gelungen, und zwar Zinn, im Periodensystem die Nummer 50 von insgesamt 118 chemischen Elementen.

Unerforschte Gebiete auf der Nuklidkarte

Anders als Chemiker orientieren sich Kernphysiker nicht am Periodensystem, sondern an der Nuklidkarte, die alle bekannten Isotope grafisch darstellt. „Rund 3000 Isotope sind schon nachgewiesen“, erklärt Schwenk, „etwa 20 kommen jährlich hinzu und rund 4000 sind noch unbekannt.“ Vor allem im Bereich der extrem neutronenreichen Isotope gibt es auf der Nuklidkarte noch weite unerforschte Gebiete. Das Problem: Diese instabilen Kerne entstehen nur unter extremen Bedingungen im All oder unter großem Aufwand im Labor.

Die Ergebnisse der künstlichen Isotopen-Synthese sind für theoretische Kernphysiker wie Schwenk äußerst aufschlussreich: „Anhand der Experimente und Messungen unserer Kollegen testen wir, ob wir die Wechselwirkungen der Neutronen richtig verstanden haben und ob wir damit Materie in der vorhersagen können.“ Erst kürzlich hat ein internationales Konsortium, zu dem auch die Darmstädter Kernphysiker gehörten, eine Studie zu neutronenreichen Chrom-Isotopen veröffentlicht.

Die Herstellung gelang mit einem Teilchenbeschleuniger an der Großforschungseinrichtung CERN in der Nähe von Genf: Die Experimentatoren beschossen

eine Uran-Verbindung mit einem Protonenstrahl. Als Spaltprodukt entstanden dabei unter anderem neutronenreiche Chrom-Isotope, deren Masse anschließend exakter als je zuvor bestimmt wurde.

Die Methode sei so genau, betont Schwenk, dass man damit im übertragenen Sinn das Gewicht einer Büroklammer auf einem Jumbojet messen könne. Die präzise Bestimmung ist so wichtig, da aus der Masse nach der Einstein’schen Formel E=mc2 auf die Energie geschlossen werden kann, mit der die Neutronen und Protonen im Kern gebunden sind.

Diese Bindungsenergie, die eng mit der Kernstabilität zusammenhängt, hatten die Darmstädter Wissenschaftler zuvor berechnet. Eine ähnliche theoretisch-experimentelle Untersuchung zu neutronenreichen Titan-Isotopen stellte ein internationales Team unter Mitarbeit von Schwenks Gruppe im Februar vor.

Auf die Frage, ob Experiment und Theorie übereinstimmten, antwortet Schwenk: „Das hängt noch vom Bereich in der Nuklidkarte ab, das ist ja gerade das spannende.“ Bei Titan habe es sehr gut funktioniert.

Die hier untersuchten Isotope enthielten 29 bis 33 Neutronen und 22 Protonen. Kerne mit dieser Teilchenzahl sind nahezu kugelförmig. Bei anderen Elementen hingegen müsse man eine Deformation des Kerns – beispielsweise von der Form eines Fußballs zu der eines Rugbyballs – stärker einbeziehen. Außerdem verstehe man die Kernkräfte noch nicht ausreichend, ergänzt Schwenk: „Unsere theoretische Berechnung ist daher mit einer Vorhersageungenauigkeit behaftet, so wie es im Experiment eine Messungenauigkeit gibt.“ An Arbeit wird es den Darmstädter Kernphysikern auch aus einem anderen Grund so schnell nicht mangeln: „Wir haben jetzt erst über Neutronen und Protonen gesprochen. Für das fundamentale Verständnis der Kernstruktur wollen wir noch eine Ebene tiefer gehen.“

Hinein also in die Welt der Quarks und Gluonen. Quarks sind jene Elementarteilchen, aus denen sich Protonen und Neutronen zusammensetzen. Gluonen (von engl. to glue für kleben) wiederum halten die Kernbausteine zusammen. Nicht nur in den Weiten des Universums, auch in der Welt der kleinsten Teilchen gibt es noch viel zu entdecken. Bei den theoretischen Physikern in Darmstadt laufen die Fäden zusammen.

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