Supermaterialien aus der Mikrowelle

Christina Birkel erforscht die Synthese neuer funktionaler Materialien

10.10.2018 von

Mit unkonventionellen Methoden stellen Christina Birkel und ihre Mitarbeiter im Fachbereich Chemie der TU Darmstadt metallische Keramiken und neue Materialien für die Energieversorgung der Zukunft her.

Nachwuchsgruppenleiterin Dr. Christina Birkel. Bild: Katrin Binner

Der Mikrowellenofen im Labor von Christina Birkel, Nachwuchsgruppenleiterin an der TU Darmstadt, ist nicht nur größer und deutlich teurer als das übliche Haushaltsgerät, sondern zudem leistungsstärker und feuer- und explosionsgeschützt. Den Drehteller und dessen Kunststoffhalterung hat Birkel entfernen lassen. „Das wäre alles geschmolzen“, sagt sie. Die Chemikerin nutzt den Ofen für die Synthese von Substanzen, die Fachleute als MAX-Phasen bezeichnen. M steht für ein Übergangsmetall, etwa für Titan oder Vanadium, A für ein Hauptgruppenelement – meist Aluminium – und X für Kohlenstoff, seltener auch Stickstoff. Rund 70 derartige Verbindungen sind bislang bekannt.

„Um die Jahrtausendwende gab es einen richtigen MAX-Phasen- Aufschwung“, erklärt Birkel. Kein Wunder, denn die Materialien sind kratzfest, hochtemperaturstabil und in vielen Fällen oxidationsresistent wie eine Keramik, leiten aber Strom und besitzen teils außergewöhnliche magnetische Eigenschaften. Sie werden daher auch als metallische Keramiken bezeichnet. Ähnlich Tonmineralen besitzen MAX-Phasen einen lamellenartigen Aufbau aus alternierenden A- und M-X-M-Schichten.

Synthese im Mikrowellenofen

Während Forscher weltweit, vor allem in den USA, Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten von MAX-Phasen untersuchen, beschäftigt sich Birkel mit deren Herstellung. Mit der Synthese im Mikrowellenofen hat sie einen besonders simplen Weg perfektioniert: Die pulverisierten Metalle und reiner Kohlenstoff in Form von Graphitpulver werden dafür unter Luftausschluss vermischt und zu einer Tablette gepresst. Die Tablette schließen die Chemiker in eine Quartzglasampulle ein, die sie in einen Tiegel mit Graphitgranulat stecken und in das Mikrowellen-Gerät stellen. Graphit nimmt die Energie der Mikrowellenstrahlung besonders gut auf und sorgt dafür, dass die Tablette über 1300 Grad heiß wird – bei derart hohen Temperaturen bilden sich MAX-Phasen.

Damit ist Birkel aber nicht am Ziel. Denn noch zukunftsträchtiger als die metallischen Keramiken sind die aus ihnen erstmals im Jahr 2011 hergestellten MXene. Ihr Name deutet es an: Ein MXen ist eine MAXPhase ohne A-Schichten. Sie wurden mit Flusssäure entfernt. Die Prozedur erfordert zwar höchste Vorsicht – Flusssäure wirkt extrem ätzend –, erfüllt ihren Zweck aber bestens, wie sich im Elektronenmikroskop zeigt: „Die Schichtstruktur der MAX-Phasen weitet sich auf und sieht dann aus wie ein aufgefächertes Buch.“ Teilweise lösen sich die einzelnen Schichten voneinander.

Der Begriff MXen mit der Endung „en“ deutet eine gewisse Ähnlichkeit zu Graphen an, dem aus reinen Kohlenstoffschichten bestehenden Wundermaterial. Für MXene werden ebenfalls vielfältige Anwendungen vom Batteriematerial bis zur Wasserreinigung diskutiert. Erst kürzlich haben Birkel und ihre Kollegen ein neues MXen hergestellt. Es besteht aus Vanadium-Kohlenstoff-Schichten und eignet sich als Katalysator für die Wasserstoffbildung bei der Elektrolyse von Wasser, wie die Gruppe von Ulrike Kramm, Assistenzprofessorin an der TU Darmstadt, zeigte. Die Wasserelektrolyse gewinnt immer mehr an Bedeutung, denn mit ihr lässt sich überschüssig erzeugter Solar- oder Windstrom in Form von Wasserstoff speichern.

Für die katalytische Wirkung der MXene spielen Hydroxylgruppen (aus Sauerstoff und Wasserstoff) sowie Sauerstoff- und Fluoratome, die während der Flusssäure-Behandlung an die Schichten binden, eine Rolle. Die genauen Mechanismen untersuchen die Darmstädter Forscher derzeit, auch mit dem Ziel, die Eigenschaften der MXene zu optimieren. Über die Hydroxylgruppen ließen sich zum Beispiel organische Moleküle an die Schichten koppeln. „Nach dem Lego-Prinzip sind so viele neue MXene denkbar“, erklärt Birkel. Gut 20 sind erst bekannt. Ein ausbaufähigeres Forschungsgebiet hätte sich die angehende Chemieprofessorin nicht aussuchen können.

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