Kunst trifft Wildnis

Ausstellung „Sauvage“ des Kunstforums und Museums Jagdschloss Kranichstein

01.11.2018 von

Vom 4. November 2018 bis 24. Februar 2019 zeigen das Kunstforum der TU Darmstadt und das Museum Jagdschloss Kranichstein die Ausstellung „Sauvage. Emmanuelle Rapin & Angelika Krinzinger“. Erstmals in seiner 100-jährigen Geschichte zeigt das Museum Jagdschloss Kranichstein zeitgenössische Kunst im Kontext seiner Sammlung.

Emmanuelle Rapin, Vanity wing II, 2011. Bildrechte Künstlerin
Emmanuelle Rapin, Vanity wing II, 2011. Bildrechte Künstlerin

Das künstlerische Universum der Künstlerin und diplomierten Haute-Couture-Stickerin Emmanuelle Rapin verknüpft Mode und archaische Kunst- und Kulturtechniken zu einer vielschichtigen und überraschenden Assemblage. Für ihre virtuosen Kunstwerke nutzt sie Motive wie die Jagd oder handwerkliche traditionelle Tätigkeiten wie das Sticken. Erstellt aus organischen Materialien wie Knochen, Federn, kostbaren Steinen oder präparierten Tieren entstehen narrativ aufgeladene Objekte, die unsere Fantasie beflügeln und in beunruhigende Bereiche führen können.

Der Ausstellungstitel „Sauvage“ (frz. „wild“) bezieht sich auf die ungezähmte Natur des Waldes ebenso wie auf die ungebändigte Kraft der Kunst. In der griechischen Mythologie und im Märchen ist der Wald oftmals der Ort von Ungewissheit, Gefahr und Unheil – aber auch von Metamorphosen: Die Geschichte des Narcissus, die Figur der Göttin der Jagd Artemis, dionysische Rituale aber auch die Märchen von Hänsel und Gretel, dem Däumling, der sechs Schwäne oder Dornröschen sind dort verortet. Die Waldmetapher ist fast allen Werken Emmanuelle Rapins immanent, in Form von Märchen, die ihren Arbeiten zugrunde liegen, oder über das Material, aus dem sie bestehen.

Für Emmanuelle Rapin ist das Sticken keine friedliche Angelegenheit. Ihr vergoldeter Fingerhut „The sleeping beauty“ (2010) versinnbildlicht eindringlich die Verknüpfung von Schutz und Aggression. Der Titel verweist wiederum auf eine ganz eigene Interpretation des bekannten Märchens: Dornröschen ist nicht nur Opfer, sondern auch Täterin. Mit seiner ritualisierten, wiederholenden Tätigkeit signalisiert das Sticken zudem den Verlauf der Zeit, markiert ein einzelner Stich die Zeitlichkeit.

Eine Interpretation barocker Stillleben ist ihre Serie von Objekten, die wie Modeaccessoires auch getragen werden könnten. Sie veranschaulicht das Werden und Vergehen, aber auch die fragile Schönheit des Seins. Dafür wählt sie so unterschiedliche und ungewöhnliche Materialien wie das Fell von Säugetieren, Korallen, Perlen, Vogelfüße oder Sexualorgane von Pflanzen. Objekte wie „Plaie d´épaule“, „Les muselées amoureuses“ oder „Roccoco bellette“ veranschaulichen die Ambivalenz einer handwerklichen Tätigkeit, die mit Nadel und Faden pflegen, reparieren und neu erschaffen kann, aber auch brutal vorgehen muss, um sie zu kreieren.

Im Museum Jagdschloss Kranichstein werden Emmanuelle Rapins Stillleben den historischen Stillleben eines Zacharias Sonntag gegenübergestellt, der als Hofmaler der Landgrafen von Hessen Darmstadt im 18. Jahrhundert ebenso den Wald als Metapher für Wildheit und Unberechenbarkeit benutzt, diesen jedoch durch die Wahl seiner Motive wie tote Vögel, Hasen, Rehe und jagdliches Equipment als vom Menschen beherrschbar interpretiert.

Die poetischen Exponate Emmanuelle Rapins verdichten vielschichtige Geschichten und Erinnerungen. Im Kunstforum der TU Darmstadt werden sie auf die fotografische Serie „An Hand“ der Wiener Künstlerin Angelika Krinzinger treffen sowie auf ausgewählte Exponate des Museums Jagdschloss Kranichstein.

Emmanuelle Rapin, The sleeping beauty, 2010, Bildrechte Künstlerin
Emmanuelle Rapin, The sleeping beauty, 2010, Bildrechte Künstlerin

„An Hand“ von Angelika Krinzinger

Angelika Krinzinger, ambras # 19, aus der Serie an hand, 2014, Bildrechte Künstlerin
Angelika Krinzinger, ambras # 19, aus der Serie an hand, 2014, Bildrechte Künstlerin

Auch die Fotoserie „An Hand“ von Angelika Krinzinger ist assoziationsgeladen: Krinzinger hat die historische Porträtgalerie der Habsburger in Schloss Ambras bei Innsbruck fotografiert, sich jedoch ausschließlich auf die Hände fokussiert. Der restliche Teil des Körpers fehlt. Durch die serielle Reihung dieser verschiedenen „Hand-Porträts“ mit ihrer unterschiedlichen Gestik entsteht eine Semiotik der Gesten, eine Art Geheimsprache.

Was die jeweilige Handhaltung zu bedeuten hatte, Hinweise auf Tugendhaftigkeit etwa, moralisches Verhalten oder Jungfräulichkeit, konnte in der damaligen Zeit entschlüsselt werden, heute ist dies nicht mehr der Fall. „An Hand“ stellt provozierend die Frage nach dem Ganzen und der Bedeutung des Details, früher und heute. Zudem lädt „An Hand“ zur Auseinandersetzung ein über die Kommunikation in historischer Zeit und den aktuellen Gebrauch von Sprache und Gesten.

Informationen zu den Künstlerinnen

Emmanuelle Rapin ist 1974 in Épinal geboren. Sie hat an der international renommierten Haute Couture Stickereischule („Conservatoire de Broderie“) in Lunéville studiert und 2018 ihr Diplom in Kunststickerei („broderie d´art“) gemacht. Sie arbeitet regelmäßig für das neue Trend-Luxus-Label Rianna+Nina.

Von 1998 bis 2002 hat Emmanuelle Rapin an der Kunsthochschule École Nationale Supérieure des Beaux-arts bei Jean-Luc Vilmouth, Paris, studiert. Zuvor absolvierte sie ein Studium der Modernen Französischen Literatur an der Universität von Bourgogne in Dijon und ein Studium der Kunstgeschichte an der Universität Paris I Panthéon Sorbonne, Paris. 2003 bis 2005 erhielt sie das Stipendium des Forschungsprogramms La Seine – für zeitgenössische Kunst – bei Tony Brown an der École Nationale Supérieure des Beaux-arts in Paris. Seit 2006 arbeitet sie als Künstlerin in den Bereichen Installation, Zeichnung, Stickerei und Textilobjekte. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Angelika Krinzinger ist 1969 in Innsbruck geboren. Sie hat das Kolleg für Fotografie (Graphische Lehr- und Versuchsanstalt) in Wien besucht, wo sie lebt und arbeitet. Ihre fotografischen Arbeiten wurden in zahlreichen internationalen Ausstellungen gezeigt.