Frischer Wind für die Ingenieurwissenschaften

TU Darmstadt startet eigenes Gastprofessorinnen-Programm

09.04.2019 von

Debora Clever, Arefeh Danesh Shakib und Myriam Koch: Drei Frauen mit Karriere und Forschungserfahrung in der Industrie nutzen eine neue Chance der TU Darmstadt – sie forschen und lehren befristet in der Universität, ohne ihre Position im jeweiligen Unternehmen aufzugeben. Im Interview erzählen sie, was sie an diesem Schritt gereizt hat, wie sie aufgenommen wurden und wie sich die Arbeit in der Industrie und an der Uni voneinander unterscheidet.

Warum war es für Sie reizvoll, als Gastprofessorin zurück an die Uni zu kommen?

Myriam Koch: Gleichzeitig in der Industrie und an der Uni zu arbeiten ist unheimlich spannend. Zum einen, weil sich so wertvolle Synergien nutzen lassen. Zum anderen erfahre ich gerade durch den Wechsel zwischen zwei parallelen Arbeitswelten einen spannenden Perspektivwechsel und eine Horizonterweiterung.

Arefeh Danesh Shakib: Als ich 2011 nach Abschluss meiner Promotion den Schritt in die Industrie gewagt habe, war für mich das Ziel, sowohl die theoretischen Kenntnisse als auch meine Forschungsergebnisse in die Praxis umzusetzen. Nach und nach kam bei mir aber die Frage auf, welche Punkte meines Alltags ich gerne schon an der Universität vermittelt bekommen hätte bzw. was ich jetzt als wissenschaftliche Mitarbeiterin anders angehen würde. Als dann die Möglichkeit der Gastprofessur an der TU da war, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, diese Gedankenspiele in die Wirklichkeit umzusetzen.

Debora Clever: Ich habe in den letzten Jahren sowohl einen tiefen Einblick in als auch einen breiten Überblick über das Gebiet der Robotik sammeln können. Da ich überzeugt davon bin, dass der Bedarf an Robotik-Ingenieurinnen und -Ingenieuren in den nächsten Jahren signifikant steigen wird, freue ich mich umso mehr, dieses Wissen im Rahmen einer Grundlagen- und Übersichtsvorlesung aufzubereiten und mit den Studierenden zu teilen. Ein zweiter wichtiger Grund ist natürlich die Forschung. Auch wenn ich bei ABB ebenfalls in der Forschung tätig bin, so unterscheiden sich die Projekte in Bezug auf Ausrichtung und Konsortium teilweise doch sehr voneinander und ergänzen sich dennoch perfekt.

Myriam Koch. Bild: Claus Völker
Myriam Koch. Bild: Claus Völker

Wie wurden Sie an der TU Darmstadt aufgenommen?

Clever: Sehr gut. Sowohl von den Kollegen, als auch von den Studierenden. Besonders genossen habe ich das Frühstück bei der Fachschaft Maschinenbau und die spannenden Gespräche beim Kaminabend im Lichtenberg-Haus.

Koch: Sehr herzlich! Am Fachbereich war bereits im Vorfeld sehr viel vorbereitet worden, sodass ich gleich am ersten Tag mit allem Nötigen versorgt war. Und egal, wo ich hinkomme oder wen ich frage, ich finde immer ein offenes Ohr und hilfsbereite Mitmenschen.

Danesh Shakib: War ich wirklich jemals weg von hier? Das war die Frage, die ich mir an meinem ersten Tag in Darmstadt als Gastprofessorin gestellt habe. Viele bekannte Gesichter, die Umgebung und auch der Spirit, den die TU immer ausgemacht hat, habe ich sofort wieder wahrgenommen. Es hätte einfach nicht besser laufen können.

Arefeh Danesh Skakib. Bild: Claus Völker
Arefeh Danesh Skakib. Bild: Claus Völker

Gibt es einen Unterschied zwischen der Arbeit in der Industrie und der Arbeit an der Universität? Wie würden Sie ihn beschreiben?

Danesh Shakib: Da gibt es einige, das liegt aber auch an einem selbst. An der Uni hat man einfach noch einen viel ideelleren Blick auf die Themen Energiewende. In der Industrie stellt man aber ganz schnell fest, dass es noch viele weitere Randparameter gibt, die wichtig sind, um Projekte mit einem innovativen Ansatz anzugehen. Ich habe damals zum Beispiel die ersten Offshore-Windparks als WiMi und dann die Problematiken der Umsetzung in der Beratung gesehen. Da kamen dann auch die Themen Brandschutz oder auch Health & Safety auf, die ich als WiMi nicht gesehen habe, die aber einen erheblichen Einfluss auf die Auslegung hatten.

Koch: Zumindest in unserem Unternehmen ist vieles deutlich formalisierter, und es müssen viele Prozesse eingehalten werden, weshalb es manchmal lange dauert, bis etwas in Angriff genommen werden kann. Deshalb finde ich die Arbeit im Fachbereich sehr erfrischend, wo vieles unkompliziert läuft und einfach mal ausprobiert wird.

Clever: Abgesehen von konkreten Projektinhalten und -partnern und den Lehrveranstaltungen selbst ist meine Arbeit in der Industrie und an der Universität doch recht ähnlich. Selbst das Betreuen von studentischen Praktika und Abschlussarbeiten gehört bei beiden Arbeitgebern zu meinem Alltagsgeschäft. Nichtsdestotrotz unterscheiden sich die organisatorischen Strukturen und Herangehensweisen eines Unternehmens mit etwa 130.000 Mitarbeitern doch signifikant von denen an der Universität.

Wie profitieren Sie vom Perspektivwechsel durch die Gastprofessur?

Clever: Zum einen bin ich der Meinung, dass ich durch das Aufbereiten der Materialen für die Lehrveranstaltungen selbst noch einiges dazulernen konnte, zum anderen schätze ich die frischen Ideen und spannenden Fragen der Studierenden. Außerdem begrüße ich die Abwechslung durch ausgefallene, interdisziplinäre Projekte, die man in einem Unternehmen in der Regel nicht bearbeiten würde.

Danesh Shakib: Wie in der vorherigen Frage beschrieben, verliert man über die Zeit in der Industrie die unbegrenzte Sicht auf gewisse Themen. Man übernimmt Annahmen, wo man automatisch Umsetzungsproblematiken erkennt. Durch den Austausch mit Studierenden und WiMis kann man diese Scheuklappen zum Teil wieder ablegen und geht wieder neue Wege, die man sonst aus »Erfahrung« ablehnen würde.

Koch: Hier in Darmstadt komme ich oft ins Gespräch mit anderen Forschern. Daraus ergeben sich wertvolle neue Impulse für meine eigene Arbeit, und es werden Grundsteine für neue Kollaborationen gelegt, einerseits zwischen meiner Firma und Fachbereichen der TU, teilweise auch darüber hinaus.

Stellen Sie einen Unterschied fest zwischen Ihrer eigenen Zeit als Promovendin und heute? Hat sich etwas an der Uni-Kultur oder dem Verhältnis zwischen Professoren und dem Nachwuchs verändert?

Koch: Jede Uni hat ihre eigene Kultur und jeder Professor seinen eigenen Stil. Dennoch, was ich bisher an der TU Darmstadt erlebt habe, scheint mir sehr ähnlich zu meinen Uni-Erinnerungen: viel Freiheit für das eigene Ausprobieren und die eigene Forschung, aber immer mit Blick auf gute Qualität.

Danesh Shakib: Die Energietechnik hat ein wenig an Attraktivität verloren, so scheint es, wenn man sich die Anzahl der Studierenden ansieht: Es gibt weniger Studierende, was nicht zwangsläufig schlecht sein muss. Während meiner Zeit als WiMi war das Thema »Erneuerbare Energien« sehr stark, und wir hatten auch viele Studierende, die sich nur halbherzig mit dem Thema verbunden fühlten.

Clever: Meine Promotionszeit an der TU Darmstadt ist nun etwa sechs Jahre her. Vergleiche ich mit dieser Zeit, so ist alles doch noch recht ähnlich. Denke ich dagegen an meine Studienzeit, so kommen mir handgeschriebene Skripte (abgeschrieben von grünen Schiefertafeln oder Overhead-Projektionen) und ausgehängte Papierlisten, in die man sich für Übungsgruppen eingetragen hat, in den Sinn. Anwesenheit oder ein gutes Netzwerk zwischen den Kommilitonen waren also extrem wichtig – vielleicht wichtiger als heute. Die Uni-Kultur und das Verhältnis zu den Professoren empfand ich immer als sehr angenehm. Ich hoffe, das sehen die Studierenden heute immer noch so.

Debora Clever. Bild: Claus Völker
Debora Clever. Bild: Claus Völker

Noch immer sind Frauen in MINT-Fächern unterrepräsentiert. Sehen Sie sich auch als Role Model für junge Frauen, die über eine Zukunft in MINT-Berufen nachdenken?

Clever: Ja, bestimmt. Ich hoffe doch sehr, dass ich zum Beispiel im Rahmen von Girls’ Day-Veranstaltungen die eine oder andere Schülerin für die Arbeit in MINT-Berufen begeistern kann – hierbei ist die Robotik natürlich auch ein dankbares Gebiet. Auch die Studentinnen, die sich bereits für eine technische Ausbildung entschieden haben, kann ich durch meinen Lebensweg hoffentlich ermutigen, dass die Karriere auch nach dem Studium oder der Promotion weitergehen kann und man dabei nicht auf Familie und Privatleben verzichten muss.

Koch: Es ist ja fast schon schwierig, sich als Frau in den MINT-Fächern den vielen Initiativen und Förder- oder Mentoringprogrammen zu entziehen [lacht]. Aber ja, es macht Spaß junge Menschen mit der Begeisterung für das eigene Fach anzustecken. In den letzten Jahren habe ich zusammen mit verschiedenen Wissenschaftlern unterschiedlichster Fakultäten ingenieurwissenschaftliche und interdisziplinäre Kurse bei SchülerAkademien angeboten. Dort haben wir auch oft und intensiv mit den Teilnehmenden über die verschiedenen Berufe mit all ihren Facetten diskutiert.

Danesh Shakib: Ich denke nicht in solchen »Rollen «, aber ich erkenne, dass diese Diskussion leider noch nicht in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen ist. Meiner Meinung nach sollte jeder das tun, was ihn interessiert und motiviert. Ich kann als positives Beispiel dafür gelten, dass als Frau mit ausländischen Wurzeln der Weg auch in der konservativen Energietechnik möglich ist. Diesbezüglich hat mich Professorin Jutta Hanson motiviert, was als Frau in der Beratung für Energietechnik machbar ist.

Was kann Ihrer Erfahrung nach dafür getan werden, dass der Frauenanteil in naturwissenschaftlichen und technischen Gebieten steigt?

Danesh Shakib: Diese Frage sollte doch keine Einbahnstraße sein. Hier sollte man auch mal fragen, was getan werden muss, um mehr Männer in die sozialpädagogischen Studiengänge zu bekommen. Die Antwort ist ebenso einfach wie schwer: Die Gesellschaft wird sich verändern müssen, damit jeder das ausüben kann, was er wirklich tun möchte. Leider erkennen das viele nicht, weil sie im gesellschaftlichen Bild »gefangen« sind. Der Girls’ Day ist dabei eine gute Werbung für die technischen Studiengänge.

Koch: Meiner Meinung nach ist das vor allem eine Frage, wie wir als Gesellschaft dazu stehen. Solange weiblichen Personen, egal ob im Kindergartenalter oder schon erwachsen, der Umgang mit dem Schraubenzieher nicht zugetraut wird, bleibt es schwierig. Ich hatte das Glück, dass ich als Kind sowohl mit Schere, Papier und Wolle werkeln durfte als auch meiner Vorliebe fürs Sägen, Hämmern und Bohren in unserem Holzkeller nachgehen konnte. Daher denke ich, es ist wichtig, bereits in der Elementarstufe allen Kindern die Möglichkeit zu bieten, sich in allen Bereiche des »Werkelns« ausprobieren zu können.

Dass es anders geht, zeigen viele andere europäische Länder: Dort ist es selbstverständlich, dass Frauen einen Ingenieurberuf ergreifen. So hat eine gute Bekannte aus Spanien lange gebraucht, bis sie verstanden hat, warum sie im Vorstellungsgespräch hier in Deutschland gefragt wurde, wie sie als Frau auf die Idee gekommen sei, Elektrotechnik zu studieren.

Clever: Es gibt zwei Dinge, die man beachten sollte. Erstens: junge Frauen oder Mädchen möglichst früh für Mathematik, Naturwissenschaften und Technik begeistern. Und zweitens diejenigen, die schon begeistert sind, bei ihrem Weg unterstützen und dazu motivieren, nicht abzulassen. Spezielle Programme wie das Gastprofessorinnenprogramm sind hier auf jeden Fall eine tolle Sache – sowohl für die Professorinnen selbst als auch für die Studierenden. Auch die Organisation von Netzwerkveranstaltungen für Nachwuchswissenschaftler mit einem hohen Frauenanteil, vor allen in Schlüsselrollen, ist eine fördernde Maßnahme. Schnuppertage für Schülerinnen und Schüler erreichen schon die jüngsten und sollten auf jeden Fall auch dazugehören.

Wäre eine akademische Laufbahn eine Perspektive für Sie?

Clever: Eine Teilzeitprofessur, die auch nach dem Gastprofessorinnenprogramm weiterläuft, wäre durchaus eine Option. Persönlich finde ich die Mischung aus Industrie und Akademie sehr bereichernd. So kann ich neue Erkenntnisse aus dem industriellen Umfeld zeitnah in die Vorlesung einfließen lassen und die Studierenden auch über fachfremde, aber in der Industrie wichtige Themen wie geistiges Eigentum oder Projektmanagement informieren. Auf der anderen Seite profitiere ich in meinem Industriejob von neuen Netzwerken und frischen Ideen. Eine Vollzeitprofessur auf einem technischen Gebiet ist für mich, wenn überhaupt, erst nach einigen Jahren Berufserfahrung in der Industrie eine sinnvolle Perspektive.

Danesh Shakib: Seit Oktober 2018 bin ich als Gastprofessorin wieder an der TU, und ich fühle mich bestätigt, diesen Weg zurück an meine Alma Mater gegangen zu sein. Ich genieße gerade diese Zeit an der Universität und lerne dabei von den jungen Studierenden einen anderen Blickwinkel auf das Geschäft. Ich könnte mir vorstellen, diesen Weg weiter zu beschreiten, aber es muss natürlich auch die passende Möglichkeit von Seiten der Universität dazu bestehen.

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