Das „Klimakabinett“ – ein guter Ansatz?

Politikwissenschaftliche Bewertung von Prof. Michèle Knodt und Dr. Jörg Kemmerzell

12.04.2019

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat etliche Ministerinnen und Minister der Bundesregierung zu einem „Klimakabinett“ versammelt: Bringt die Runde den Klimaschutz voran? Wie groß ist das Risiko, dass die erwünschten Effekte verpuffen? Es gebe zumindest die Chance für eine „positive Koordination“ in der Klimapolitik, analysieren die TU-Professorin Michèle Knodt und ihr Mitarbeiter Dr. Jörg Kemmerzell.

Knodt ist Mitglied des Exekutivausschusses von „ENavi“, eines der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten „Kopernikus-Projekts für die Energiewende“. Die Analyse im Wortlaut:

„Die Einrichtung eines „Klimakabinetts“ ist auf zu erwartende Kritik gestoßen. Dennoch lohnt sich die Frage, unter welchen Bedingungen ein Klimakabinett Erfolg haben könnte. Das wäre der Fall, wenn es gelänge zwei grundlegende institutionelle Schwierigkeiten zu adressieren, Ressortpartikularismus und Parteienkonkurrenz innerhalb der Regierungskoalition. Bei seiner derzeitigen Zusammensetzung ist aber zweifelhaft, dass dies geschieht. Erfolgreich könnte es nur arbeiten, wenn es an einem relativ frühen Zeitpunkt im Politikformulierungsprozess tätig wird und Bedingungen „positiver Koordination“ schafft.

Das „Klimakabinetts“ hat am 10. April erstmals getagt. Seine Einrichtung, mit der die Bundesregierung den immer deutlicher werdenden Problemen Deutschlands beim Klimaschutz entgegentreten möchte, ist erwartungsgemäß auf Kritik gestoßen. Der grüne Fraktionsvorsitzende Hofreiter spottet: „Die Bundesregierung weiß beim Klimaschutz nicht weiter und gründet einen Arbeitskreis“, der FDP-Klimaexperte Köhler wertet das neue Gremium schlicht „als Versuch der Bundesregierung, beim Klimaschutz Aktivität vorzutäuschen“.

Es ist verständlich, dass die Opposition diese einfache Gelegenheit zur Profilierung nicht auslässt. Trotzdem hat es Idee eines Klimakabinetts verdient, sich etwas näher mit ihr zu befassen und nach möglichen positiven Effekten zu fragen. Die deutsche Klimapolitik sowie die Energiewende als sozio-technischer Transformationsprozess, der maßgeblich zur Zielerreichung im Klimaschutz beiträgt, leiden unbestritten unter erheblichen Koordinationsproblemen. Darauf weist nicht zuletzt ein im vergangenen Jahr veröffentlichter Bericht des Bundesrechnungshofes hin, der die Koordination der Energiewende schlicht als „unzureichend“ qualifiziert.

Klimaschutz fällt in den Zuständigkeitsbereich des Umweltministeriums. Da Klimaschutzpolitik allerdings unterschiedliche Politikfelder betrifft, von der Energie- über die Verkehrs-, die Städtebau- und Infrastruktur bis zur Agrarpolitik, hängt ihr Erfolg letztlich von einer erfolgreichen Zusammenarbeit der zuständigen Ressorts ab. Findet diese nicht von Anfang an statt, kommt es im schlechten Fall zu Politikblockaden und bestenfalls zu dem, was die Politik- und Verwaltungswissenschaft als „negative Koordination“ bezeichnet. Hier legt das jeweils zuständige Ressort einen Entwurf vor, der dann im Abstimmungsverfahren von allen anderen Betroffenen und nicht zuletzt vom Kanzleramt kommentiert und meistens zurecht gestutzt wird, geschehen etwa 2016 beim Klimaschutzplan. Dabei gilt es für die jeweiligen Ministerien zu verhindern, durch eine bestimmte Politik schlechter gestellt zu werden. Vom ambitionierten Entwurf des Umweltministeriums blieb beim Klimaschutzplan nach der Ressortabstimmung bekanntermaßen deutlich weniger übrig, nachdem es an kritischen Stellen zu etlichen Streichungen und Verwässerungen gekommen ist. Hier hat sich der Ressortpartikularismus gezeigt, der darauf achtet, dass geschützte Interessen im eigenen Politikfeld unangetastet bleiben. Ergebnis ist eine Lösung auf dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“.

Das nun auf der Agenda stehenden Klimaschutzgesetz dient der Umsetzung des Klimaschutzplans und stellt das ungleich wichtigere Instrument dar. Es hatte einen denkbar schlechten Start, da die in die Öffentlichkeit gelangten Vorstellungen sofort die parteipolitische Konkurrenz zwischen den Koalitionspartnern aktivierte. Umweltministerin Schulzes (SPD) Ankündigung, dass die betroffenen, zumeist von der Union geführten Ressorts, im Falle der Nichteinhaltung von Sektorzielen vom Umweltministerium quasi „zur Kasse gebeten“ werden, stieß bei diesen auf Ablehnung oder demonstrative Entrüstung, etwa beim Verkehrsminister. So konnte die Umweltministerin zwar parteipolitisch punkten, der Sache diente ihr Vorstoß allerdings nicht.

Ein „Klimakabinett“ könnte eine Reaktion auf die beiden hier identifizierten Probleme des Ressortpartikularismus und des koalitionsinternen Parteienwettbewerbs darstellen. Der Ressortpartikularismus würde dadurch abgemildert, indem beim Querschnittsthema Klimaschutz alle Betroffenen gemeinsam Sachprobleme erörtern und Ziele definieren, bevor der Umverteilungskonflikt zwischen den Ministerien einsetzt. Eine solche Aufstellung der Klimaschutzpolitik würde der Erkenntnis folgen, dass Klimaschutz ein zu wichtiges Thema ist, um vom Umweltministerium alleine verantwortet zu werden. Diesem kämen in der Tat eher die Funktionen des Agenda Setzens und der Koordination zu. Die gemeinsame Verantwortung unterschiedlicher Ressorts würde gleichermaßen die problematischen Effekte der Parteienkonkurrenz abschwächen, da eine konfrontative Haltung dann schwerer einzunehmen ist, wenn man selbst an der Politikformulierung beteiligt ist.

Im besten Fall könnte ein Klimakabinett zu „positiver Koordination“ in der Klimapolitik beitragen. Diese unterscheidet sich von „negativer Koordination“ dadurch, dass die Beteiligten nicht lediglich versuchen kurzfristige Nachteile für das eigene Ressort abzuwenden, sondern sich aktiv an der Problemdefinition und der Politikformulierung beteiligen. In der Folge wäre es möglich, dass die Politik eher einen Modus des „Problemlösens“ verfolgt, denn den „kleinsten gemeinsamen Nenners“ zu suchen. Positive Koordination ist allerdings voraussetzungsvoll und das „Timing“ ein kritischer Faktor. Würde das Klimakabinett lediglich „fertige“ Gesetzesvorschläge verhandeln, wäre nicht viel gewonnen, die negative Koordination würde lediglich von der Ebene der Ministerialbürokratie auf die Leitungsebene gehoben. Momentan ist leider nicht ausgeschlossen, dass genau dies geschieht.

Wichtig wäre hingegen, dass das Klimakabinett bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Politikprozess zusammenfindet und gemeinsam Probleme, Ziele und schließlich auch Maßnahmen formuliert. Dazu müsste es allerdings mehr als eine Ministerrunde sein und echte interministerielle Koordination unter Einbezug der relevanten Fachleute bereits im Stadium der Politikformulierung ermöglichen. Die sachliche Dimension politischer Programme würde damit von der Verteilungsdimension entkoppelt. Zwar werden Verteilungskonflikte so nicht aus der Welt geschafft, im Lichte der Erreichung gemeinsam definierter Ziele werden mögliche „eigene“ Verluste aber anders definiert als wenn es um die Ziele von „anderen“ Ressorts geht. Wäre ein Klimakabinett frühzeitig in den Politikprozess eingebettet und würde es nicht lediglich zu einer Verlagerung negativer Koordination auf die Chefebene beitragen, dann wäre es eine durchaus gute Idee, die eine Chance verdient hat.“