Lastkraftwagen unter Strom

TU Darmstadt begleitet Elektrifizierungsprojekt „ELISA“ auf der A5

07.05.2019 von

Schwere Lastkraftwagen rollen auf der Bundesautobahn A5 abschnittweise mit Strom aus der Oberleitung. Am 07. Mai wurde die Pilotanlage des Projekts „ELISA“ zwischen Langen/Mörfelden und Weiterstadt offiziell und im Beisein von Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Wirtschaft eröffnet – als erste auf öffentlichen Straßen in Deutschland und längste weltweit. Eine zentrale Rolle spielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU: Sie begleiten ELISA seit den Anfängen und werden wichtige Erkenntnisse liefern, ob und in welcher Form das System „eHighway“ ein Beitrag zum Klima- und Umweltschutz sein kann.

Das Projekt ELISA – die Abkürzung steht für „Elektrifizierter, innovativer Schwerverkehr auf Autobahnen“ – läuft seit Januar 2017. Zunächst wurde die Infrastruktur geplant, genehmigt und errichtet: Auf fünf Kilometern Länge flankieren in beide Richtungen Masten und Oberleitungen den rechten Fahrstreifen der stark befahrenen A5. In der zweiten Phase von ELISA beginnt nun der realitätsnahe Praxisbetrieb. Der Feldversuch soll bis Ende 2022 dauern und ermöglicht eine umfassende Erprobung und Untersuchung des oberleitungsgebundenen elektrischen Betriebs von schweren Nutzfahrzeugen unter Praxisbedingungen.

Dafür fahren in Zusammenarbeit mit Logistikunternehmen speziell ausgerüstete Lastkraftwagen – sogenannte Oberleitungs-Hybrid-Lkw (kurz OH-Lkw) – über die Versuchsstrecke. Sensoren erkennen, ob sich über dem Fahrzeug eine Oberleitung befindet. Die Stromabnehmer im Dach des Führerhauses werden dann ausgefahren und versorgen den Elektromotor mit Strom. Zugleich wird die mitgeführte Batterie aufgeladen. Endet die Oberleitung oder will ein OH-Lkw überholen, springt entweder die Batterie oder ein Dieselmotor ein. Letzterer kann auch zugeschaltet werden, falls die Batterie leer ist oder die Batterieladung für die emissionsfreie Belieferung von städtischen Zielen aufgespart werden soll. Das Herstellen oder Lösen des Kontakts des Stromabnehmers mit der Oberleitung erfolgt automatisch im fließenden Verkehr, ohne dass die Geschwindigkeit verringert werden muss. Der Strom für die Pilotanlage wird zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien bereitgestellt.

Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik begleitet Projekt

Das Projekt ELISA, dessen Ergebnisse auf den Großteil des Fernstraßennetzes in Deutschland übertragbar sein werden, wird umfassend wissenschaftlich begleitet durch das Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik (IVV) am Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften der TU unter Leitung von Professor Manfred Boltze, das als Konsortialpartner eng in das Projekt eingebunden ist. Boltze und sein Team verfolgen einen ganzheitlichen und interdisziplinären Ansatz. Sie werden aufbauend auf einer umfassenden Erhebung relevanter Forschungsdaten eine Vielzahl planerischer, straßenbaulicher, verkehrs- und energietechnischer, ökologischer, ökonomischer und rechtlicher Kriterien evaluieren und ausgewählte Aspekte untersuchen, die für einen späteren Ausbau des Systems wichtig sind. Bei ökologischen Fragestellungen wird das IVV unterstützt durch das Fachgebiet Stoffstrommanagement und Ressourcenwirtschaft unter Leitung von Professorin Liselotte Schebek, Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften.

Zum Hintergrund des Projekts erklärt Boltze: „Das Erreichen der Klimaschutzziele erfordert dringend eine Lösung für den Schwerverkehr auf unseren Straßen. Er ist in Deutschland für etwa acht Prozent der gesamten CO2-Emissionen verantwortlich. Trotz der wichtigen Bemühungen zur Verlagerung auf die Schiene wird der Lkw-Verkehr zukünftig noch weiter wachsen. Neben Batterien, die für Lkw im Fernverkehr sehr schwer sind, und Brennstoffzellen, die eine geringe Energieeffizienz haben, sind Oberleitungen auf Fernstraßen ein vielversprechender Ansatz.“

Zu den Fragen, mit denen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschäftigen, gehören unter anderem: Wie funktional und zuverlässig sind Fahrzeuge und Infrastruktur im Realbetrieb? Welche Auswirkungen hat der elektrifizierte Verkehr auf Verkehrssicherheit und Verkehrsablauf unter verschiedenen Witterungs- oder Verkehrsbedingungen? Was ist in puncto Verkehrsbeeinflussung, Winterdienst und Störfallmanagement zu beachten? Welche Anforderungen ergeben sich für Logistikunternehmen bei der Tourenplanung? Welche Umweltkennwerte, Emissionen und Betriebskosten ergeben sich? Und wie wird das System aus Sicht der Bevölkerung und der Verkehrsteilnehmer beurteilt?

Professor Manfred Boltze skizziert das Projekt bei der Eröffnung der Pilotanlage. Bild: Gregor Rynkowski
Professor Manfred Boltze skizziert das Projekt bei der Eröffnung der Pilotanlage. Bild: Gregor Rynkowski

Nach der technischen Entwicklung des eHighway-Systems ist der Versuch auf der A5 ein wichtiger Schritt, um die Einsetzbarkeit und Robustheit unter realen Bedingungen zu überprüfen. „Gerade durch den breiten, interdisziplinären Forschungsansatz kann unsere Universität in diesem Projekt zahlreiche Fragen klären, die bei einem großflächigen Systemeinsatz auftreten werden“ , so Boltze. „Wir analysieren dazu nicht nur große Mengen an Daten zu Fahrzeugen, Oberleitungssystem und Verkehrsablauf, sondern leisten auch Beiträge zur Weiterentwicklung und Verbesserung des eHighway-Systems.“ So verfolgt das Team der TU Darmstadt zum Beispiel den Gedanken, auch Busse mit Stromabnehmern auszustatten, und es entwickelt eine Software zur Bewertung des Elektrifizierungspotenzials für alle deutschen Fernstraßen.

Hintergrund: Projekt ELISA

Das Projekt ELISA ist eine Konsequenz aus dem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020, mit dem die Bundesregierung unter anderem einen Feldversuch zur Erprobung elektrischer Antriebe bei schweren Nutzfahrzeugen beschlossen hat. ELISA ist die erste eHighway-Teststrecke in Deutschland, die auf einer öffentlichen Straße in Betrieb genommen wird. Das ELISA-Projektkonsortium besteht aus Hessen Mobil – Straßen- und Verkehrsmanagement (Leitung), der Siemens AG, der ENTEGA AG und der TU Darmstadt. Mehrere Unternehmen aus der Region wirken als Transportpartner mit und betreiben die Versuchs-Lkw. ELISA wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit gefördert.