Keine Ehrung mehr im öffentlichen Raum

Neue Erkenntnisse zur NS-Zeit: Alarich-Weiss-Straße und Georgii-Platz werden umbenannt

09.05.2019 von

Die Technische Universität Darmstadt ist bestürzt angesichts neuer Erkenntnisse der Geschichtsforschung, die ein neues Licht auf den Chemiker Alarich Weiss werfen und den Wissenschaftler Walter Georgii klar bewerten: Während Weiss seine Biografie in der Nachkriegszeit verschleierte, war Georgii in der Zeit des Nationalsozialismus eng in die kriegsvorbereitende Rüstungsforschung eingebunden. Die TU Darmstadt wird aus den jüngsten Rechercheergebnissen der Historiker unmittelbar Konsequenzen ziehen.

Die TU begrüßt es nachdrücklich, dass die Wissenschaftsstadt Darmstadt eine Umbenennung der Alarich-Weiss-Straße anstrebt. Ebenso befürwortet sie die Absicht der Stadt, die Ehrung des Wissenschaftlers Walter Georgii, nach dem ein Platz am Flugplatz Griesheim benannt ist, zurückzunehmen.

NS-Biografie verschwiegen

Alarich Weiss (1925 – 1995) ist bis heute ein weltweit anerkannter Wissenschaftler. Als Professor der Physikalischen Chemie an der damaligen TH Darmstadt wirkte er nicht nur sehr aktiv in Forschungsprojekten, sondern engagierte sich auch für die Lehre sowie in der wissenschaftlichen Selbstverwaltung. Dass es eine eigenständige Fachrichtung Materialwissenschaften an der TU Darmstadt gibt, geht auf seine Initiative zurück. Außerdem lag ihm die finanzielle Förderung der Studierenden am Herzen. Sein Name ist bis heute eng verbunden mit der „Alexander von Humboldt-Stiftung“ (AvH), denn er betreute in vorbildlicher Weise AvH-Gastwissenschaftler während ihrer Forschungsaufenthalte an der Universität. Außerdem wird die von Weiss und seiner Ehefrau eingerichtete „Alarich und Elisabeth Weiss-Stiftung“ von der Alexander von Humboldt-Stiftung verwaltet.

In Anerkennung all dieser Verdienste wurde im Jahr 2013 auf Vorschlag der TU Darmstadt eine Straße auf dem Campus Lichtwiese nach Alarich Weiss benannt.

Umfassende Recherchen haben nun ans Licht gebracht, dass Alarich Weiss von 1935 bis 1943 als junger Mann Mitglied der Hitlerjugend war und sich 1942 als 17-Jähriger freiwillig für die Waffen-SS meldete. Er war erwiesenermaßen Mitglied der 2. SS-Panzerjäger-Abteilung „Das Reich“, welche an Kriegsverbrechen beteiligt war. Alarich Weiss hat die Mitgliedschaft in der Waffen-SS im Rahmen seines Entnazifizierungsverfahrens nachweislich verschwiegen.

Schlüsselfigur der NS-Luftfahrtforschung

Die Bedeutung des Flugplatzes in Griesheim ist eng mit dem Segelflug und Walter Georgii (1888 – 1968) verbunden. Seit 1975 erinnert ein großer Findling, gestiftet von „ehemaligen DFS-lern“ (Deutsches Fluginstitut für Segelflug/Deutsche Fluganstalt für Segelflug), an den einstigen Hochschulprofessor für Flugmeteorologie und Leiter des genannten Fluginstituts. 1996 erhielt der Vorplatz zum Flugfeld durch einen Magistratsbeschluss der Stadt Darmstadt den Namen „Georgiiplatz“.

Walter Georgii übernahm 1926 von Professor Wilhelm Schlink die Leitung des Forschungsinstituts der Rhön-Rossitten-Gesellschaft (RRG), die – 1924 gegründet – Flugsport mit wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung vereinte und damit das frühzeitige Ende des Segelflugs abwendete. Seine Mitstreiter nannten Walter Georgii „Vater des Segelflugs“. Zugleich erhielt er an der damaligen Technischen Hochschule Darmstadt eine außerordentliche Professur für Flugmeteorologie. Grundlegende Erkenntnisse zur Thermik konnten durch Segelflüge gewonnen und wiederum für den Segelflug gewinnbringend eingesetzt werden. Mit den deutschen Erfolgen in Segelflugwettbewerben stieg auch das internationale Interesse. Im Rahmen der „1. Wissenschaftlichen Segelflugtagung“ in Darmstadt gründete sich die „Internationale Studienkommission für Segelflug“, der Walter Georgii von 1930 bis 1939 als Vorsitzender vorstand. Sie war für die Anerkennung von Rekorden und Wettbewerben zuständig. 1933 wurde die RRG aufgelöst. Das Forschungsinstitut erhielt auf dem Flugplatz in Griesheim einen neuen Standort unter dem Namen „Deutsches Forschungsinstitut für Segelflug“; ab 1937 „Deutsche Forschungsanstalt für Segelflug“.

Nachdem ihm 1945 eine Rückkehr an die TH Darmstadt aufgrund der fehlenden politischen Entlastung verwehrt wurde, war Walter Georgii im Ausland tätig. 1955 kehrte er nach Deutschland zurück und war bis zu seinem Tod 1963 in nationalen Forschungs- und Versuchsanstalten beschäftigt.

Die „Deutsche Forschungsanstalt für Segelflug“ wurde im Dritten Reich unter der Leitung von Walter Georgii zu einer Schaltstelle der Luftfahrtforschung. Als überzeugter Patriot steuerte Georgii seinen Teil zur Fertigung von kriegswichtigen Produkten bei. Es ist nicht unbekannt, dass er 1937 in die NSDAP eintrat und als ordentlicher Professor in den Reichsdienst gerufen wurde. Obwohl sich Georgii selbst und seine Forschung immer als unpolitisch bezeichnete, war er maßgeblich am Kriegsgeschehen beteiligt.