Erinnerung aus dem Computer

Das Synagogen-Projekt des Fachgebiets Digitales Gestalten besteht seit 25 Jahren

10.07.2019 von

Am Fachgebiet Digitales Gestalten arbeiten Forschende seit 25 Jahren an neuen Formen des kulturellen Gedächtnisses. Ein Schwerpunkt ist die digitale Rekonstruktion zerstörter Synagogen.

Kulturdenkmäler prägen das Bild einer Stadt, sind historisches Zeugnis und mehr noch kulturelles Identifikationsobjekt. Die jüngsten Ereignisse um Notre-Dame in Paris werfen einmal mehr die Frage nach der Beständigkeit unseres kulturellen Erbes auf. Wie kann dessen Verlust veranschaulicht werden, und wie kann Erinnerungsarbeit funktionieren, wenn nicht mehr existiert, was erinnert werden soll?

Das Fachgebiet Digitales Gestalten am Fachbereich Architektur der TU Darmstadt arbeitet seit 25 Jahren sehr erfolgreich an neuen Formen des kulturellen Gedächtnisses: Ein Forschungsschwerpunkt ist die digitale Rekonstruktion zerstörter Synagogen.

Anlass dieses Projekts war der Brandanschlag von Neo-Nazis auf die Lübecker Synagoge 1994. Als Zeichen gegen Antisemitismus entstanden in einem studentischen Seminar Visualisierungen von drei in der NS-Zeit zerstörten Frankfurter Synagogen.

Neue Technologien ermöglichen heute deutlich genauere Rekonstruktionen und lassen Zerstörtes durch Virtual-Reality-Brillen erlebbar werden. Bei den drei Synagogen in Frankfurt blieb es nicht, 26 weitere Rekonstruktionen zerstörter Synagogen folgten. Die Projektarbeit wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und mündete in der erfolgreichen Ausstellung „Synagogen in Deutschland – Eine virtuelle Rekonstruktion“. Als Wanderausstellung war sie in Israel, Amerika und Kanada und ist nun in diesem Jahr wieder in Deutschland, in Paderborn, zu sehen.

„Die digitalen Rekonstruktionen der Synagogen sollen an die Shoah erinnern und den kulturellen Verlust verdeutlichen. Indem sie das tun, zeigen sie zugleich, wie Informations- und Kommunikationstechnologien neue Formen des kulturellen Gedächtnisses bilden können“, so Dr.-Ing. Marc Grellert, Initiator und heutiger Leiter des Projekts. „In die Projektarbeit fließen drei meiner großen Interessensgebiete ein: Architektur, Neue Medien und die NS-Zeit.“

So verwundert es auch nicht, dass Grellert und sein Team an der Rekonstruktion des jüdischen Viertels mit seiner mittelalterlichen Synagoge in Köln mitwirken, einer der derzeit größten archäologischen Ausgrabungsstätten Deutschlands. Die Ergebnisse werden dann im Museum MiQua ausgestellt werden. Bisher rekonstruierten sie das jüdische Viertel und die Synagoge um das Jahr 1349. Im kommenden Jahr werden sich Grellert und Team der gesamten Baugeschichte der Synagoge widmen. Erhaltene Fundamente dienen als Grundlage. Zudem wurden Bruchstücke der ursprünglichen Bima gescannt, virtuell zusammengesetzt und nach den damals architektonisch üblichen Formen ergänzt.

Vom gerahmten Bild zur VR-Brille

Die Technologien für digitale Rekonstruktionen haben sich im Laufe der letzten 25 Jahre dramatisch verändert: „Während die Frankfurter Synagogen in einer ersten Ausstellung lediglich als Ausdrucke gezeigt wurden, können wir heute mittels Virtual-Reality-Brille in rekonstruierten Synagogen umhergehen. Viele Museen reagieren in den letzten zwei Jahren stark auf diesen Trend und nutzen Virtual Reality als neues Medium der Wissensvermittlung“, so Grellert. Eine mögliche Ergänzung auch für die Ausstellung „Synagogen in Deutschland – Eine virtuelle Rekonstruktion“, deren Bestand noch ungewiss ist.

Im Gespräch ist Grellert derzeit mit der Frankfurt „Initiative 9. November“, die Interesse hat, die Ausstellung dauerhaft am Standort der ehemaligen Synagoge Friedberger Anlage zu zeigen. Seit der NS-Zeit befindet sich hier ein Hochbunker, in dem die Initiative Ausstellungen zu NS-Zeit und Jüdischem Leben zeigt.

„Damit wären wir 25 Jahre später wieder in Frankfurt, dem ersten Wirkungsort unseres Projekts“, sagt Grellert. „Die Ausstellung könnte ein Baustein sein im Kampf gegen weiter zunehmenden Antisemitismus und durch den Einsatz neuer digitaler Medien gerade junge Leute neugierig machen, sich mit der deutschen Geschichte und aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zu beschäftigen.“

Weitere Projekte

Das Fachgebiet Digitales Gestalten rekonstruiert neben Synagogen auch viele weitere Denkmäler. In Seminaren und mit studentischer Mitwirkung oder als Forschungsprojekt sind so schon beispielsweise der Vatikan, der Kreml, die Kaisergräber in China und der Florentiner Dom digital rekonstruiert worden.

Zu architekturgeschichtlich sehr bedeutenden Projekten zählt auch die Visualisierung des St. Galler Klosterplans, der als die bedeutendste Architekturzeichnung des Mittelalters gilt und seit April erstmals im Original zu sehen ist. Aus den digitalen Datensätzen werden im Rapid-Prototyping-Verfahren auch haptische Modelle maschinell aus Gips, Kunststoff, Keramik oder metallischen Werkstoffen gefertigt. Derzeit arbeitet Grellert intensiv an der Weiterentwicklung des Dokumentationstools Sciedoc, das Rekonstruktionen wissenschaftlich nachvollziehbar macht und als Kommunikationsinstrument dient.