Dorfladen in Golzow

Projekt mit der TU Darmstadt: Gemeinschaftliche Gestaltung von mehr Lebensqualität vor Ort

14.08.2019

„Dorfgemeinschaffen in Golzow“, ein Kooperationsprojekt der Gemeinde Golzow im Oderbruch und der TU Darmstadt, ist am Ziel: Das Nahversorgungskonzept „Dorfladen plus“, das mit der Bevölkerung vor Ort entwickelt wurde, soll der schrumpfenden Kommune neue Zukunftsperspektiven eröffnen. Nina Gribat, Professorin für Entwerfen und Städtebau am Fachbereich Architektur, erläutert die Geschichte und Hintergründe des Projekts.

Worum geht es bei dem Projekt „Dorfgemeinschaffen“?

Das Projekt hat mehrere Ebenen. Zunächst handelt es sich um ein angewandtes Lehrformat in der Architektur, das dem „Design-Build-Ansatz“ folgt. Das heißt, die Studierenden haben in der Gemeinde Golzow im direkten Dialog mit den zukünftigen Nutzerinnen und Nutzern einen „Dorfladen plus“ entworfen, geplant und gebaut. Dieser ist nicht nur als eine dringend benötigte Nahversorgungseinrichtung und als Treffpunkt konzipiert, sondern stellt darüber hinaus einen wichtigen Baustein für die integrierte Dorfentwicklungsplanung dar, mit der sich die Studierenden sehr intensiv während des Semesters beschäftigt haben.

Ziel ist es, die Lebensqualität für heutige und zukünftige Einwohnerinnen und Einwohner zu verbessern. Ein so komplexes Projekt kann nur in enger Zusammenarbeit mit einer fitten Gemeinde, vor Ort ansässigen Vereinen und engagierten Bürgerinnen und Bürgern entwickelt werden; sonst bleiben die spezifischen Bedürfnisse und Bedingungen vor Ort unberücksichtigt und das Projekt ist zum Scheitern verurteilt. Außerdem waren wir bei diesem aufwändigen Projekt auf die Förderung durch Drittmittel angewiesen. Deshalb freuen wir uns über die Unterstützung durch die sto Stiftung und die Hans Sauer Stiftung sowie über zusätzliche Förderung von kleineren und größeren Unternehmen und Vereinen vor Ort.

Warum gerade Golzow?

Golzow ist eine kleine Gemeinde im Oderbruch im östlichen Brandenburg, die sich seit der Wende in einem stetigen Prozess des Strukturwandels befindet. Das Oderbruch war früher der Gemüsegarten Berlins. In der DDR entstand hier ein Musterbetrieb einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG), der auf den großen Flächen des zum Großteil kollektivierten Bodens äußerst erfolgreich gewirtschaftet hat. Ein Teil der Gewinne wurde vor Ort investiert. Zu DDR-Zeiten hatte Golzow unter anderem eine beheizte Schwimmhalle, mehrere Läden, verschiedene Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe, einen sehr großen landwirtschaftlichen Ausbildungsbetrieb, eine florierende Schule und vieles mehr. Außerdem wurde hier über mehrere Jahrzehnte das Dokumentarfilmprojekt „Die Kinder von Golzow“ gedreht.

Nach der Wende wurden die LPG privatisiert und der daraus hervorgegangene landwirtschaftliche Großbetrieb nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen strukturiert. Im Zuge dessen wurde ein Großteil der Arbeit- und Ausbildungsplätze abgebaut, die Investitionen in außenbetriebliche Einrichtungen wurden radikal gekürzt. Golzow hat sukzessive Einwohner und Angebote vor Ort eingebüßt. Heute gibt es außer einem Bäcker, der täglich nur ein paar Stunden öffnet, keine Nahversorgungseinrichtung. Die Lebensmittel, die in der Gegend hergestellt werden, sind vor Ort nicht erhältlich. Für eine zunehmend alternde Bevölkerung, die über keine eigenen Autos verfügt, entstehen Engpässe. Und so bietet sich Golzow in doppelter Hinsicht für das Projekt an – es gibt hier einen konkreten Entwicklungsbedarf und zugleich eine aktive Gemeindevertretung sowie zahlreiche Vereine, die offen sind für eine Unterstützung von außen. Die Gemeinde kam ja in diesem Fall auf uns zu.

Was hat die TU Darmstadt beigesteuert?

Am Fachgebiet Entwerfen und Städtebau der TU Darmstadt beschäftigen wir uns schon länger mit städtischen Transformationsprozessen im Kontext des Strukturwandels, mit strategischen, prozessorientierten Ansätzen im Städtebau und mit „Design-Build“ Ansätzen. Auf diese Erfahrungen konnten wir im Projekt Dorfgemeinschaffen zurückgreifen. Für uns, d.h. in diesem Fall Iman Charara, Christoph Muth und mich, bietet dieses Projekt die Gelegenheit, realitätsnahe problemorientierte Lehrveranstaltungen anzubieten, etwa ein semesterlanges Entwurfsprojekt in Kombination mit einer Sommerschule.

Für die Gemeinde Golzow stellt die Zusammenarbeit eine Chance dar, von außen mit neuen Ideen und Ansätzen in Berührung zu kommen. Auf diese Weise haben beide Seiten einen Gewinn. Trotzdem sind wir auch noch auf fachliche Unterstützung durch ausgebildete Handwerker angewiesen – und so haben wir uns an den „Baucircus“ mit ihrer mobilen Werkstatt und der nötigen Erfahrung in solchen Projekten gewandt.

Was zeichnet den nun startenden Dorfladen aus?

Der Dorfladen plus ist nicht nur eine Verkaufsstelle für lokale Lebensmittel mit angeschlossenem Wochenmarkt, sondern auch ein Ort der Zusammenkunft. Er soll sich sukzessive weiterentwickeln, zum Beispiel sollen später Phase eine Paketstation, ein Hotspot, ein Café und weitere Angebote hinzukommen. Die Planung des Dorfladen plus, der in ein leerstehendes Ladengeschäft im Zentrum des Dorfes eingezogen ist, bezieht die Bäckerei nebenan, den Eisladen sowie den Dönerladen gegenüber ein, so dass keine gegenseitige Konkurrenz entsteht. Die Studierenden haben verschiedene flexible Möbelelemente sowie einen neuen überdachten Vorbereich gebaut. Letztlich wird der Laden aber von der Dorfgemeinschaft Golzows getragen und im nächsten Schritt wird ein nachhaltiges gemeinschaftliches Betreiberkonzept entwickelt.

Kann das Projekt als Modell auf andere schrumpfende Gemeinden übertragen werden?

Ich denke, schon, zugleich ist es auch für die zunehmende Anzahl von Kommunen relevant, die über keine Nahversorgungseinrichtung oder Orte der Zusammenkunft mehr verfügen. Im Grunde geht es in unserem Projekt ja um die gemeinschaftliche Gestaltung von mehr Lebensqualität vor Ort, was für viele Gemeinden wichtig ist – egal ob sie von Schrumpfung betroffen sind oder nicht.

Was am Projekt „Gemeinschaffen“ wird Ihnen besonders in Erinnerung bleiben?

Ein besonderes Highlight waren die verschiedenen Gelegenheiten des Austauschs mit den Golzowern. Wir waren dreimal vor Ort, zu Beginn des Semesters, mittendrin und noch einmal länger für eine Sommerschule am Ende des Semesters. Eine Delegation aus Golzow hat uns außerdem zur Endpräsentation in Darmstadt besucht. Was mir auch noch in Erinnerung bleiben wird, ist das überdurchschnittliche Engagement der Studierenden in diesem Projekt.

Die Fragen stellte Bettina Bastian