Insektenrückgang weitreichender als vermutet

Studie unter Beteiligung der TU Darmstadt: Ursachen liegen Landschaftsebene

31.10.2019 von

Auf vielen Flächen tummeln sich heute etwa ein Drittel weniger Insektenarten als noch vor einem Jahrzehnt. Dies geht aus einer Untersuchung eines internationalen Forschungsteams unter Beteiligung der TU Darmstadt hervor. Vom Artenschwund betroffen sind vor allem Wiesen, die sich in einer stark landwirtschaftlich genutzten Umgebung befinden – aber auch Wald- und Schutzgebiete.

Professor Nico Blüthgen und Dr. Nadja Simons vermessen Körpermerkmale von Insekten.

Dass es auf deutschen Wiesen weniger zirpt, summt, kreucht und fleucht als noch vor 25 Jahren, haben bereits mehrere Studien gezeigt. „Bisherige Studien konzentrierten sich aber entweder ausschließlich auf die Biomasse, also das Gesamtgewicht aller Insekten, oder auf einzelne Arten oder Artengruppen. Dass tatsächlich ein Großteil aller Insektengruppen betroffen ist, war bisher nicht klar“, sagt Dr. Sebastian Seibold, Erstautor der Studie und Forscher am Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie der TU München (TUM).

Im Rahmen einer breit angelegten Biodiversitätsstudie hat nun ein Forschungsteam unter der Leitung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der TUM zwischen 2008 und 2017 eine Vielzahl von Insektengruppen in Brandenburg, Thüringen und Baden-Württemberg erfasst. Die Auswertung der Studienergebnisse stellt das Team nun in der Fachzeitschrift „Nature“ vor.

Insekten auf der Wiese und im Wald betroffen

Die Forscherinnen und Forscher haben auf 300 Flächen über eine Million Insekten gesammelt und konnten so nachweisen, dass viele der fast 2.700 untersuchten Arten rückläufig sind. Einige seltenere Arten wurden in den letzten Jahren in manchen der beobachteten Regionen gar nicht mehr gefunden. Sowohl auf den Waldflächen als auch auf den Wiesen zählten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach zehn Jahren etwa ein Drittel weniger Insektenarten.

„In detaillierten Studien konnten wir bislang die 300 Flächen vergleichen und damit belegen, wie sich die Landnutzung auf verschiedene Insektengruppen auswirkt. Die Mahd von Wiesen mit Kreiselmähern führt beispielsweise zu einem deutlichen Rückgang der Insektenvielfalt, die in Kuh- und Schafweiden viel ausgeprägter ist“, sagt Nico Blüthgen, Professor für Ökologische Netzwerke an der TU Darmstadt. Er leitet zusammen mit Professor Wolfgang Weisser von der TUM diese Studien zu Insekten im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms Biodiversitäts-Exploratorien. „In den akribisch erhobenen Daten zeigt sich nun erstmals der Rückgang über die Jahre hinweg – und das in ähnlicher Weise in Wiesen, Weiden und Wäldern. Neben der Landnutzung auf jeder einzelnen Fläche, zum Beispiel Mahd oder Holznutzung, sind hier also Veränderungen in ganzen Landschaften im Spiel“, ergänzt Blüthgen.

Das Forschungsteam stellte fest, dass die Biomasse der Insekten in den untersuchten Wäldern seit 2008 um etwa 40 Prozent zurückgegangen war. Im Grünland waren die Ergebnisse noch alarmierender: Am Ende des Untersuchungszeitraums hatte sich die Insektenbiomasse auf nur ein Drittel ihres früheren Niveaus verringert. Der sehr starke Rückgang im Grünland passt in das Bild, das immer mehr Studien zeichnen.

Ausgewählte Exemplare der Wanzenart Calocoris roseomaculatus, die auf den Untersuchungsflächen der Studie gefangen wurden.
Ausgewählte Exemplare der Wanzenart Calocoris roseomaculatus, die auf den Untersuchungsflächen der Studie gefangen wurden.

Die Umgebung gibt den Ausschlag

Den größten Schwund stellten die Forscherinnen und Forscher auf den Grünlandflächen fest, die in besonderem Maße von Ackerland umgeben sind. „Dort leiden besonders solche Arten, die nicht in der Lage sind große Distanzen zu überwinden. Nach einer Störung können diese Grünflächen nur sehr langsam oder gar nicht durch diese Arten wieder besiedelt werden“, sagt Dr. Nadja Simons, die zunächst an der TUM im Projekt mitgearbeitet hat und nun an der TU Darmstadt tätig ist.

Im Wald hingegen schwanden vorwiegend jene Insektengruppen, die weitere Strecken zurücklegen. „Möglicherweise kommen mobilere Arten aus dem Wald während ihrer Ausbreitung stärker mit der Landwirtschaft in Kontakt“, erläutert Simons. „Die Ursachen des Rückgangs könnten jedoch auch mit den Lebensbedingungen in den Wäldern zusammenhängen, hier besteht weiterhin großer Forschungsbedarf.“

Einzelinitiativen haben wenig Aussicht auf Erfolg

„Aktuelle Initiativen gegen den Insektenrückgang kümmern sich viel zu sehr um die Bewirtschaftung einzelner Flächen und agieren weitestgehend unabhängig voneinander“, sagt Seibold. „Um den Rückgang aufzuhalten, benötigen wir ausgehend von unseren Ergebnissen eine stärkere Abstimmung und Koordination auf regionaler und nationaler Ebene.“

Publikation

Seibold, S., Gossner, M.M., Simons, N.K., Blüthgen, N., Müller, J., Ambarli, D., Ammer, C., Bauhus, J., Fischer, M., Habel, J.C., Linsenmair, K.E., Nauss, T., Penone, C., Prati, D., Schall, P., Schulze, E.-D., Vogt, J., Wöllauer, S. und Weisser, W.W.: Arthropod decline in grasslands and forests is associated with drivers at landscape level. Nature, 30.10.2019
DOI:https://doi.org/10.1038/s41586-019-1684-3

Mehr Informationen

Die Studie wurde in einem deutschlandweiten Verbundprojekt, den Biodiversitäts-Exploratorien, durchgeführt. Die offene Forschungsplattform wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert. Beteiligt waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU München, TU Darmstadt, den Universitäten Bern, Düzce (Türkei), Freiburg, Göttingen, Marburg, Salzburg, und Würzburg sowie des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena und die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL (Birmensdorf).

Forschungsgegenstand ist unter anderem, welche Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Komponenten der Biodiversität bestehen – etwa zwischen der Pflanzenvielfalt und der Vielfalt der Insekten. Außerdem wird in diesem Projekt erforscht, welche Auswirkungen unterschiedliche Formen der Landnutzung auf die Biodiversität und die Prozesse innerhalb eines Ökosystems haben.