Geldregen per Hubschrauber

Studie von TU-Ökonomen analysiert Effekte eines „Helikoptergeldes“

17.12.2019 von

Seit Jahren versucht die Europäische Zentralbank (EZB), die Konjunktur anzukurbeln. Fachleute denken dabei auch über ein „Helikoptergeld“ nach. Was die Menschen damit tun würden, haben Wirtschaftswissenschaftler der TU Darmstadt untersucht.

Ökonomie-Professor Michael Neugart

„Stellen Sie sich vor, dass eines Tages ein Hubschrauber über Ihre Gemeinde fliegt und eine Extrazahlung in Form von Tausenddollarscheinen vom Himmel wirft, die die Bürger eilig aufsammeln. Stellen Sie sich weiter vor, dass jeder davon überzeugt ist, dass es sich hier um einen Einzelfall handelt, der sich nie wiederholen wird.“ Dieses Gedankenexperiment, das der US-amerikanische Ökonom Milton Friedman 1969 entwickelte, scheint in diesen Tagen eine Renaissance zu erfahren. Denn dahinter steht die Prämisse, dass Inflation und Deflation eng zusammenhängen mit der Geldmenge, die die Menschen auf dem Konto haben, aber auch die Frage, ob eine einmalige Finanzspritze positive Effekte auf die Konjunktur hat.

Klar ist: Damit die europäische Wirtschaft angesichts eines Nominalzinssatzes von null und sehr niedriger Inflation nicht irgendwann in eine Deflationsspirale gerät, sind neue Strategien gefragt. „Im Moment wird der geldpolitische Handlungsspielraum der EZB für Investitionsanreize immer kleiner“, beobachtet Professor Michael Neugart, Leiter des Fachgebiets Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Darmstadt. Der Experte, der in seiner jüngsten Studie zusammen mit Dr. Uros Djuric die Effekte eines Helikoptergeldes analysiert hat, hält die Instrumente der Zentralbanker in Frankfurt für ausgeschöpft. Bis zur Wirtschaftskrise 2007 galt das Senken des Nominalzinses als Standardtool der Konjunkturbelebung. Denn: je niedriger der Zinssatz, desto größer die Bereitschaft der Geschäftsbanken, sich Geld von der EZB zu leihen und die günstigen Konditionen direkt an die Kundinnen und Kunden weiter zu geben. In der Folge investieren Unternehmen, das Sparen wird angesichts niedriger Zinsen unattraktiv und die Menschen stecken ihr Geld in Konsumgüter.

Dieser Leitzins kann jedoch nicht unter null sinken. Derzeit liegt er bei null, das heißt, auf diesem Weg kann die EZB kein Geld mehr in die Volkswirtschaft pumpen. Stattdessen ist sie dazu übergegangen, am Anleihemarkt Staatsschuldverschreibungen aufzukaufen; eine Strategie, die jedoch umstritten ist, weil es sich hierbei um eine versteckte Staatsfinanzierung handeln könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat deswegen bereits Grenzen umrissen: Die EZB darf nur weniger als ein Drittel der Staatsanleihen halten, die das betreffende Land insgesamt ausgibt. Auch hier ist also das Limit in Sicht.

Instrument „Helikoptergeld“

„Kein Wunder, dass wieder mehr oder weniger laut über unkonventionelle Instrumente wie das Helikoptergeld nachgedacht wird“, erklärt Neugart. Die spannende Frage, die sich nicht nur die Darmstädter Wirtschaftswissenschaftler stellen, ist jedoch: Würde es über seine metaphorische Bedeutung hinaus tatsächlich taugen, um in der Eurozone die stagnierende Konjunktur in Schwung zu bringen? Und hätte es einen positiven Effekt auf das Kaufverhalten der Menschen und damit auf die Preise und Inflation?

Derzeit diskutieren die Expertinnen und Experten zwei Wege, um das Helikoptergeld unter die Leute zu bringen. In der ersten Variante bekommen die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten Geld von der EZB und geben es an ihre Bürger und Bürgerinnen weiter, zum Beispiel über eine Steuerrückzahlung. Da dies jedoch als Staatsfinanzierung nicht vom Mandat der EZB gedeckt ist, scheint Variante zwei die bessere: Die EZB schickt das Geld direkt via Scheck oder Überweisung an die Haushalte.

Neugart und Djuric haben im Rahmen ihrer verhaltensökonomischen Studie beide Kanäle berücksichtigt. Sie wollten wissen, was die Menschen mit einer solchen Finanzspritze machen würden, welche Erwartungen sie an das Helikoptergeld knüpfen und wie sie es als geldpolitisches Instrument beurteilen. Dabei verglichen die Experten vier Szenarien. Im ersten sollten die Teilnehmenden sich vorstellen, dass sie und alle anderen Bürgerinnen und Bürger der Eurozone eine Einmalzahlung in Höhe von 1.200 Euro vom Finanzministerium bekommen, finanziert aus Geldern der EZB. Im zweiten, dass sie diese Summe in Form eines Schecks direkt von der EZB erhalten und im dritten, dass die 1.200 Euro in zwölf Monatsraten ausbezahlt werden. Szenario vier – ein Lottogewinn von 1.200 Euro – diente als Kontrollgruppe.

Ich bin skeptisch, ob man ein Instrument, das die Menschen eher verunsichert und das möglicherweise keinen Effekt auf die Inflationsrate hat, einsetzen sollte.

Alle Szenarien erbrachten ein zentrales Ergebnis: Die Befragten würden angesichts eines Geldsegens wie dem Helikoptergeld rund 40 Prozent der Summe ausgeben, weitere rund 40 Prozent in den Sparstrumpf stecken und mit den restlichen rund zwanzig Prozent ihre Schulden zurückzahlen. Interessant aus Sicht der Forscher ist, dass hier ein Phänomen, das in den Wirtschaftswissenschaften unter der Bezeichnung „Ricardianische Äquivalenz“ bekannt ist, offenbar nicht zum Tragen kommt. Es besagt, dass Menschen sich zurückhaltend bei Geldgeschenken des Staates zeigen, wenn dieser das Geld selbst nur geliehen hat. Die Befürchtung, man müsse es unter diesen Bedingungen irgendwann zurückzahlen, führt dazu, dass eine solche Zahlung keine Auswirkungen auf den Konsum hat. „Dies konnten wir im Rahmen unserer Studie nicht beobachten“, erklärt Neugart.

Die rund 40 Prozent, die in den Konsum fließen würden, wertet der Forscher als durchaus positives Zeichen. „Das Helikoptergeld könnte vielleicht dazu beitragen, dass wir erst einmal aus der Rezession herauskommen. Ob es nachhaltig wirkt, können wir allerdings nicht prognostizieren.“ Insgesamt belegt die Studie, dass das Ausgabeverhalten in allen Helikopterszenarien nicht anders wäre als bei einem Lottogewinn. Zudem rechnet ein Großteil der Befragten weder damit, dass durch ein solches Instrument die Preise steigen noch geht er davon aus, dass es einen Effekt auf die gesamtwirtschaftliche Situation hat. Die starke Streuung der Antworten weist für Neugart vielmehr darauf hin, dass viele Teilnehmende unsicher sind, weil sie nicht einschätzen können, womit sie es mit dem Helikoptergeld wirklich zu tun haben.

„In der Gesamtschau bin ich sehr skeptisch, ob man ein Instrument, das die Menschen eher verunsichert, dessen mediale Wirkung nicht vorhersehbar ist und das möglicherweise gar keinen Effekt auf die Inflationsrate hat, einsetzen sollte“, betont der Experte. Er empfiehlt eine andere Strategie für die Lösung der Probleme in der Eurozone und setzt statt auf eine „ultralockere“ Geldpolitik auf fiskalpolitische Maßnahmen, die Investitionen in Zukunftsfelder wie den Straßenbau, die Mobilität, den Energiesektor oder die digitale Infrastruktur fördern: „Das sind gute Möglichkeiten zu investieren und ich würde vermuten, dass diese Projekte eine Rendite größer als Null haben.“

Datenbasis und Rahmenbedingungen

Die Daten für die Studie “Helicopter money: survey evidence on expectation formation and consumption behaviour” von Uros Djuric und Michael Neugart stammen aus dem repräsentativen Panel der Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen (GESIS) e.V. Im Rahmen dieses Mixed Mode Panels wurden rund 4.900 Teilnehmende im Alter von 18 bis 70 befragt. Die Studienfragen wurden im Frühjahr 2016 beantwortet. Zu diesem Zeitpunkt war in Deutschland das BIP im Vergleich zum Vorjahr um 1,5 Prozent gestiegen, die Arbeitslosenquote weiter auf 4,1 % gesunken und die Inflationsrate lag bei 1,67 %.

Studie “Helicopter money: survey evidence on expectation formation and consumption behaviour”