Aus der historischen Darmstädter Notenschreibwerkstatt

Der Nachlass Christoph Graupners in der Universitäts- und Landesbibliothek

20.12.2019 von

Dank einer ganzen Reihe glücklicher Umstände befindet sich der komplette Nachlass von Christoph Graupner, als Kapellmeister zwischen 1709 und 1760 am Hof von Hessen-Darmstadt angestellt, bis heute in der ULB und macht diese dank seiner Geschlossenheit zu einer der wichtigsten deutschen Musiksammlungen für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts überhaupt.

Zu den mehr als 1.400 Kantaten Graupners kommen nicht nur dessen Konzerte, Kammermusik, Ouverturensuiten und Opern hinzu, sondern auch zahlreiche Abschriften von Werken anderer Komponisten dieser Zeit, allen voran Georg Philipp Telemann, den die Darmstädter Landgrafen besonders schätzten.

Wo so viel Musik produziert und konsumiert wurde, bedurfte es mehrerer fleißiger Hände, um permanent all die vielen benötigten Einzelstimmen für die Musiker abzuschreiben. Während die Partituren seiner Werke selbstverständlich von Graupners eigener Hand stammen, wurde er beim Herausziehen der Orchesterstimmen immer wieder von mehr oder weniger professionellen Schreibern unterstützt.

Nicht nur deren Notenhandschrift weicht von jener Graupners ab, auch die Vorzeichnungen zu Beginn der Notensysteme geben Hinweise darauf, ob die jeweilige Stimme von jemand anderem als Graupner persönlich niedergeschrieben wurde.

Doch der als äußert akribisch und fleißig beschriebene Chefmusiker Graupner wollte sich dabei nicht vollständig auf seine Helfer verlassen; zahlreiche spätere Eintragungen von seiner Hand sind leicht auszumachen und zeigen, dass der Kapellmeister persönlich die Durchsicht übernahm. Diese Ergänzungen helfen nicht nur bei besonderen Besetzungsfragen (etwa, wenn die ansonsten von Violinen und Oboen gemeinsam zu spielende Melodiestimme plötzlich aufgespalten und klanglich ausdifferenziert wurde), sondern auch ganz praktisch-pragmatisch, wenn der Orchesterleiter den Leerraum am Ende einer Notenzeile dafür nutzte, um (in seiner höchst charakteristischen Schreibweise) den Notenschlüssel für den nachfolgenden Satz bereits vorwegzunehmen, um den (vielleicht etwas trägen) Musiker so besser auf einen Tonartwechsel vorzubereiten – ein unverstellter Blick in das Innenleben einer Hofkapelle.

Zur Autorin

Prof. Dr. Ursula Kramer lehrt als Musikwissenschaftlerin an der Johannes Gutenberg- Universität Mainz und ist häufige Nutzerin der Musiksammlung der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt. Einen ihrer Forschungsschwerpunkte bildet die Darmstädter Musikgeschichte des 18. Und 19. Jahrhunderts, insbesondere die Musik Christoph Graupners.