Thermochemische Lösungen für die Energiewende

Positionspapier aus den Ingenieurwissenschaften / „Keine Technologiepfade vorgeben“

08.07.2020

Mehr als 50 Professoren und Professorinnen von führenden deutschen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen empfehlen eine technologieoffene Herangehensweise auf dem Weg zu einem globalen klimaneutralen Energiesystem. Ein von Ingenieurwissenschaftlern der Technischen Universität Darmstadt, der RWTH Aachen und der Universität Duisburg-Essen erarbeitetes Positionspapier lenkt das Augenmerk auf die thermische Nutzung chemischer Energieträger. Diese seien neben der elektrochemischen Energiewandlung unverzichtbar für eine sichere Stromerzeugung und Energieversorgung von Fahrzeugen, Industrie und Wohngebäuden.

Das Verfahren der Raman-Rayleigh-Spektroskopie: Hier werden synthetische oder aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellte Kraftstoffe wie Ethanol in einer Gegenstromflamme untersucht. Mittig wird ein Laser mit hoher Pulsenergie in die Reaktionszone geleitet, mit dessen Hilfe die Temperatur und Spezieskonzentration von Molekülen, die bei der Verbrennung entstehen, gemessen werden kann.

„In der derzeitigen Klimaziele-Diskussion ist es wichtig, verschiedene technische Optionen, die aus ökologischer und ökonomischer Sicht für unsere Gesellschaft unverzichtbar sind, parallel fortzuentwickeln“, sagt Maschinenbau-Professor Andreas Dreizler, federführender Autor des Positionspapiers (wird in neuem Tab geöffnet) und Mitglied der Profilbereiche „Energiesysteme der Zukunft“ und „Thermofluids & Interfaces“ an der TU Darmstadt.

Mit ihm plädieren rund 50 international renommierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die zu chemisch reaktiven Strömungen und Energieverfahrenstechnik forschen, für einen starken Ideen-Wettbewerb. „In Forschung und Entwicklung wünschen wir uns von der Politik Leitplanken, nicht jedoch vorgegebene Technologiepfade.“ Die Autoren begrüßen das von der EU-Kommission heute vorgestellte EU-Förderprogramm für die Wasserstofftechnologie, ebenso wie die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, sehr. Mit ihrem Positionspapier wollen sie zusätzlich Optionen aufzeigen, mit denen die Ingenieur- und Naturwissenschaften Herausforderungen, die der Umbau unserer Energiesysteme bedingt, verantwortungsbewusst bewältigen wollen. Sie weisen auf die in Deutschland umfangreich vorhandene Expertise zu thermochemischen Energietechnologien hin.

Fossile Energieträger ersetzen

Das Positionspapier skizziert einen schrittweisen Umbau des Energiesystems mit Hilfe chemischer Energieträger in Richtung Klimaneutralität. Verfahren zur thermochemischen und elektrochemischen Energieumwandlung von Brennstoffen, wie sie beispielsweise in Gaskraftwerken und Brennstoffzellen praktiziert werden, sollen fortentwickelt werden.

Gasturbinen in der Stromwirtschaft oder Hybridantriebe in Fahrzeugen seien auch weiterhin sinnvoll und notwendig, um die angestrebten Ziele in der Reduktion der Klimaerwärmung zu erreichen. Bisher eingesetzte fossile Energieträger müssten jedoch zunehmend durch regenerativ erzeugte, zum Beispiel CO2-neutrale synthetische Kohlenwasserstoffe ersetzt werden. Der Anteil kohlenstofffreier chemischer Energieträger wie Wasserstoff, der mit erneuerbarer Energie erzeugt wurde, soll zunehmen.

„Verantwortung für ein belastbares Energiesystem"

Die Autoren heben hervor, dass ein rein auf elektrische Antriebe und Speicher ausgerichtetes Energiesystem den Bedarf nicht zuverlässig decken kann. Wichtige nachhaltige Energiequellen wie Windkraft und Photovoltaik unterliegen Produktionsschwankungen. Es mangelt an Kapazitäten, um elektrische Energie in großem Umfange zu speichern. Der Einsatz chemischer Energieträger aus regenerativen Quellen zur Rückverstromung in Kraftwerken sei eine notwendige Komponente des Energiesystems nach Atom- und Kohleausstieg. Auch im Luft- und Schiffsverkehr können synthetische Treibstoffe einen Beitrag zur Energiewende leisten.

Nach Ansicht der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sollte gerade in Deutschland die Forschung und Entwicklung beispielsweise an Energiekonvertern für den Betrieb mit nicht-fossilen Brennstoffen und an Anlagen mit hohen Wirkungsgraden und geringen Schadstoffemissionen vorangetrieben werden.

„Das Positionspapier bringt auf den Punkt, dass wir Ingenieur- und Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler Verantwortung übernehmen, um ein vielfältiges, belastbares Energiesystem zu entwickeln, das auf Brennstoffe fossilen Ursprungs verzichtet“, sagt die Vizepräsidentin für Forschung der TU Darmstadt, Professorin Barbara Albert. „Die Forschung an der TU Darmstadt ist so aufgestellt, dass sie zum Gelingen der Energiewende auf verschiedenen Technologiepfaden beiträgt. CO2-freie beziehungsweise -neutrale Verbrennung, Brennstoffzellen, Solarzellen und Kondensatoren sind wichtige Themen, an denen wir mit großem Einsatz forschen.“

TU Darmstadt – Forschen für die nachhaltige Energieversorgung der Zukunft

Die TU Darmstadt hat mit ihrem Profilbereich „Energiesysteme der Zukunft“ eine Plattform für ihre stark interdisziplinär ausgerichtete Forschung zur komplexen Transformation des Energiesystems geschaffen. Das Spektrum reicht von der Optimierung von Stromtrassen über die Planung von Energiesystemen bis zum Einsatz regenerativer Brennstoffe. In einem weiteren Profilbereich, „Thermo-Fluids & Interfaces", legen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit ihrer Forschung Grundlagen für neue energie- und verfahrenstechnische Produkte und Prozesse sowie für energieeffizientere Maschinen.

Vier von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Sonderforschungsbereiche/Transregio mit klarem Energie-Fokus sind an der TU Darmstadt verankert:

Auch an dem neuen vom Bundesforschungsministerium geförderten Kopernikus-Projekt „Ariadne" zur Gestaltung der Energiewende ist die TU Darmstadt beteiligt. Professorin Michèle Knodt (Institut für Politikwissenschaft) leitet zwei Arbeitspakete. Sie war auch intensiv in das Kopernikus-Vorgängerprojekt „ENavi“ eingebunden.

Viele Forschungsprojekte an der TU Darmstadt untersuchen das Potenzial unterschiedlicher Energieträger zur Speicherung erneuerbarer Energien. Ins Zentrum rücken dabei derzeit kohlenstofffreie chemische Energieträger wie Wasserstoff und Metalle wie etwa Eisen sowie ein neuartiges Verfahren der Reduktions-Oxidations-Zyklen. Im Unterschied zu Wasserstoff lassen sich Metalle mit spezifischer Energiedichte verlustärmer lagern und belasten die oft knappen Wasservorräte in sonnenreichen Regionen nicht. Um das große Potenzial zu erschließen, ist noch intensive Forschungs- und Entwicklungsarbeit erforderlich.

feu