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Wiedereröffnung der Hochschule 1946

2021/02/04 von

Am 7. Januar 1946 wurde die Technische Hochschule Darmstadt von der amerikanischen Militärregierung wiedereröffnet, nachdem die Amerikaner sie nach ihrem Einmarsch am 25. März 1945 geschlossen hatten. Aufgrund der Bombardierungen der Stadt im September 1944 waren bis zu 80 Prozent der Gebäude der Hochschule zerstört worden. Am Kriegsende waren lediglich rund 1.000 Studierende immatrikuliert.

Zerstörter Westflügel des Hauptgebäudes der TH Darmstadt.

Die erste Generation von Studierenden in der Nachkriegszeit beschrieb ihre Eindrücke folgendermaßen: Unterricht in engen, provisorischen Unterbringungen, in denen gelegentlich Teile der Decke herabfielen; Sitzmöglichkeit boten nur Klappstühle aus der Brauerei; fehlende Tafeln, fehlende Lehrbücher; eine Mensa, die den Ansturm von Studierenden nicht bewältigen konnte und die über kein Besteck mehr verfügte.

Trotz dieser widrigen Bedingungen wuchsen die Studierendenzahlen in der Nachkriegszeit rasant an. Schon 1947 waren doppelt so viele Studierende immatrikuliert wie 1938, während die TH erst Mitte der 1950er-Jahre wieder die gleiche Gebäudefläche zur Verfügung hatte wie vor dem Krieg.

Hochschulpolitische Kehrtwende

Das Jahr 1946 stellte für die Technische Hochschule Darmstadt auch eine Kehrtwende dar: Nach der Etablierung einer Atmosphäre der Denunziation und der Tilgung von nicht parteipolitisch konformen Lehrenden an der Hochschule sowie der Umstrukturierung der Lehre und der Administration im Sinne der Nationalsozialisten versuchte man nach dem Ende der NS-Herrschaft, Abstand von diesen Systemen zu nehmen. So hieß es im Memorandum über die Ziele der Hochschule vom Oktober 1945, es solle Aufgabe der Lehre sein, »ohne Propaganda und Schulung zu zeigen, wie sehr es nottut, anständige Gesinnung, Mut der Überzeugung und Abkehr von jedem würdelosen Servilismus im deutschen Volk wieder in Geltung zu setzen«. Den Studierenden solle persönliche Freiheit und kritisches Denken frei von einem gedankenlosen Nachbeten parteipolitischer Weltanschauungen gewährt werden.

Unter diesem Motto stand auch der erste Internationale Kongress für Ingenieurs-Ausbildung (IKIA) im August 1947. Bei diesem wurde festgehalten, dass Technik weder inhärent gut noch böse sei und es an jedem einzelnen Ingenieur liege, zu verhindern, dass sie instrumentalisiert werde. Vor diesem Hintergrund wurde ab 1946 veranlasst, die Geisteswissenschaften an der Technischen Hochschule Darmstadt mehr auszubauen und in das Studium der naturwissenschaftlichen Fächer zu integrieren. So entstand 1946 die Fakultät für Kultur- und Staatswissenschaften.

Trotz des guten Willens waren die Entscheidungen der amerikanischen Militärregierung bei der Neubesetzung von Hochschulämtern nicht immer konsequent. Man vergab temporär oder auf Dauer Lehraufträge an ehemalige NSDAP-Mitglieder, entzog diese wieder oder vergab trotz Bedenken entlastende Spruchkammerbescheide, mit denen der Karriere im Nachkriegsdeutschland nichts mehr im Wege stand. Zwar berief die TH im Jahr 1951 den Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald Eugen Kogon auf den allerersten Lehrstuhl für Wissenschaftliche Politik. Gleichzeitig jedoch berief man 1955 den ehemaligen SA- und NSDAP-Anhänger Hellmuth Rößler als Ordinarius für Neuere Geschichte.

Die Autorin studiert Geschichte an der TU Darmstadt und arbeitet als studentische Hilfskraft im Universitätsarchiv.

Erschienen in der hoch³ 1/2021