Auseinandersetzung mit dem Leibgardisten-Denkmal

Projekt untersucht Kriegseinsatz, Traditionspflege und Gedenken

09.07.2021

Die Wissenschaftsstadt Darmstadt hat gemeinsam mit der TU Darmstadt ein Projekt zur geschichtlichen Aufarbeitung des umstrittenen Leibgardisten-Denkmals auf dem Friedensplatz auf den Weg gebracht. Eine vorläufige Informationstafel weist seit gestern (8.7.) am Monument auf dem Friedensplatz auf das Forschungsvorhaben hin, dem sich das Institut für Geschichte der TU und das Deutsche Polen-Institut gemeinsam widmen.

Entworfen wurde die Löwenstatue vom Bildhauer Heinrich Jobst (1874–1943).

Das wissenschaftliche Projekt „Die Darmstädter ,Leibgardisten‘ und ihr Denkmal. Kriegseinsatz – Traditionspflege – Gedenken“ ist am Institut für Geschichte der TU angesiedelt und wird vom Deutschen Polen-Institut unterstützt. Geleitet wird es von Professor Jens Ivo Engels (Leiter des Fachgebiets Neuere und Neueste Geschichte am Institut für Geschichte der TU) und Professor Peter-Oliver Loew (Direktor des Deutschen Polen-Instituts). Projektbearbeiter ist Dr. Ingo Eser (Fachgebiet Neuere und Neueste Geschichte). Ein überregional zusammengesetzter Beirat begleitet das Vorhaben.

Ziel des Projekts: die Geschichte des einst in Darmstadt beheimateten Infanterie-Regiments Nr. 115 und des seit einigen Jahren kontrovers diskutierten Leibgardisten-Denkmals am Friedensplatz wissenschaftlich aufzuarbeiten. Dabei geht es zunächst darum, zu klären, ob und in welchem Ausmaß das Infanterie-Regiment Nr. 115 und die aus ihm hervorgegangenen Regimenter im zweiten Weltkrieg an NS- und Kriegsverbrechen beteiligt waren. Auf die Einsätze verweisen seit 1958 Tafeln auf dem Denkmal.

Im Rahmen des Forschungsprojekts wird zudem das Denkmal als Ort militärischer Traditionspflege untersucht. Das Monument erinnert nicht nur an die Gefallenen der Weltkriege, sondern beschwor eine militärische Gemeinschaft und blendete bislang die Frage nach NS-Verbrechen aus.

Schließlich befassen sich die Forschenden auch mit der Frage, wie jenseits von Veteranenverbänden und Militär in der Darmstädter Bevölkerung der beiden Weltkriege und ihrer Gefallenen gedacht und das Denkmal wahrgenommen wurde.

Offene Fragen, denen die Forschenden nachgehen

Auch wenn frühe Medienberichte aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Eindruck erwecken, dass das Denkmal und dortige Veranstaltungen von Veteranen auf breite Zustimmung stießen, bleiben Fragen offen, denen die Forschenden nun nachgehen. Seit etwa 2010 wird scharfe Kritik am Denkmal und den dort zelebrierten Gefallenenehrungen und Kranzniederlegungen laut. Die Kritik entzündet sich an den Tafeln zu den Regimentern und deren Einsatzorten im Zweiten Weltkrieg, die 1958 nachträglich angebracht wurden. Damit werde auch Soldaten gehuldigt, die an NS-Verbrechen, an Kriegsverbrechen oder Besatzungsherrschaft beteiligt waren, so die Kritik, die im generellen Kontext der Rolle der Wehrmacht und deren Verbrechen im Krieg wurzelt.

„Die Anbringung der Tafel und das Projekt dahinter sind weitere wichtige Schritte bei der Auseinandersetzung und Aufarbeitung des historischen Erbes unserer Stadt“, erklärte der Darmstädter Oberbürgermeister Jochen Partsch. „Die Stadt Darmstadt betrachtet die Stärkung und Weiterentwicklung der Erinnerungskultur als eine zentrale zeitgeschichtliche Aufgabe. Ich habe deshalb gemeinsam mit Kanzler Dr. Manfred Efinger von der TU Darmstadt dieses Projekt angestoßen, um die Geschichte des Leibgardistendenkmals und der Ereignisse, an das es erinnert, wissenschaftlich aufzuarbeiten“, so Partsch.

Die „Leibgardisten“ waren Teil des Kriegsgeschehens. 1936 wurde in Darmstadt das Infanterie-Regiment 115 in Anknüpfung an das „Leibgarde-Infanterie-Regiment (1. Großherzoglich Hessisches) Nr. 115“ aufgestellt, das von 1872 bis 1919 bestand und in der Tradition der 1621 durch Landgraf Ludwig V. gegründeten „Kompanie Dressler“ stand. 1939 gingen aus dem Regiment 115 die Infanterie-Regimenter 226 und 485 hervor. Die drei Regimenter kamen im Krieg in Frankreich, Nordafrika, Italien und in der Sowjetunion zum Einsatz. Hinweise, dass sie an Massenerschießungen und Partisanentötungen beteiligt waren, bedürfen noch der wissenschaftlichen Überprüfung. Nach dem Zweiten Weltkrieg formierte sich eine „Kameradschaft der Leibgardisten und des Infanterie-Regiments 115“, die die Traditionen unter anderem mit Kranzniederlegungen pflegte. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der Leibgardisten im Zweiten Weltkrieg unterblieb.

Perspektivisch sollen im Rahmen des Forschungsprojekts auch persönliche Dokumente wie Feldpostbriefe oder Tagebücher als weitere Quellen für die Untersuchung des Infanterie-Regiments Nr. 115 und des Denkmals herangezogen werden. Auch eine kunsthistorische Analyse des Denkmals ist angestrebt.

Das Projekt versteht sich als Beitrag zur öffentlichen Debatte in Darmstadt und soll dazu beitragen, Perspektiven für den künftigen Umgang mit dem Leibgardisten-Denkmal zu entwickeln.

Hintergrund: Denkmal

Der Grundstein zum Leibgardisten-Denkmal wurde 1921 anlässlich des 300. Jubiläums des Regiments gelegt. Entworfen wurde die Statue eines tödlich durch Lanzen verwundeten Löwen vom Bildhauer Heinrich Jobst (1874-1943), der 1907 an die Darmstädter Künstlerkolonie berufen worden war. 1928 wurde das Denkmal eingeweiht, im Zweiten Weltkrieg beschädigt und 1952 restauriert.

Inschriften auf dem Sockel verweisen unter anderem auf die Toten des Regiments und auf die Gefechts- und Einsatzorte beider Weltkriege. Seit Juli 2021 informiert eine provisorische Tafel am Denkmal über die Geschichte der „Leibgardisten“ und das Forschungsprojekt von TU und Deutschem Polen-Institut. Sie wird, wenn Ergebnisse eines Forschungsprojektes durch die TU Darmstadt vorliegen, durch eine endgültige Tafel ersetzt werden.