Architektonische Visitenkarten im Ausland

Interview mit Kunsthistorikerin Christiane Fülscher

27.09.2021

Botschaftsgebäude sind sowohl politische Symbole als auch gesellschaftlicher Ausdruck ihrer Epoche. Die Architektin und Kunsthistorikerin Dr.-Ing. Christiane Fülscher hat die deutschen Auslandsvertretungen vergleichend analysiert.

Dr.-Ing. Christiane Fülscher lehrt und forscht zur Theorie und Geschichte der Architektur der Moderne am Fachbereich Architektur.

Frau Fülscher, Botschaftsgebäude gelten als „architektonische Visitenkarten“. Welche Bedeutung haben sie für die Außenpolitik?

Staaten nutzen Neubauten von diplomatischen Vertretungen, um ein bestimmtes Bild abzugeben und ihr spezifisches gesellschaftliches Selbstverständnis zu transferieren. Die Frage dahinter ist: Wie möchte ich als Staat im Ausland wahrgenommen werden? Die Architektur ist hierfür ein zentrales Instrument. Im Gegensatz zu anderen Staatsbauten sind auswärtige Neubauten von Botschaften das Resultat hochkomplexer diplomatischer Prozesse. Über die Bauwerke werden politische Botschaften nicht nur durch Präsenz und Größe vermittelt, sondern auch durch Zurückhaltung und Einordnung in den örtlichen Kontext des Gastlandes. Dies kann auch über die Wahl des Materials oder spezifischer Architekturformen erfolgen.

Sie haben sich in Ihrer Dissertation vor allem auf die Geschichte der Auslandsvertretungen beider deutscher Staaten zwischen 1949 und 1972 fokussiert. Wie war die Situation in der Nachkriegszeit?

Über die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und Deutschen Demokratischen Republik im Jahr 1949 hinaus bestimmten die Besatzungsmächte deren Aufbau außenpolitischer Beziehungen. Die Bundesrepublik erhielt mit der Erlangung ihrer Souveränität 1955 mehr Entscheidungsfreiheit über ihre außenpolitischen Beziehungen. Die DDR durfte zwar bereits 1949 ein Auswärtiges Amt einrichten, Entscheidungsbefugnisse gingen damit aber nicht einher. Insgesamt war der Neuaufbau von Staat und Gesellschaft sowie die Repräsentation im Ausland nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden mit einer Architektur, die einem politischen Bekenntnis zur jeweiligen Besatzungsmacht gleichkam.

Wie zeigt sich das in den Botschaftsbauten?

Ein gutes Beispiel ist das Botschaftsprojekt der DDR in Warschau. Der erste Entwurf orientierte sich konsequent an den Leitlinien der UDSSR. Er war angelehnt an die sowjetische Botschaft in Berlin. An exponierter Stelle sollte in Polen eine dreiflügelige Anlage im Stil des sozialistischen Realismus entstehen – praktisch eine Palastarchitektur für die Arbeiterklasse. Doch auch nach Stalins Tod, als Moskau eine sachliche Architektursprache vorgab, wurde das Großprojekt aus finanziellen und politischen Gründen nie realisiert. Auch mit dem Botschaftsprojekt in Budapest versuchte man, trotz Anlehnung an westliche Vorbilder, die sozialistischen Ideale über Architektur auszudrücken. Dies gelang durch die Betonung der künstlerischen Ausstattung und durch den Verzicht auf übliche Hierarchien: über einen ebenerdigen Zugang ohne Stufen, eine wenig repräsentative Botschafterwohnung oder auch Ergänzungen des Gebäudes um Wohnungen und soziale Einrichtungen.

Nutzte die DDR die Botschaftsbauten zur Durchsetzung ihrer außenpolitischen Ziele?

Ganz sicher. Das ist gut zu sehen am Beispiel der Handelsvertretung in Helsinki, die Mitte der 1960er erbaut wurde. Finnland war neutral und gewährte den Handelsvertretungen beider deutschen Staaten Privilegien, die üblicherweise diplomatischen Vertretungen zustehen. Hier beauftragte die DDR bewusst einen örtlichen Architekten mit einem Entwurf, der international Anerkennung finden sollte. Mit dem Bauwerk gab der ostdeutsche Staat sein Ziel auf, den Sozialismus in der Architektur widerzuspiegeln und orientierte sich vollends an US-amerikanischen Botschaftsgebäuden. Im Ringen um die internationale Anerkennung sollte das Bauwerk die DDR als gleichberechtigten deutschen Staat auf Augenhöhe mit der Bundesrepublik zeigen. Diese wiederum beobachtete das neue Bauprojekt der DDR äußerst misstrauisch.

Wie verlief die Entwicklung dort?

Im Gegensatz zur DDR hatte die Bundesrepublik bald wieder einen größeren Aktionsradius. Dennoch war es für sie wichtig, zunächst mit großer Zurückhaltung in den westlichen Staaten aufzutreten. So lehnten sich die ersten Botschaften in Architektur und Ausstattung deutlich an die dreigeschossigen Riegelbauten der US-amerikanischen Generalkonsulate an, die ab 1952 in den westlichen Bundesländern errichtet worden waren. In den 1960er Jahren trat man dann, mit zunehmender Anerkennung in der westlichen Staatengemeinschaft, deutlich selbstbewusster auf. Die Architekten konnten individuelle Akzente setzen und es bildeten sich zwei Strömungen heraus: der organische Ansatz, bei dem wie bei der Botschaft in Wien ein harmonisches Ganzes aus Gebäude und Umgebung entstand, und der stringente Funktionalismus, der sich beispielsweise in der Botschaftskanzlei in Washington wiederfindet.

Eine besondere Zäsur markiert die Botschaft, die die Bundesrepublik im neu geschaffenen Diplomatenviertel in Brasília erbaut hat.

Das stimmt. Die Bundesrepublik war einer der ersten Staaten, der seine Botschaft von Rio de Janeiro in die neu geschaffene Hauptstadt im Zentrum Brasiliens verlegte. Der Architekt Hans Scharoun musste sich also in kein etabliertes Ensemble diplomatischer Vertretungen einordnen und hatte weitreichende Gestaltungsfreiheiten. Er ließ das Bauwerk plastisch aus der Landschaft herauswachsen und führte erstmals Kanzlei und Residenz zu einem gestalterisch einheitlichen Bauwerk zusammen. Scharouns Entwurf hat den bundesdeutschen Repräsentationsbau im Ausland entscheidend geprägt.

Hat auch der Ost-West-Konflikt die Bauvorhaben beeinflusst?

Im Kalten Krieg wurde der Wettstreit der Systeme auch auf dem Gebiet der Architektur ausgetragen. Die sogenannte Hallstein-Doktrin von 1955 hat dabei alles dominiert. Sie wurde von der Bundesrepublik erlassen, nachdem diese als zweiter deutscher Staat eine Botschaft in Moskau errichtet hatte. Sie drohte anderen Ländern mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen, sobald ein Staat entsprechende Verhandlungen mit der DDR aufnahm. So konnte diese nur in sozialistische beziehungsweise kommunistische Staaten Botschafter entsenden und sich dort auf internationalem Parkett bewegen. Für neutrale Nationen wie die ehemaligen Kolonialstaaten war die Bundesrepublik häufig der attraktivere Partner.

Welche Veränderungen brachte der Grundlagenvertrag 1972?

Mit Unterzeichnung des Grundlagenvertrags erkannte die Bundesrepublik die DDR staatsrechtlich an. Die internationale Isolation der DDR war damit beendet. In den folgenden zwei Jahren nahm die DDR diplomatische Beziehungen zu 73 Staaten auf. Dennoch konnte die DDR auch nach 1972 nur ein gutes Dutzend Neubauten für diplomatische Vertretungen projektieren oder bauen. Ihr Handlungsspielraum blieb weiter begrenzt.

Wie ging es nach 1989 weiter?

Das ist ein sehr sensibles Thema. Die DDR hatte ihre Diplomaten schon vor der Wiedervereinigung abgezogen und ihre Botschaftsgebäude aufgegeben. Das hatte vor allem finanzielle Gründe. Bis auf ganz wenige Ausnahmen, zum Beispiel die Botschaften in Sofia, Pjöngjang oder Phnom Penh, wickelte das wiedervereinigte Deutschland die ostdeutschen Bauten und Bauprojekte ab. Das Botschaftsgebäude in Helsinki wurde an die Ukraine verkauft und ein neues Bauwerk errichtet. Die Botschaft in Budapest wurde zu einem Verwaltungsgebäude umgebaut und die in Kairo an das Goethe-Institut abgetreten.

Das Interview führte Jutta Witte.

Für ihre Dissertation hat Christiane Fülscher die Entstehungsgeschichte deutscher Auslandsvertretungen rekonstruiert und erstmals in den historischen, politischen und institutionellen Kontext eingeordnet. Entstanden ist eine Publikation, welche die Bauaufgabe vom Deutschen Kaiserreich über den Nationalsozialismus bis in die Nachwendezeit abbildet. Der Fokus liegt dabei auf dem Zeitraum zwischen 1949 und der Verabschiedung des Grundlagenvertrags im Jahr 1972.

Buch

Christiane Fülscher: Deutsche Botschaften. Zwischen Anpassung und Abgrenzung. Jovis-Verlag, 536 Seiten, ISBN 978-3-86859-652-6 (Broschur),

https://doi.org/10.1515/9783868599640 (E-Book)

Lesen Sie weitere spannende Artikel in der hoch3 FORSCHEN 3/2021